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01.11.08 / Bayerns Uhren wieder stellen / Ministerpräsident Horst Seehofer steht vor großen Herausforderungen – Beckstein zeigt Stil

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

Bayerns Uhren wieder stellen
Ministerpräsident Horst Seehofer steht vor großen Herausforderungen – Beckstein zeigt Stil

Horst Seehofer ist Bayerns neuer „starker Mann“. Im Schnellverfahren wurde der 59jährige Ingolstädter von der CSU zum Vorsitzenden gekürt, von Bundespräsident Horst Köhler als Bundesminister entlassen und vom Landtag zum Chef einer schwarz-gelben Koalitionsregierung gewählt.

In Bayern gehen die Uhren anders – wenn man einst Franz-Josef Strauß mit dieser Plattitüde konfrontierte, pflegte er schmunzelnd zu ergänzen „nämlich richtig“. 20 Jahre nach dem Tod des weiß-blauen Übervaters aber scheint einiges nicht mehr richtig zu ticken im Freistaat. Trotz anhaltender Erfolge mit bundesweiten Spitzenwerten in wirtschaftlich und sozial relevanten Eckzahlen büßte die staatstragende Partei ihre Vormachtstellung ein und verlor nach 46 Jahren die Mehrheit der Stimmen und Mandate.

Nun sollen Bayerns Uhren wieder anders, also richtig gehen. Bei der Wahl Horst Seehofers zum Ministerpräsidenten versuchte die CSU, endlich wieder Geschlossenheit zu demonstrieren. Was ihr beim ersten Test aber nicht völlig überzeugend gelang: 104 Abgeordnete stimmten für den Kandidaten, vier weniger als das Potential der zwei Stunden zuvor besiegelten christlich-liberalen Koalition. Die FDP versichert, ihre Fraktion habe geschlossen für den neuen CSU-Chef gestimmt – durchaus glaubwürdig, da es keinen plausiblen Grund gibt, daran zu zweifeln. Folglich haben vier Partei-„Freunde“ sich der Fraktionsdisziplin versagt. Da waren wohl noch ein paar alte Rechnungen offen.

Seehofer war gut beraten, alle Personalfragen so lange wie möglich auszublenden. Anders als Hessens Andrea Ypsilanti vermied er es, sich durch vorab veröffentlichte Kabinettslisten Ärger einzuhandeln. Als die Abgeordneten am Montag in München zur Wahl schritten, konnte kein CSUler sicher sein, nicht für irgendein Amt in Frage zu kommen. Da sind Racheakte nach dem Motto „Jetzt wäre ich doch dran gewesen“ eher unwahrscheinlich.

Ein Unterschied zur bevorstehenden Ministerpräsidentenwahl in Wiesbaden ist allerdings auch darin zu sehen, daß Schwarz-Gelb in Bayern sich auf eine satte Mehrheit von 14 Stimmen stützen kann, Hessens rot-grün-rote Volksfront hingegen nur auf eine einzige Stimme. Da ist der disziplinierende Druck auf jeden einzelnen Abgeordneten doch ungleich stärker.

Mit seinem Ergebnis im Landtag konnte Horst Seehofer also zufrieden sein; es ist zumindest eine passable Basis für die schwierigen Aufgaben, die nun vor ihm stehen. Anders der Sonderparteitag zwei Tage zuvor. Da mußte die Partei sich hinterher so einiges krampfhaft zur „neuen Debattenkultur“ schönreden. Denn die Wunden, die sich die Partei in der jüngeren Vergangenheit selber zugefügt hat, sind erkennbar noch nicht verheilt. Es bedarf noch viel Seelenmassage, bis Franken und Altbayern wieder an einem Strang ziehen. Die Art, wie man Günter Beckstein nach einem schwierigen Jahr als Regierungschef, aber nach 14 sehr erfolgreichen Jahren als Innenminister politisch entsorgte, empfinden nach wie vor viele als schäbig.

Das macht es für Seehofer nicht leichter, bei der Berufung der Minister und Staatssekretäre sowie der Besetzung zahlreicher weiterer Posten stets das rechte Maß zu finden. Landsmannschaftlicher Proporz war in Bayern schon immer ein besonders heikles Thema. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Seehofer verweist bei jeder Gelegenheit darauf, daß es neben Altbayern, Franken und Schwaben einen weiteren „Stamm“ gibt: die Heimatvertriebenen. Neben den Sudetendeutschen können also auch die Ostpreußen davon ausgehen, daß der Freistaat seine patenschaftliche Verantwortung nicht einschränken wird.

Anders als die CSU kann Seehofers Koalitionspartner den Durchmarsch von der außerparlamentarischen Opposition auf die Regierungsbank in vollen Zügen genießen. Ungetrübt von internen Querelen ging die FDP in die Koalitionsverhandlungen und konnte auch einige Erfolge verbuchen. Beim Rauchverbot war Seehofer ohnehin auf locker-liberalem Kurs, der Bau der dritten Startbahn am Münchner Flughafen war ebenso unstrittig wie die Forderung nach längeren AKW-Laufzeiten. Zwar ließ sich die CSU in der Schulpolitik nichts Substantielles abhandeln, dafür kam sie den Liberalen in der Innen- und Rechtspolitik deutlich entgegen. Doch auch hier berührte nur ein Punkt (Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im Standesamt statt beim Notar) christliche Grundwerte. Was Seehofer nicht gerade zum Hoffnungsträger der konservativen Restbestände in der Union macht.

Horst Seehofer, Bayerns neuer „starker Mann“, gilt vielen als unberechenbarer Querulant, eine Wertung, die indes zu kurz greift. Er hat mehr als einmal bewiesen, daß er zu eigenen Grundüberzeugungen auch dann steht, wenn ihm das persönliche Nachteile bringt. Solche Prinzipientreue wird er weiterhin dringend brauchen, wenn er den hohen Erwartungen gerecht werden will.

Was innere Souveränität ist, demonstrierte sein Vorgänger wenige Stunden, nachdem er seinen Schreibtisch in der Staatskanzlei geräumt hatte.

Für diesen Montagabend hatte Günther Beckstein seit längerem einen Vortrag in der St. Anna-Kirche in Augsburg zugesagt. Trotz der aktuellen Turbulenzen sagte er nicht ab, sondern kam, sprach und genoß den von Herzen kommenden Zuspruch des Publikums. Sein Thema paßte zum Tage: „Von der Macht und Ohnmacht des Politikers“.             Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: Überzeugungskraft: Seehofer hat die Fähigkeit, kritische Versammlungen unter Applaus wieder zu verlassen.


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