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25.10.08 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-08 vom 25. Oktober 2008

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,           

liebe Familienfreunde,

immer wieder führen in unserer Ostpreußischen Familie die Spuren zurück zu jenen Tagen, die für uns die schlimmsten waren und unvergessen blieben. Bis heute. Und sie treten vielleicht noch deutlicher hervor, weil jetzt über das damalige Geschehen offener diskutiert werden kann, da auch die Medien sich nicht mehr verschließen, sondern das Thema Vertreibung mehr oder weniger engagiert behandeln. Darüber wollen wir auf unserm Seminar „Die Ostpreußische Familie“ (27. bis 30. November im Ostheim, Bad Pyrmont) sprechen und somit die bereits auf dem letzten „Familien-Seminar“ im vergangenen November begonnene Themenaufarbeitung weiterführen. Damals sprach ich mit Frau Eleonore Kern, Königsbergerin wie ich, und sie zeigte mir den Abdruck eines Gruppenfotos mit Kindern aus dem polnischen Lager Potulice, in dem auch Frau Kern gewesen war. Ich wollte es gerne veröffentlichen und damit auch auf die von ihr mit begründete „Initiativgruppe zentrales Arbeitslager Potulice“ eingehen, zu deren Realisierung auch unser Ostpreußenblatt ein wenig beigetragen hat. Jetzt übersandte mir Eleonore Kern einen Abzug des Originalfotos und Informationen über die Aufarbeitung und Dokumentation der Vorgänge in dem polnischen Zwangslager, so daß ich nun darüber berichten kann. Damit schließt sich diese Dokumentation nahtlos an den umseitigen aktuellen Bericht über das Lager Brakupönen an.

Das Arbeitslager Potulice wurde 1941 von polnischen Häftlingen als Dependance des KZ Stutthoff erbaut. Das Geschehen bis 1945 wird dort dokumentiert, weithin sichtbar durch ein großes Ehrenmal für die im Lager verstorbenen polnischen 1200 Männer, Frauen und Kinder. Nach der Auflösung wurde das Lage erneut belegt, diesmal mit deutschen Zivilgefangenen. Viele haben es nie verlassen: 3000 ist die belegte Zahl der im Lager Verstorbenen. Auch der Bruder von Frau Kern ist darunter. Er verstarb im Alter von 17 Jahren nach dreijähriger Gefangenschaft. „Ich hatte den Wunsch, ihm ein Denkmal zu setzen“, sagt seine Schwester, die bereits mit dem ersten Transport im Dezember 1946 herauskam. Die Geschwister waren nach den Luftangriffen auf Königsberg zu Verwandten nach Konitz ge­schickt worden, mit denen sie dann bis Pommern flohen, aber dort von den Russen eingeholt wurden. Von diesen freigelassen, wurden sie von der polnischen Miliz festgenommen, in das Zuchthaus Krone/Brahe und dann nach Potulice bei Nakel/Netze gebracht.

