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01.11.08 / Doppeltes Gedächtnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

Doppeltes Gedächtnis
von Harald Fourier

Doppelgedächtnis“ hieß die Veranstaltung der „Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa“ Ende Oktober, die verdeutlichte, daß die Länder Osteuropas zwar inzwischen in der EU angekommen sind, ihre Bewertung der letzten 65 Jahre aber oft anders ist als im Westen. So hat sich beispielsweise im Westen Deutschlands und Europas seit Mitte der 80er Jahre nach und nach die Vorstellung durchgesetzt, daß der 8. Mai 1945 ein „Tag der Befreiung“ war. Diese Auffassung ist schon fast regierungsamtlich vorgegeben und wird nur von wenigen in Frage gestellt. In Osteuropa sieht man das jedoch anders. Dort herrscht die Auffassung vor, daß sich die  Kommunistenherrschaft nahtlos an die der Nazis anschloß. „Wie könnt ihr da von Befreiung reden?“ fragen viele Ungarn, Polen, Rumänen, Slowaken oder Esten verständnislos. Und viele Mittel- und Ostdeutsche teilen diese Auffassung.

Diese zwei Geschichtsbilder passen nicht zusammen. Und doch sind sie zwei Seiten ein und derselben Medaille. Europa wächst zusammen. Was wird aus der Geschichtsschreibung? Mit dieser Frage beschäftigte sich vor einer Woche eine Vortragsveranstaltung im Foyer der Dresdner Bank am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. An einem Ort also, wie er geschichtsträchtiger kaum sein könnte. Die Stiftung Aufarbeitung hatte zwei Prominente für eine Diskussion gewinnen können, von denen einer aus dem Westen kommt, der andere aus dem Osten.

Die frühere lettische Präsidentin Vike Freiberga beklagte, daß es nie einen „Nürnberger Prozeß“ zu den Verbrechen des Kommunismus gegeben habe. Statt dessen seien Intellektuelle massenhaft „wie Schafe“ der Ideologie von Marx und Engels nachgelaufen

Nach ihr sprach Stefan Courtois, der Ex-Maoist und Autor vom „Schwarzbuch des Kommunismus“, das die Verbrechen der anderen totalitären Ideologie auflistet. Vor zehn Jahren wollte er sein Buch in Berlin vorstellen, wurde aber vom linken Mob daran gehindert und mußte unter Polizeischutz den Saal verlassen. Dieses Ereignis, an das Courtois erinnerte, ist symptomatisch für die „gloriose Erinnerung an den Kommunismus“ wie sie in Westeuropa gepflegt wurde und wird. Wer den Kommunismus befürwortet, für den war der Mai 1945 natürlich eine Befreiung.

Diese unterschiedlichen Sichtweisen auf das Kriegsende 1945 spiegeln auch die rein nationale Sichtweise historischer Ereignisse wider. Der EU-Integration zum Trotz ist das Denken der Bürger in Europa nach wie vor in nationalen Dimensionen verhaftet. Eine „europäische Öffentlichkeit“ mit gleichen Wertvorstellungen, die es schon in der alten EU nicht gab, gibt es jetzt – vier Jahre nach der Osterweiterung – erst recht nicht.


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