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01.11.08 / Schweigelager im doppelten Sinne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

»Auf ein Wort«
Schweigelager im doppelten Sinne
von Jörg Schönbohm

Der Krieg war vorüber. Für Deutschland schlug die „Stunde Null“, die den Aufbruch in eine neue Zeit symbolisierte. Doch statt Freiheit und Demokratie bedeutete der Zeitenwechsel für viele Menschen erneut Unterdrückung und Knechtschaft.

Die stalinistischen Gewaltherrscher in der sowjetischen Besatzungszone begannen unmittelbar nach Kriegsende mit der Errichtung von zehn sogenannten Speziallagern. Nach Angaben des sowjetischen Innenministeriums von 1990 wurden in diesen Lagern in den Jahren 1945 bis 1950 über 122671 Deutsche inhaftiert. Neuere Schätzungen gehen jedoch davon aus, daß es sogar rund 170000 waren.

Offiziell dienten die Lager der Inhaftierung von ausgewiesenen Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern. In Wirklichkeit jedoch dienten die Lager vor allem dem Zweck, Regimekritiker und unliebsame Gegner des Kommunismus aus dem Verkehr zu ziehen und  mundtot zu machen. Sie wurden kurzerhand zum Staats- oder Klassenfeind erklärt und als potentieller „Agent einer ausländischen Macht“ ohne rechtstaatliches Verfahren eingesperrt.

So landeten durchaus auch zahlreiche Sozialdemokraten, Liberale, Konservative und selbst oppositionelle Kommunisten in den sowjetischen Kerkern. Zudem waren zahlreiche Unternehmer, Adlige oder Großbauern („Kulaken“) unter den Gefangenen. Selbst namhafte Gegner des nationalsozialistischen Regimes wie die Widerstandskämpfer Ulrich Freiherr von Sell und Justus Delbrück wurden verhaftet.

Unter den Insassen der Speziallager waren nicht selten sogar Kinder – die jüngsten gerade einmal zwölf Jahre alt. Ihnen wurde für gewöhnlich zur Last gelegt, Mitglied in der Untergrundorganisation „Werwolf“ gewesen zu sein.

Mit der Bestrafung wirklich Schuldiger hatte das sowjetische Lagersystem herzlich wenig zu tun. Zwar gab es unter den Gefangenen durchaus auch NS-Verbrecher und Nazi-Aktivisten. Überwiegend waren die Insassen aber willkürlich Verhaftete. Meistens genügte der bloße Verdacht oder eine böswillige Denunzierung für eine Verhaftung.

Dennoch wurden alle, die in einem sowjetischen Speziallager interniert wurden, pauschal als Nationalsozialisten deklariert. Die Geschichtsforschung hat die Lügen der SED jedoch mittlerweile vielfach entlarvt. Das heute vorliegende Archiv- und Quellenmaterial und die vielen aufschlußreichen Zeitzeugenberichte machen deutlich, daß es keineswegs ausschließlich Nazi- und Kriegsverbrecher waren, die in den Speziallagern einsaßen. Die willkürliche Knechtung und die unerbittliche Härte waren schlichtweg ein Bestandteil der Herrschaftspraktiken des Stalinismus.

In den Lagern selber herrschten grausame Verhältnisse. Häftlinge vegetierten unter unmenschlichen Bedingungen. Isolation, Hunger, Krankheit und Tod waren in den Speziallagern allgegenwärtig. Von den inhaftierten Personen sind alleine nach sowjetischen Angaben 42889, also fast 35 Prozent, gestorben. In erster Linie starben sie an Unterernährung, Erschöpfung oder durch Krankheiten wie Ruhr, Tuberkulose oder Typhus. Neue Dokumente gehen sogar von 65000 Umgekommenen aus.

Gerade einmal ein Drittel wurde – nach sowjetischen Angaben – wieder aus den Speziallagern entlassen. Der Rest wurde entweder in sowjetische Gulags deportiert (wo viele weitere zu Tode kamen), zu Kriegsgefangenen erklärt oder den neu geschaffenen Behörden in der DDR übergeben.

