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18.10.08 / Wohin geht das deutsche Fernsehen? / Marcel Reich-Ranicki hat mit der Ablehnung des Ehrenpreises eine  Qualitätsdebatte ausgelöst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-08 vom 18. Oktober 2008

Wohin geht das deutsche Fernsehen?
Marcel Reich-Ranicki hat mit der Ablehnung des Ehrenpreises eine  Qualitätsdebatte ausgelöst

Mit seiner Schimpftirade bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises hat Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki nicht nur eine Diskussion über eine eher langweilige, den Eitelkeiten der Preisgekrönten schmeichelnde Sendung ausgelöst, sondern über die Qualität des deutschen Fernsehens insgesamt.

Alles geplante Inszenierung oder doch eine spontane Unmutsäußerung? Viele der Anwesenden konnten kaum glauben, was sie da soeben auf der Bühne zu sehen bekommen hatten, als Marcel Reich-Ranicki die Veranstaltung zur Verleihung des Deutschen Fernsehpreises in Bausch und Bogen als „Blödsinn“ bezeichnete und den Ehrenpreis als völlig unpassend für ihn ablehnte.

Die Reaktionen auf den „Eklat“ fielen sehr unterschiedlich aus. Thomas Gottschalk, der die Sendung moderierte, zeigte Verständnis für Reich-Ranicki: „Nach einer Viertelstunde mit Richterin Salesch, zwei Köchen, denen man dumme Texte geschrieben hatte,  mußte der Mann verzweifeln“.

Elke Heidenreich, Moderatorin des ZDF-Büchermagazins „Lesen“ ergriff Partei für den Kritiker, indem sie die Programmdirektoren und Intendanten als „verknöcherte Bürokarrieristen“ bezeichnete, „die das Spontane längst verlernt haben, das Menschliche auch, Kultur schon sowieso.“

Comediens wie Bastian Pastewka und Atze Schröder hielten das Ganze für eine Comedy-Einlage. Schröder: „Endlich einer, der uns allen gezeigt hat, wie echte Comedy funktioniert.“ Stefan Aust sagte im WDR: „Das war wunderbar! Ich vermute mal, daß die das so inszeniert haben. Das war ja wie ausgedacht.“ Veronica Ferres, die für ihre Rolle in dem ARD-Drama „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ ausgezeichnet wurde, war kritischer: „Er hat viele Menschen verletzt.“

Obwohl Gottschalk die Sendung rettete, indem er Reich-Ranicki geistesgegenwärtig eine Fernseh-Diskussion über die Qualität des Deutschen Fernsehens anbot und dafür grünes Licht erhielt, beurteilen die Verantwortlichen das Verhalten des Kritikers eher ablehnend. Hans Janke, stellvertretender Programmdirektor des ZDF nannte es „sehr befremdlich“, er hält eine neue Qualitätsdebatte im Grunde für überflüssig: „Diese Debatte findet in Permanenz statt“. Andreas Bartl, Geschäftsführer des Privatsenders Pro Sieben, sieht ebenfalls keinen Handlungsbedarf. „Wir bieten genügend Qualität und genügend Populäres“. Bartl findet Reich-Ranickis Auftritt als „überzogen und arrogant“. Ähnlich äußerte sich ein RTL-Sprecher, der Reich-Ranickis Kritik für „respektlos und indiskutabel“ hält.

Ging es bei dem Eklat vordergründig um die verletzte Eitelkeit eines Literaturkritikers, der zu lange auf die Verleihung seiner Auszeichnung warten mußte, so löste er doch eine Diskussion über Konzepte und die Qualität von Sendungen aus.

Nach Ansicht des Deutschen Kulturrates offenbart die von Reich-Ranicki angestoßene Diskussion einen Zielkonflikt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der schon seit langem bestehe. Einerseits werde den öffentlich-rechtlichen Sendern eine inhaltliche Verflachung vorgeworfen und kritisiert, daß er zu wenig Kultursendungen ausstrahle. Andererseits werfe man ihm vor, daß er schon längst nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung erreiche und man über die Gebührenfinanzierung nachdenken müsse.

Im Gegensatz zu Privatsendern hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen gesetzlich verankerten „klassischen Auftrag“, er muß einen Informations-, Bildungs-, Beratungs-, Kultur- und Unterhaltungsauftrag erfüllen. Damit die Sender unabhängig Informationen unter die Menschen bringen konnten, wurde bei der Gründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Nachkriegsjahren die Gebührenfinanzierung eingeführt. Sie gilt nicht als Subvention, sondern quasi als Bürgerfinanzierung von gesellschaftlicher Infrastruktur.

Seit Mitte der 80er Jahre gibt es in Deutschland ein duales System. Als private Sender in Deutschland zugelassen wurden, sahen sich die öffentlich-rechtlichen einem zunehmenden Konkurrenzdruck ausgesetzt. Die Einführung des privaten Rundfunks war gesetzlich an die gesicherte Existenz eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks gekoppelt. Den Öffentlich-Rechtlichen ist die Gründung privatwirtschaftlicher Unternehmen oder ihre Beteiligung an solchen im begrenzten Rahmen erlaubt, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dies betrifft vor allem die Teilhabe an neuen Entwicklungen wie Digitalangebote und Onlineaktivitäten.

In der Konkurrenz mit den Privatsendern um Einschaltquoten scheint es für die Öffentlich-Rechtlichen schwierig geworden zu sein, an wirklich hochwertigem Journalismus festzuhalten. Bei der Aufgabe, „gesellschaftliche Strömungen aufzuspüren, zu reflektieren oder Trends bewußt etwas Eigenständiges entgegenzusetzen“, wie es in der Konferenz der Gremienvorsitzenden der ARD im November 2001 beschlossen wurde, bleibt die Qualität immer wieder auf der Strecke. Eine Qualitätsdiskussion über das „Blödel-Fernsehen“, wie nun von Reich-Ranicki für Deutschland angeschoben, fand in der Schweiz bereits vor acht Jahren statt. Die Qualität des Schweizer Fernsehens habe sich seitdem nicht verbessert, so BAZ-online, aber das Verhalten der TV-Nutzer. Dies hätten ein einfaches, aber probates Mittel gegen mangelnde Qualität entdeckt: Öfter mal den Aus-Knopf drücken.

Manuela Rosenthal-Kappi


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