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25.10.08 / Prächtige Bauten, berstende Mauern / Breslau: Eine Kulturstadt zwischen glanzvoller Vergangenheit und europäischer Zukunft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-08 vom 25. Oktober 2008

Prächtige Bauten, berstende Mauern
Breslau: Eine Kulturstadt zwischen glanzvoller Vergangenheit und europäischer Zukunft

Die im Zweiten Weltkrieg zu 70 Prozent zerstörte schlesische Metropole begeistert durch wiedergewonnenen alten Glanz.

„Blickst du vom Zobten, dann schaust du rundum ‚Schlesisches Himmelreich‘, wie es ist, wie es war, wohl auch, wie es immer sein wird. Denn dieser Berg, den sie den heiligen nannten, mitten im Herzen des ,zehnfach interessanten Landes‘ (Goethe), ist mehr als ein einzigartiger Aussichtspunkt; er ist Ursprung und Mitte, Symbol, und Wirklichkeit, schön und schlicht, wechselhaft und beständig – er ist Schlesien.“

Ja, der 717 Meter hohe Vulkanberg ragt immer noch wie ein erdgeschichtliches Monument aus der grünen und blauen Tiefebene, wegweisend in eine große Vergangenheit, eine zwiegespaltene Gegenwart und eine unklare Zukunft. Unverändert sind die kultischen Skulpturen aus der heidnischen Zeit auf interessanten Wanderwegen zu besichtigen. Die zu 50 Prozent im Kriege zerstörte gleichnamige Stadt wurde neu aufgebaut. Das alte Ausflugsziel, besonders zum „Heiratsmarkt“ am Himmelfahrtstag, ist wieder eine Attraktion, speziell für die nahe wohnenden Breslauer.

Wenn der erhabene Berg dennoch für manchen Besucher, hauptsächlich für die aus dem Westen, von Wolken umhüllt erscheint, dann liegt es an dem wechselhaften Aus- und Rundblick auf das Schlesien von heute – besonders mit dem inneren Auge. Schöne und unschöne Seiten liefern ein herzbewegendes Kontrastprogramm.

Plötzlich reißt der Himmel auf und wir sehen im Norden – fast wie eine fabelhafte Fata Morgana – die Turmspitzen von Breslau im hellen Sonnenlicht herüberblitzen. Von nah betrachtet, nimmt der Anblick der vielen prächtigen Bauten schnell das Auge gefangen. Nur stichwortartig sind sie hier zu erwähnen: der verspielt wirkende Hauptbahnhof im Stil der Gründerjahre, eines der wenigen erhalten gebliebenen Gebäude des im Kriege zu 70 Prozent zerstörten Breslau; das Universitätshauptgebäude, größter Barockbau der Stadt, der sich 170 Meter weit in der Oder spiegelt.

Nahe am Strom stehen auch einige der schönsten Kirchen: auf der Dominsel, dem ältesten Stadtteil, die Kreuzkirche und der Dom mit dem 96 Meter hohen Turmpaar (Weltkulturerbe); am Eingang erinnert eine Tafel an den letzten deutschen Bischof, den 1945 verstorbenen Adolf Bertram. Am Ring (Rynek) steht an der Elisabethkirche ein Denkmal für den 1906 in Breslau geborenen evangelischen Theologen Dieter Bonhoeffer, den Märtyrer der Hitler-Diktatur. Auf dem jüdischen Friedhof ruht der ebenfalls aus Breslau stammende Arbeiterführer Ferdinand Lassalle. Zahlreiche andere Berühmtheiten haben den Namen Breslau bekannt gemacht: Angelus Silesius, Adolph von Menzel und Gerhard Langhans, der Erbauer des Brandenburger Tores. In die Reihe der bedeutenden Schlesier gehören ferner Andreas Gryphius, Gustav Freytag, der Großmeister der Romantik Joseph von Eichendorff und natürlich Gerhart Hauptmann.

Der schönste Breslauer Profanbau ist das Rathaus mit seinem phantasievoll gestalteten gotischen Giebel und einer astronomischen Uhr aus dem 16. Jahrhundert. In anderer Weise einzigartig ist die Jahrhunderthalle. Das 1913 zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig errichtete Gebäude, ein Werk von Stadtbaumeister Max Berg, hatte die erste Kuppelwölbung aus Stahlbetonrippen in Europa, eine für fast unmöglich gehaltene kühne Konstruktion. Sie steht bis heute und zieht Tausende Besucher zu aller Art Großveranstaltungen an. Kein Zweifel: In der wieder 640000 Einwohner zählenden Metropole, deren polnischer Name „Wroclaw“ heute der offizielle ist, schlägt das Herz der Woiwodschaft Niederschlesien wie einst das Breslaus als Hauptstadt der Provinz Schlesien.

