© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-08 vom 18. Oktober 2008

Alternde Diva
von Manuela Rosenthal-Kappi

Wie wirklichkeitsfremd muß ein Mann, der sich als „Literaturpapst“ feiern läßt, eigentlich sein, wenn er behauptet, nicht gewußt zu haben, was ihn bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises erwartet? Schließlich wurde dieser schon zum zehnten Mal verliehen. Sollte Marcel Reich-Ranicki sich tatsächlich nur Sendungen auf arte und 3sat angesehen haben? Kaum vorstellbar. Wenn doch, müßte er sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er sich anmaßt, über eine Sache zu urteilen, die er gar nicht kennt. Und schließlich war Reich-Ranicki sich selbst nicht zu schade dafür, in Talk-Shows wie der von Entertainerin und Jury-Mitglied der Preisverleihung, Barbara Schöneberger, als Gast aufzutreten, um sich mit ihr Wortgefechte zu liefern, die einen Austausch von Beleidigungen darstellten. Keine Spur eines intellektuellen Gesprächs oder niveauvoller, bildungsfördernder Unterhaltung. Sicherlich kann man dem Deutschen Fernsehen vorwerfen, seine Zuschauer mit endlosen Wiederholungen von Krimi-Serien, Talk-Shows, Soaps und ähnlichem zu langweilen. Ein echter Dialog über Inhalte und Sendezeiten könnte Abhilfe schaffen, Beschimpfungen hingegen bewirken gar nichts. War Reich-Ranickis Wutausbruch vielleicht der peinliche Auftritt einer alternden Diva? – es gibt auch männliche –, deren Eitelkeit durch die Würdigung der von ihr minder geachteten Künstler verletzt wurde? Oder war es der letzte Versuch eines Stars, dessen Glanzzeit schon lange zurückliegt, noch einmal groß im Fernsehen herauszukommen? Das zumindest ist ihm gelungen. Er darf „Aus gegebenem Anlaß“ mit Thomas Gottschalk dis­kutieren. Schon wieder eine Talk-Show. Wie langweilig!