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01.11.08 / Autoland bald abgebrannt? / Energiepreise, Finanzkrise und »normaler« Abschwung: Die Autoindustrie steckt in einer schweren Krise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

Autoland bald abgebrannt?
Energiepreise, Finanzkrise und »normaler« Abschwung: Die Autoindustrie steckt in einer schweren Krise

Wenn die Aussichten unsicher werden, wird als erstes der Kauf eines neuen Autos zurückgestellt. Diese simple Logik hat in Deutschland, aber auch in den USA und Japan die Autoindustrie in eine massive Krise gestürzt. Die Finanzkrise ist dabei keineswegs die einzige Problemursache.

Es klang wie eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede, als Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche folgenden Appell an seine Mitarbeiter richtete: „Was wir jetzt angesichts der aktuellen Situation vor allem brauchen, ist die richtige Mischung aus Kampfgeist und Durchhaltevermögen.“ Mut und Zuversicht werden diejenigen, die „beim Daimler schaffen“, auch brauchen können. Aufgrund des Absatzeinbruchs werden ab 11. Dezember für fünf Wochen die Bänder stillstehen. Die neuen Quartalszahlen sind katastrophal, bereits das zweite Mal in diesem Jahr korrigierte der Konzern die Prognose für das Ergebnis vor Steuern und Zinsen von sieben Milliarden Euro im Sommer auf jetzt sechs Milliarden Euro. Die erneute Gewinnwarnung brachte die Daimler-Aktie zum Purzeln.

Doch nicht nur die stolze Marke mit dem Stern ist in die Krise geraten. Bei VW stehen angeblich sogar 25000 Leiharbeiterstellen auf der Kippe. Es wäre zu billig, das ganze Desaster auf die grassierende Finanzkrise zu schieben. Gerade in Deutschland, wo jeder siebte Arbeitsplatz von der Autoindustrie abhängt, haben die Hersteller jahrelang schlicht geschlafen. Die Kunden wählen wegen rasant gestiegener Spritpreise und der Diskussion über den Klimawandel kleinere Modelle. Da der Euro nicht mehr so locker sitzt wie früher, lassen viele das Auto auch schon mal stehen und steigen auf öffentliche Verkehrsmittel um. Und bei der Suche nach alternativen Antriebssystemen haben sich Audi, BMW, Mercedes und Co. in den vergangenen Jahren auch nicht unbedingt hervorgetan. Eine Technologie wie den Hybridantrieb überließen die deutschen Hersteller jahrelang ganz ihren japanischen Wettbewerbern.

Die Entwicklung ist nicht neu. Schon seit 1998 ist die Autoproduktion im Inland trotz teilweise stark wachsender Umsätze der Unternehmen rückläufig. Wichtige Auslandsmärkte wie der westeuropäische und der nordamerikanische stoßen an ihre Sättigungsgrenze. Regelrechte Rabattschlachten haben der Branche schwer zugesetzt. Zusätzlich sorgt die Finanzkrise dafür, daß die Menschen in Europa sich beim Autokauf zurückhalten. „Und dies ist nicht die einzige Verunsicherung der Konsumenten“, ergänzt der Automobilexperte Uwe Röhrig, Inhaber des Beratungsunternehmens International Car Concept (ICC). „Viele Autofahrer sind der Auffassung, daß die wirklich spritsparenden Automodelle erst in ein paar Jahren verfügbar sind. Das Hin und Her bei den Umweltzonen und den damit zusammenhängenden Fahrverboten, bei denen der normale Bürger ähnlich wie beim Rauchverbot schlicht nicht mehr durchblickt und deren Nutzen zumindest angezweifelt werden darf, führt auch nicht dazu, daß Ruhe im Markt einkehrt. All das, was die große Politik unter dem neuen Zauberwort Klimaschutz plant, ist für die Leute ziemlich undurchsichtig. Die fast schon natürliche Folge: Der Automobilabsatz in Deutschland bricht ein“, so der ehemalige Mercedes-Vertriebschef.

Auch die weitgehend von kleinen und mittleren Unternehmen geprägte Zulieferindustrie wird arg gebeutelt. Prognosen besagen, daß der Elektronikanteil im Auto in den kommenden zehn Jahren von heute 25 Prozent auf 40 Prozent zulegen wird. Eigentlich rosige Aussichten für die Zulieferer von Fahrzeugelektronik und Fahrwerksregelungssystemen. Die Branche beschäftigt deutschlandweit rund 400000 Menschen. Nach Einschätzung der Unternehmensberatung Roland Berger arbeiten aber mittlerweile ein Viertel der Zulieferer an der Verlustgrenze.

Schlecht ist die Stimmung auch im Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten. Die sogenannten „Großen Drei“ (General Motors, Ford und Chrysler) strecken sich nach der Decke. Für den diesjährigen Absatz von Kraftfahrzeugen in den USA wird derzeit mit einem Minus von 15 Prozent gerechnet, so die Bundesagentur für Außenwirtschaft. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres mußten die drei Detroiter Autobauer sogar einen Verkaufseinbruch von 19,3 Prozent hinnehmen. Ohne staatliche Hilfestellung stehen sie am Abgrund, denn sie benötigen dringend zinsgünstige Kredite für die Entwicklung von benzinsparenden Autos. Die Zeiten, in denen es den Amerikaner nichts ausmachte, wenn sie – bildlich gesprochen – eine Tankstelle am Anhänger hinterherziehen mußten, sind jedenfalls längst vorbei.

Aus Asien kommt keine frohere Kunde: Von Januar bis September 2008 verkaufte der größte japanische Hersteller Toyota ein Viertel weniger Autos in Deutschland. Die Zeiten, in denen Toyota (Werbeslogan „Nichts ist unmöglich“) als Star der weltweiten Autobranche galt, sind vorbei. Die derzeitige globale Wirtschaftskrise ist also auch ein großer Gleichmacher. Allenfalls in Schwellenländern wie China, Indien und Rußland ist damit zu rechnen, daß die Kurve weiter aufwärts geht. Die Zukunft gehört laut Branchenexperten qualitativ guten, aber billigen Autos. Hier sind die Deutschen erkennbar schlecht aufgestellt.        Ansgar Lange

Foto: Von wegen Kurzarbeit: Bei immer mehr Autoherstellern stehen die Fließbänder wochenlang komplett still.


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