Wenden wir den Blick vom Zobten nach Westen. Nur halb so weit entfernt wie die Hauptstadt ist Schweidnitz zu erkennen. Hier Station zu machen, ist ein Muß. Die vom Krieg verschonte Altstadt ist in ihrer Gemütlichkeit einen Besuch wert. Das Besondere aber wartet am Rand von ihr: die kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg entstandene Friedenskirche. Die Schweden erzwangen den Bau als Gotteshaus für die neue protestantische Konfession; die katholische Bischöfe setzten aber strenge Auflagen durch: außerhalb der Stadtmauern, nur aus Holz, Lehm, Sand und Stroh. Der schlichte, doch anheimelnde Fachwerkbau verbirgt einen überwältigenden Schatz an meisterhaften Schnitzwerken, Täfelungen, Malereien, der den Betrachter stumm vor Staunen macht. Bis zu 7500 Besucher strömten einst in dieses einzigartige Gotteshaus. Heute zählt die Gemeinde nur noch 150 Mitglieder. Jede zweite Woche gibt es einen deutschsprachigen Gottesdienst. Einst war Niederschlesien zu 68 Prozent evangelisch, hingegen Oberschlesien zu 88 Prozent katholisch.

Wer es wagt, abseits dieser Herrlichkeit die kleineren Ortschaften zu besuchen, der muß sein Herz in beide Hände nehmen. Denn er reist nun in ein Meer der Verlassenheit, in dem die prachtvollen Kirchen wie strahlende Leuchttürme wirken. Allenthalben Verfall. „Der deutsche Putz fällt ab“, hören wir. Doch hier geschieht mehr: Die alte Welt bricht zusammen. Schon Gerhart Hauptmann notierte kurz nach Kriegsende: „Was für die Ewigkeit gemauert schien, zerbröckelt knisternd, knirscht und wankt im Grund.“ Nun aber – 60 Jahre später – bersten die deutschen Mauern. Das Alte vergeht.

Alleingelassen kümmert das Land dahin, in dem Könige, Fürsten, Bauern und Händler sich wohlfühlten. Wo selbst die armen Weber ein Zuhause hatten, wie heute noch in der alten Weberstadt Schömberg an und in den „Elf Aposteln“, ihren alten Holzhäusern, zu sehen ist. Die dahinsiechenden ehemals stolzen Ortschaften sind schwer gezeichnet von der veränderten Welt: farblos, rissige Wände, Fensterhöhlen; nur noch gelegentlich der Versuch, ein Haus wohnlich erscheinen zu lassen; selten – und überwiegend sogar modern gestaltet – Neubauten wie Fremdkörper. Gibt es hier überhaupt noch nennenswerte Einwohnerzahlen? Darum zum Schluß die Frage: „Wie viele Deutsche leben hier noch? Wieviele polnische Neubürger? Und wie ist das Verhältnis unter ihnen?“ Antwort: „Dazu ist nichts zu sagen. Denn es gibt praktisch keine Deutschen mehr. Meine Landsleute haben 1945/46 alle Niederschlesier vertrieben. Die Oberschlesier hingegen wurden per Dekret zu Polen gemacht und durften nicht hinaus.“ In Zahlen: Gegenüber 4718000 angestammten Einwohnern im Jahre 1944 leben heute (Volkszählung 2002) in Schlesien noch 140895 Deutsche (1,61 Prozent der Gesamtbevölkerung), davon in der Woiwodschaft Niederschlesien 2158 (0,07 Prozent) sowie in den vom Territorium her etwa Oberschlesien entsprechenden Woiwodschaften Oppeln und Schlesien 106855 (10,03 Prozent) beziehungsweise 31882 (0,67 Prozent).

Vor der Breslauer Kirche Maria auf dem Sande steht nun ein Denkmal für Bischof Boleslaw Kominek mit seinem Wort „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Die deutschen Bischöfe beider Konfessionen haben solche Bekenntnisse lange Jahre vorher abgelegt, und die Vertriebenen haben in ihrer Charta bereits 1950 auf Gewalt verzichtet und sich zu einem „Europa ohne Furcht und Zwang“ bekannt. Zur Vergebung gehört immer der Neuanfang.         Helmut Peitsch

Foto: Buntes Treiben: Breslau ist mit 640000 Einwohnern heute wieder eine pulsierende Stadt.


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