Ein Denkmal setzen – aber wie und wo? Da las Frau Kern 1997 im Ostpreußenblatt einen kleinen Beitrag „Lagerüberlebende gesucht“. Dr. Gustav Bekker aus Elsterverda, der als Zehnjähriger nach Potulice kam, bat ehemalige Mithäftlinge, sich zu melden. „Das war meine Sache, da wollte ich mich engagieren!“ beschloß sie und meldete sich sofort bei Dr. Bekker. Sie gründeten eine Initiativgruppe, der bald über 100 Mitglieder angehörten, und konnten bereits ein Jahr später auf dem Friedhof von Potulice einen Gedenkstein für die deutschen Toten einweihen. Sie traten auch in Verbindung zu ehemaligen polnischen Gefangenen unter dem Leitgedanken der „Versöhnung über Gräbern“, fahren in jedem Jahr zur Kranzniederlegung nach Potulice und haben ihre Initiative auf Schulpartnerschaften und sogar auf Landkreis-Partnerschaften ausgeweitet. In der Schule des Ortes wurde eine kleine Gedenkstätte – sie nennen es „Museum“ – eingerichtet, viele Ehemalige haben schon mit Erinnerungsstücken zur Ausstattung beigetragen. So befindet sich auch das Originalfoto des hier veröffentlichten Bildes in der Schule von Potulice. Es zeigt die aus dem Lager entlassenen Kinder auf dem Weg nach Deutschland im Januar 1948 in Breslau. Dort lagen die Kinder drei Monate lang in Quarantäne, weil eine ansteckende Krankheit ausgebrochen war. Insgesamt verließen 155 Kinder das Lager, auf dem Foto sind nur die zu sehen, die etwas Ordentliches zum Anziehen hatten. Fast alle Mädchen tragen Mützen wegen der sehr kurzen Haare. „Solch eine trug ich auch, als ich aus dem Lager kam“, erinnert sich Frau Kern, „obgleich ich schon 18 war! Ich setzte sie nie ab.“ Vielleicht erweckt dieses Fotos auch bei unseren Leserinnen und Lesern Erinnerungen, denn es dürften viele Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen im Lager gewesen sein, die auf der Flucht festgenommen wurden so wie Frau Kern und ihr Bruder. (Anschrift von Frau Eleonore Kern: Hinterer Brühl 11 in 31134 Hildesheim, Telefon/Fax 05121/12720, E-Mail: jkernp@vr-web.de.)

Alte Fotos in unserer Familienkolumne, die bewegen schon was. „Ganz zufällig“, fiel Herrn Rolf Gabel eine PAZ in die Hand – es war die Folge 34 und sie enthielt eine alte Aufnahme der Molkereischule Karschau im Samland. Frau Marlies Stern hatte es mir übersandt, es war ihr von der Besitzerin, Lucie Rims-Blenck, zur Weitergabe an uns überlassen worden. „Vielleicht erinnern sich noch alte Karschauer, wenn sie das Foto sehen?“ hatte ich gefragt, und Herr Gabel dachte sofort an seine Frau Hannelore, denn diese wurde 1939 in Gr. Karschau geboren. Und da sie bis nahezu 1946 dort gelebt hat, wurden die Erinnerungen an ihre Geburtsheimat wieder lebendig, zumal Frau Gabel vor einigen Jahren mit ihren älteren Geschwistern dort gewesen war. Sie entdeckten immerhin einen Tümpel, einen der ehemals drei Teiche auf dem Gutsgelände, und einen Silostumpf mit Einschüssen, der zu einer eigenwilligen Art von Wohnung ausgebaut wurde. Von dem eigenen Haus an der Straße nach Ponarth fanden sie nichts mehr. Aber nun zwingt der Zufall – nämlich die Entdeckung des Fotos – zu Ergänzungen und zu neuen Fragen, die zuerst einmal an Frau Rims-Blenck gestellt werden, was hiermit über diese Veröffentlichung geschieht, weil ich ihre Anschrift nicht habe, vielleicht melden sich aber auch noch andere Leser. Der Vater von Frau Hannelore, Johann Santow­ski, war auf dem Rittergut der Familie Sachsen seit etwa 1937 als Oberschweizer tätig. Als die Gutsfamilie Groß Karschau wegen der drohenden Kampfhandlungen verließ, übertrug sie Herrn Santowski die Aufgabe, sich um das Vieh zu kümmern. Allerdings wurde der Oberschweizer noch zum Volkssturm eingezogen. Er hatte aber noch, als die Scheunen schon brannten, das Vieh losgebunden und die Türen geöffnet, damit es in den Ställen nicht umkam. Das besagen die Erinnerungen seiner Tochter. Sicher wird Frau Rims-Blenck, wenn die in Italien lebende Marlies Stern ihr diese Veröffentlichung übermittelt, dazu Stellung nehmen. (Rolf und Hannelore Gabel, Westen 15 in 42855 Remscheid.)

