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18.10.08 / »Völkerrecht à la carte« / Straßburger Menschenrechtsgerichtshof weist Beschwerde von Vertriebenen zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-08 vom 18. Oktober 2008

»Völkerrecht à la carte«
Straßburger Menschenrechtsgerichtshof weist Beschwerde von Vertriebenen zurück

Der Menschenrechtsgerichtshof hat die Klage von 23 Vertriebenen aus dem Gebiet des heutigen Polen abgewiesen. Deutschen Zeitungen war die Entscheidung des Rechtsstreits „Preußische Treuhand vs. Polen“ nur kurze Meldungen wert. Polnische Medien verglichen das Urteil hingegen mit dem Sieg Polens über die Kreuzritter in der Schlacht bei Tannenberg (Grunwald) im Jahre 1410.

Auch 19 Jahre nach dem Ende des Kommunismus scheinen Polen und Deutsche in unterschiedlichen Welten zu leben. Ein von Deutschen angestrengtes Gerichtsverfahren, das den östlichen Nachbarn jahrelang in Atem gehalten hat und potenztiell über 12 Millionen Deutsche betrifft, ist den meisten deutschen Medien kaum der Erwähnung wert. Selbst das Urteil, das Ende vergangener Woche in Polen zu einem Ausbruch nationaler Emotionen führte, ist ihnen kaum eine Meldung wert, sowenig wie das Echo in Polen selbst. „Viele Politiker und Medien haben die Straßburger Entscheidung wie nach der Schlacht bei Grunwald als einen historischen Sieg gegen Deutschland gefeiert. Schlimme Schlagzeilen entstanden, die wir hier nicht auch noch poublizieren wollen“, berichtet der in Posen erscheinende Internet-Dienst „PolskaWeb“ in seinem deutschsprachigen Angebot.

Die Fakten: 23 Kläger, vereint in der „Preußischen Treuhand“ unter Leitung von Rudi Pawelka, dem Vorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien, hatten nach langer Vorbereitung im November 2006 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eine Eingabe eingereicht, die die Republik Polen zur Wiedergutmachung insbesondere der Enteignungen verpflichten sollte. Diese Eingabe hat der siebenköpfige Senat nun „ratione temporis“ (aus Zeitgründen) als unzulässig abgewiesen. Das Gericht nimmt in dem 21-seitigen Urteil zur ursprünglichen Enteignung oder zur Vertreibung nicht Stellung, sondern argumentiert überwiegend formal, daß diese Vorgänge vor dem Inkrafttreten der Europäischen Menschenrechtskonvention im Jahre 1950 (in Polen erst 1994) geschehen seien. Allerdings haben die Kläger geltend gemacht, daß ihre Enteigung im Zuge eines unverjährbaren Verbrechens gegen die Menschlichkeit geschehen sei und schon deswegen ein andauerndes Unrecht (Dauerdelikt) darstelle, das auch heute noch Wiedergutmachung verlange. Dieses Argument war für das Gericht  nicht ganz leicht zu widerlegen, zumal der offenbar ähnlich gelagerte Präzedenzfall einer aus Nordzypern vertriebenen Griechin vorliegt. Hier hat das Straßburger Gericht die Türkei zu Rückgabe bzw. Entschädigung nach dem Eigentumsentzug im Jahre 1974 verpflichtet.

Und so hat das Gericht es doch nicht bei dem bloßen Terminhinweis „die Enteignungen geschahen vor 1950“ belassen können, sondern sich auf mehreren Seiten mit den damaligen Vorgängen rechtlicher und tatsächlicher Art befassen müssen. Genau hier ist das Urteil in etlichen Punkten fragwürdig. So wird – um nur ein Beispiel zu nennen – die Abschlußerklärung der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 als „Potsdamer Abkommen“ bezeichnet und wie ein völkerrechtlicher Vertrag bewertet.

