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25.10.08 / Der Zauber der Bucht der brüllenden Wasser / Cape Clear: Ein Kleinod am Rande Europas – Die Insel ist eine der letzten Bastionen der irischen Sprache

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-08 vom 25. Oktober 2008

Der Zauber der Bucht der brüllenden Wasser
Cape Clear: Ein Kleinod am Rande Europas – Die Insel ist eine der letzten Bastionen der irischen Sprache

Wenn die junge Mary so richtig verliebt ist und bereit zum ehelichen Bund, dann trifft sie sich heimlich mit ihrem Geliebten in den Hügeln. Dort steht ein alter keltischer Monolith mit einem Loch in der Mitte. Sie geht auf die eine Seite, er auf die andere. Beide strecken einander durch die Öffnung ihre Hände entgegen, der Bund ist besiegelt, unwiderruflich. Dann erst kann der Pfarrer kommen.

Der Druidenstein findet sich auf der Insel Cape Clear (gälisch: Oilean Ciaran), einem Felskegel inmitten der wogenden Brandung des blauen Atlantik am Rande der europäischen Welt. Er gehört zu Irland, gerade 120 Menschen leben dort und fühlen sich als eine der letzten Bastionen keltischen Lebens und gälischer Sprache. In den Kneipen hocken die alten Zausel des Eilands, etwa im alteingessenen „Cotters“ am sogenannten Nordhafen, trinken ihr „Murphey“ (guinessverwandtes Dunkelbier aus Cork), und wenn sie sich zuprosten, sagen sie nicht etwa „Cheers“, sondern „Slanter“, das gälische Wort dafür.

Cape, gerade mal vier Kilometer lang und zwei breit, eine Brutstätte seltener Vögel, ein Kleinod, auf dem sommers der wilde Fingerhut die Hänge bedeckt und selbst winters der goldgelbe Stechginster blüht, auf dem die Zeit stehengeblieben scheint, wenngleich auch neuerdings für die Besucher einige moderne Herbergen gebaut wurden. Es war in den 70er Jahren der Geheimtip für Freaks, eine Jugendherberge war alles, was sie ihnen an Komfort zu bieten hatte, Strom gab es aus einem klapprigen Dieselaggregat am Hafen nur abends (heute besorgen das Windgeneratoren), damit die wenigen Glühbirnen leuchten konnten, ansonsten herrschte finstere Nacht, und Mond und Sterne waren die einzigen Lichtquellen, wenn nicht gerade die atlantischen Nebelschwaden über das Eiland wogten. Dann fingerte der Schein des berühmt-berüchtigten Leuchtfeuers vom benachbarten Fasnet Rock durch die milchige Suppe und zeigte an, wo Westen ist. Das tut er auch heute noch. Die rauhe Segelregatta, das Fasnet-race, bei der auch schon mal in den oft sturmgepeitschten Gewässern einige Segler ihr Leben ließen, geht an den Einheimischen vorbei.

Im Winter, oft bis Ostern und neuerdings auch zu anderen Zeiten brüllen die großen Atlantikstürme um das Inselchen, werfen oft haushohe Brecher an ihre Gestade. Nicht umsonst heißen die Gewässer dem Festland zu die „Bucht der brüllenden Wasser“. Diese Starkwinde sind es auch, die einen Baumbewuchs verhindern. Lediglich ein paar Krüppelkiefern ducken sich wie die Ziegen in den Senken und lassen auf den wenigen Feldern, etwa der alteingesessenen Familie O‘Donhogue, lediglich ein paar Runkelrüben gedeihen. Sie ist eine der beiden Sippen, die andere sind die O‘Driscolls, die neuerdings als Motor der neuen Zeit etwas Fremdenverkehr anlocken. Ein O‘Driscoll war einst ein gefürchteter Pirat aus der am Festland gegenüber liegenden Siedlung Baltimore, aber in der Hauptsache waren sie das herrschende Geschlecht in der Region und auch die Könige der Insel, auf der die Ruinen von Dunamor-Castle vom bescheidenen Glanz dieser frühen Zeiten nach den ersten zehn Jahrhunderten zeugen. 

Während der Orkane lohen in den Böhen die Kaminfeuer wild auf, kaum ein Mensch wagt sich nach draußen. Die Einwohner erzählen sich allerlei Geschichten, und lange Jahre schickten sie einen weißhaarigen Alten, den „blind man“ vor, um die wahre Gesinnung von Neuankömmlingen mit seinem fast übersinnlichen Gespür zu prüfen. Erst, wenn er gut sagte, taute das mißtrauische Völkchen etwas auf. Früher lebten auch schon mal 600 Personen und mehr auf der Insel, besonders zu Napoleons Zeiten, als der französische Kaiser die Insel als eine seiner Bastionen für die Blockade gegen England nutzte und seine Fregatten in der Bucht des Südhafens vor Anker lagen. Denn Fastnet und Cape waren die Ansteuerungspunkte für alle Transportschiffe aus der neuen Welt. Er erbaute auch den alten

Leuchtturm, hoch auf den Klippen, der Fastnet-Leuchtturm kam erst viel später.

Die Caper sind anders als die Festlandsiren. Sie hielten ihre isolierte Bastion, mehr als 20 Kilometer vor der Küste, ungeachtet aller Ereignisse auf der Grünen Insel über all die Jahrhunderte hinweg, heirateten untereinander und dürfen als die Überlebenden der ursprünglichen Milesain-Rasse gelten, deren Spuren sich sonst in grauer Vorzeit verlieren. Jeden September halten sie das „Cape Clear International Storytelling Festival“ ab, und dabei tritt auch schon mal eine schwarze Erzählerin wie etwa Jan Blake auf. Auch sonst gibt es für Angler, Segler und Taucher nach alten Schiffswracks neuerdings allerhand Angebote, die neue Zeit hat nach der beschaulichen Idylle gegriffen, aber nie ein Massentourismus. Ihre herbe, romantische Landschaft, hautnah am Ozean, ist etwas für Individualreisende, die Ruhe suchen und den Zauber des mystischen Eilandes genießen.         Joachim Feyerabend


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