Der Zufall spielt auch im nächsten Frage-Antwort-Komplex eine Rolle, und in diesem Fall bin ich die – nicht zufällige – Vermittlerin. Zuerst geht es um die Suche nach vermißten Landesschützen in Mohrungen und damit um den Verbleib seines vermißten Vaters, die Herr Eckard Bernecker uns übertragen hatte. Die Veröffentlichung erfolgte in Folge 40, und prompt meldete sich bei ihm telefonisch ein Herr Lange, dessen Vater auch wie der Gesuchte der 6. Kompanie des 224. Bataillons der Landesschützen in Mohrungen angehört hatte. Herr Lange stammte aus der Nähe von Liebstadt und war 1945 bereits 14 Jahre alt, konnte also viele Einzelheiten berichten. Herr Bernecker notierte sich keine Daten, auch nicht die Anschrift des Anrufers, da dieser sagte, daß er bereits eine Karte mit diesen Angaben an Herrn Bernecker abgesandt hätte. Auf die wartete der Empfänger bis zu seinem erneuten Schreiben an mich vergebens – bei der Post geht es eben nicht so schnell und mitunter auch gar nicht, ich denke da an meinen verschwundenen Sammelbrief mit Leserzuschriften! –, aber nun kommt Kollege Zufall ins Spiel. Denn Herr Lange hatte am Telefon angedeutet, daß er an mich in einer anderen Angelegenheit geschrieben habe, und das ist der Fall. So kann ich also Herrn Bernecker die Anschrift des für ihn so wichtigen Anrufers übermitteln, aber auch gleichzeitig den Wunsch von unserm Leser Leo Lange bringen.

Und der ist schwierig, sehr schwierig sogar – aber vielleicht hilft auch wieder der Zufall mit, denn es geht um eine Fernsehsendung, von der weder Titel noch Sender noch Sendedatum bekannt sind. Herrn Langes Schwester hatte kürzlich diesen Fernsehbericht gesehen, in dem auch eine Aufnahme gezeigt wurde, auf dem der letzte deutsche Kaiser mit Leo Langes Großvater und seinem Vater als kleiner Junge zu sehen war. Das Foto muß vor dem Ersten Weltkrieg in Cadienen, der kaiserlichen Sommerresidenz, gemacht worden sein, denn der Großvater war zu jener Zeit Bürgermeister von Frauenburg. Vielleicht auch an einem anderen Uferplatz am Frischen Haff, denn der kleine Junge – sein Vater – ist auf dem Bild barfuß. Bei einem offiziellen Besuch „bei Kaisers“ hätte er wohl Schuhe und Strümpfe getragen! (Wieder denke ich an Erminia von Olfers-Batockis so schönes „Wat es tohuus?“-Gedicht, in dem es von unserm Kinderland Ostpreußen heißt: „Barfootkes manke witte Sand …“, man spürt ihn noch zwischen den Zehen!) So, Kollege Zufall, komm: Wer hat diese Sendung gesehen, erinnert sich dabei an die Aufnahme mit Kaiser Wilhelm II. und kann wenigstens sagen, in welchem Programm sie gesendet wurde. (Leo Lange, Brahmsweg 15 in 78713 Schramberg, Telefon 07422/52928.)

Es ist schon erstaunlich, welch ein Hoffnungsträger unsere Ostpreußische Familie ist – nicht für unsere treuen Leserinnen und Lesern, die wissen es, kennen aber auch unsere Grenzen, aber für diejenigen, die von irgendwo her und von irgendwem den Tipp bekommen haben, sich an uns zu wenden. Und uns dann mit einer Fülle von Wünschen überhäufen, als verfügten wir über Archive und Karteien, die für jede Frage eine erschöpfende Antwort enthielten. Aber vielleicht sind findige Köpfe, eine nie versiegende Hilfsbereitschaft und die in Kopf und Herz bewahrte Erinnerung an die Heimat wichtiger. Das hat sich schon oft gezeigt, und deshalb reißt die Kette der Suchwünsche nicht ab.

 

Eure Ruth Geede

Foto: Auf dem Weg nach Deutschland im Januar 1948 in Breslau: Die entlassenen Kinder vom Arbeitslager Potulice in Begleitung einer Schwester und eines Pfarrer mit Familie


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