„Das Straßburger Gericht hätte ohne weiteres zugunsten der Beschwerdeführer entscheiden können“, bedauert der US-amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas den Richterspruch. „Wie so oft hat der Gerichtshof aber politisch geurteilt.“ Das sei „Völkerrecht à la carte. Das Völkerrecht nimmt mit jedem Urteil Schaden, in dem die Opfer eines derartigen Verbrechens leer ausgehen“, bedauert der langjährige UNO-Jurist. „Eine mögliche Konsequenz wäre, daß die Treuhand nun mit in den USA lebenden Vertriebenen eine Sammelklage nach US-Recht anstrengt“, erläutert de Zayas.

Es sei bezeichend, daß mit der Straßburger Entscheidung auch das Recht einer jüdischen Alteigentümerin (Irene Zieboldt aus Breslau) unter die Räder gekommen sei. Dies belege aber nur die Unteilbarkeit der Menschenrechte. Für unerträglich hält de Zayas den Hinweis des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, den er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vor der Presse gab: „Das ist das Ende [gemeint: der Treuhand-Klage] auf das wir zusammen seit dem Jahr 2004 hingewirkt haben.“ De Zayas: „Es muß geprüft werden, ob diese Aussage zutrifft und wenn ja, mit welchen Methoden hier zwei Regierungen auf ein zur Unabhängigkeit verpflichtetes Gericht Einfluß genommen haben“, erinnert er an das Prinzip der Gewaltenteilung.   Konrad Badenheuer

Foto: Boleslaw Bierut – hier mit den Sowjetmarschällen Schukow (l.) und Rokossowski (r.) war einer der führenden Köpfe des kommunistischen Nachkriegspolens. Er gilt als verantwortlich für die so genannten Bierut-Dekrete von 1945/46, mit denen Millionen Deutsche enteignet wurden.

 

Zeitzeugen

Helmut Kohl – Bei der Wiedervereinigung zögerte Kohl lange mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als neuer deutsch-polnischer Grenze. Die Verträge Anfang der neunziger Jahre mit Polen und der damaligen Tschechoslowakei klammerten die Eigentumsfrage aus und hielten sie damit offen. Und bei der Unterzeichung der deutsch-tschechischen Erklärung im Januar 1997 erklärte Kohl öffentlich: „Die Vermögensfrage, die bleibt natürlich offen.“ Mit der Festschreibung der Enteignungen in der SBZ ließ der Altbundeskanzler allerdings einen negativen Präzedenzfall zu.

 

Lech Kaczynski – Polens Staatspräsident hat drohend erklärt, die Beschwerden der Preußischen Treuhand in Straßburg könnten „einige sehr gefährliche Mechanismen auslösen, die die Beziehungen zwischen europäischen Ländern zerstören könnten“. Konkret hat er eine Politik der Gegenforderungen angekündigt. So habe er schon 2003 als Warschauer Bürgermeister vorsorglich eine Untersuchung zu den von den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden in der polnischen Hauptstadt veranlaßt.

 

Erika Steinbach – Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), hat sich mehrmals von der Preußischen Treuhand und ihren Zielen distanziert. Der damalige Treuhand-Chef Pawelka bewertete dies im November 2004 indessen als eine „Kehrtwende“: „Noch vor einem Jahr hat die BdV-Bundesversammlung entschieden, daß man im Zuge der EU-Osterweiterung alle rechtlichen Möglichkeiten, die die EU zur Heilung des Unrechts bietet, ausschöpfen will. Das ist der Klageweg.“ Erst im September 2008 hat Frau Steinbach zudem die Vertreibung der Jugoslawiendeutschen erneut als „Völkermord“ bezeichnet. Damit verbietet sich jede Anerkennung auch der damalien Enteignungen.

 

Donald Tusk – Polens Ministerpräsident hat das Straßburger Urteil lebhaft begrüßt. „Das ist das Ende, auf das wir zusammen seit dem Jahr 2004 hingewirkt haben“, erklärte er am Tag danach in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Steinmeier. Unklar ist, inwieweit dies als Einflußnahme auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verstehen ist.


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