Diejenigen, die die Lagerhaft überlebten und freigelassen wurden, mußten sich einer strengen Schweigeverpflichtung unterwerfen. Niemand durfte über die Haft und das erlittene Unrecht sprechen. Und selbst wenn sie trotz allem über das Durchlittene sprechen wollten, mußten sie erfahren, daß es kaum jemanden zu geben schien, der ihre Geschichte hören wollte. Auf diese Weise wurden die Speziallager  in einem doppelten Sinne zu Schweigelagern.

In der DDR waren die sowjetischen Speziallager ein Tabu. Über die Opfer des Stalinismus wurde eisern geschwiegen. Rigoros unterdrückten die Machthaber in der DDR jede Erinnerung an die Opfer. Mit unfaßbarer Ignoranz mißachtete das Regime sogar die Trauer der Angehörigen. Blumen und Kränze, die von trauernden Angehörigen auf dem Gelände der ehemaligen Lager niedergelegt wurden, ließen die DDR-Machthaber umgehend wieder entfernen. Einige Lagergelände wurden sogar kurzerhand aufgeforstet, nachdem man bei landwirtschaftlichen Arbeiten wiederholt auf Knochen aus den Massengräbern gestoßen war. Nichts sollte an die mörderischen Lager erinnern. Ein würdiges Gedenken an die Opfer war auf diese Weise natürlich nicht möglich.

Heute – in unserem wiedervereinigten Land – ist das Gedenken gerade auch deshalb so wichtig, weil es über 40 Jahre nicht möglich war. Das unvorstellbare Leid, das die Gefangenen in den Schweigelagern ertragen mußten, darf niemals aus unserer Erinnerung getilgt werden. Aus diesem Grunde müssen die Speziallager ein Teil der deutschen Erinnerungskultur werden. Die Opfer der kommunistischen Diktatur gehören endlich in die Mitte des öffentlichen Gedenkens, am Rande haben sie viel zu lange gestanden.

Das Gedenken ist immer auch eine Verpflichtung zur Tat. Teil unserer politischen Arbeit muß es sein, an die Schrecken der Vergangenheit zu erinnern. Das sind wir den Opfern schuldig. Es geht um die Wahrheit und um die Gerechtigkeit für diese Opfer, weil ihr Leid über Jahrzehnte totgeschwiegen wurde. Daher müssen wir auch die Enttäuschung und die Empörung über den öffentlichen Umgang mit diesen Verbrechen sprechen dürfen.

Die Erinnerung an das Geschehene ermöglicht es uns heute, unsere freiheitliche und demokratische Gemeinschaft zu stärken und sie gegen Intoleranz der Ideologen zu immunisieren, aus der in letzter Konsequenz Gewalt gegen andere erwächst.

Auch um unsere Kinder gegen radikale Einflüsterer zu wappnen, dürfen wir die Schicksale der Inhaftierten nicht in Vergessenheit geraten lassen. Wenn dies gelingt, waren das Leiden und das Sterben in den Speziallagern nicht völlig sinnlos. Wir können und dürfen die gemarterten Menschen in der Lagern nicht vergessen, und es ist an uns allen, ihre Schicksale im Herzen und in den Köpfen zu bewahren.

 

Zwei Nazi-KZ weiter genutzt

In der SBZ gab es zehn Speziallager an folgenden Orten: Fünfeichen, Sachsenhausen, Weesow, Hohenschönhausen, Ketschendorf, Jamlitz, Bautzen, Mühlberg, Torgau und Buchenwald bei Weimar. Das Speziallager Nr. 2 in Buchenwald wurde auf dem Gelände des ehemaligen KZ eingerichtet, das die sowjetische Besatzungsmacht ab August 1945 weiter nutzte. Ähnliches gilt für das KZ Sachsenhausen. Die Lager waren dem „Volkskommissariat für innere Angelegenheiten“ (NKWD, ab 1946 MWD), dem Vorläufer des KGB, unterstellt. Beim NKWD gab es eine eigene Abteilung „Spezlager“.


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