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18.10.08 / Becherklang und Burgruinen oder Wie der romantische Rhein kommerzialisiert und verkitscht wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-08 vom 18. Oktober 2008

Becherklang und Burgruinen
oder Wie der romantische Rhein kommerzialisiert und verkitscht wurde

Gerade in diesen Wochen zieht es Touristen aus aller Welt an den Rhein, um die Weinlese zu erleben. Schon in vergangenen Jahrhunderten waren Reisende von der Schönheit der Landschaft fasziniert.

Insbesondere Japaner und US-Amerikaner zieht es zum mittleren Flußlauf des Rheins, zu jener Strecke, die 2002 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Amerikanische und asiatische Touristen sind nicht nur eifrige Käufer von Kitsch-Souvenirs in den einschlägigen Läden zwischen Bonn und Bingen, sie sorgen auch dafür, daß in den Internet-Auktionshäusern Gemälde, Bierkrüge, Weingläser, Ansichtskarten, Feuerzeuge und weitere Kitschartikel über Kontinente hinweg den Besitzer wechseln.

Vor 200 Jahren war das mittlere Rheintal eine eher abgelegene Landschaft. Der Strom war noch ungebändigt, an seinen Ufern verträumte Städtchen, auf den Berghöhen verfallene Burgen. Die romantischen Dichter Clemens Brentano, rheinisch-italienischer Herkunft, und Achim von Arnim, märkischer Grundbesitzer, empfingen auf ihrer Rheinreise 1802 entscheidende Anregungen für ihre Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Das darin gesammelte Volksgut paßte in die mittelalterlich geprägte Kulisse, als die sich der Mittelrhein damals erleben ließ. An die Gräfin Schlitz schrieb Arnim: „Die Rheinländer sind ein so edles Volk wie ihr Wein ... In einen alten Mantel gehüllt, ohne Plan mit einem Freunde und einem Buche umherirrend, im Gesange der Schiffer von tausend neuen Anklängen der Poesie berauscht, ohne Tag und Nacht zu sondern ... – so möchte ich wohl noch einmal lebe ...“ Ein Jahr zuvor hatte Bren­tano seine Ballade „Zu Bacharach am Rheine“ über die verführerische Lore Lay veröffentlicht. Diese poetische Erfindung des Dichters führte zu einem Lorelei-Mythos, dessen Konkretisierung in Heinrich Heines Gedicht „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ (Erstveröffentlichung 1824) und der Vertonung durch Friedrich Silcher (1838) weltbekannt wurde.

Die Rheinromantik war nicht zu trennen von der Ausrichtung auf die mittelalterliche Kaiserherrlichkeit – ein wichtiger Beitrag zur geistigen Überwindung der französischen Fremdherrschaft. Der wortgewaltige Pommer (und Wahl-Rheinländer) Ernst Moritz Arndt faßte 1814 den politisierten Rhein-Mythos so zusammen: „Ihr seht das Land, das euch an die herrlichsten Arbeiten und Kämpfe eurer Väter mahnt, ihr seht die Ursprünge und Anfänge eures Volkes, die heiligsten Erinnerungen des Reichs der Deutschen, die Wiege eurer Bildung, die Städte, wo eure Kaiser gewählt, gekrönt und gesalbt wurden, die Grüfte, wo eure Kaiser, eure Erzkanzler, eure Erzbischöfe schlafen, die Denkmäler eures Ruhms und eurer Größe.“ Der Hannoveraner Friedrich Schlegel hatte dies schon 1806 auf die Formel gebracht: „Nirgends werden die Erinnerungen an das, was die Deutschen einst waren und was sie sein könnten, so wach wie am Rhein.“

Nach der Niederwerfung der Herrschaft Napoleons setzte eine Hochflut von Reisebeschreibungen über den romantischen Rhein ein, die meisten illustriert mit Stahlstichen. Becherklang und Burgruinen lockten viele deutsche Reisende ins Rheintal. Starker Zustrom kam aus England, vorwiegend Angehörige der Oberschicht. Das schönste Zeugnis für diese britische Rheinbegeisterung sind die einzigartigen Rheinlandschaften William Turners.

Dieser Rheintourismus wurde ermöglicht durch den Ausbau der Dampfschiffahrt auf dem Rhein. 1829 zählte man auf diesen Schiffen schon rund 120000 Fahrgäste, davon die Hälfte Briten. Ab 1860 wurde die Millionengrenze überschritten. Viele Reisende benutzten auch die Eisenbahn, deren Schienenstränge sich durch das enge Rheintal schlängelten.

Für den jungen niederrheinischen Schriftsteller Otto Brües war 1925 nicht mehr viel von der echten romantischen Schönheit des Rheins übriggeblieben. Was er sah, das war „der Rhein mit Vergnügungsreisen, mit Hallo und beschwipsten Gesängen, der Rhein als Ausbeutungsobjekt einer Industrie, der Rhein als Rummelplatz für die lieben Deutschen von nah und fern“ – so jedenfalls bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs: „das Dorado der Bowlentrinker“. Wenig gefühlsecht erschien dem Autor Brües auch der Rhein „der süßen Ansichtskarten, des rheinischen Mädels mit Reben im Haar, einen Pokal in der Hand und einer Pose, die das Vorbild niemals hat“.  Die beschwipsten Zecher stimmten und stimmen Karnevalslieder und (Operetten-)Schlager an, die Rhein, Weib, Wein und Gesang noch etwas flacher kombinierten. In Rüdesheims Drosselgasse überschlugen sich jahrzehntelang die Kitschorgien. Dort hat aber in den vergangenen Jahren eine Gegenbewegung eingesetzt, ausgehend von den Winzern und Gastwirten, die sich im globalen Wettbewerb behaupten müssen. Hinter der massentouristischen Verkitschung aller Elemente der deutschen Rheinromantik zeichnet sich heute eine Gefahr ab, die nur allzu leicht übersehen wird. Der Geburtenschwund der alteingesessenen Deutschen und der Zuzug von Menschen aus immer ferneren Ländern könnten in ethnischer Hinsicht das Erscheinungsbild der Orte am Rhein stark verändern. Touristen aus aller Welt würden die starken Verfremdungseffekte nur noch sehr schwer mit ihrem Traumbild jenes Ausschnittes von „Old Germany“ in Einklang bringen können, das sie an den Rhein geführt hat. Manfred Müller

Foto: Wiliam Turner: Die Lorelei (Wasser- und Deckfarbe, 1817; in Privatbesitz)


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