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01.11.08 / Es muß nicht immer Mozart sein / Die BdV-Landeskulturtagung Nordrhein-Westfalens stand im Zeichen Ostdeutschlands

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

Es muß nicht immer Mozart sein
Die BdV-Landeskulturtagung Nordrhein-Westfalens stand im Zeichen Ostdeutschlands

Die kulturelle Vielfalt des deutschen Ostens und deren Bedeutung für die bundesdeutsche Gegenwart, wird gerne dem Zeitgeist geopfert. Grund genug, daß sich die diesjährige Landeskulturtagung des Themas näher annimmt.

„Laut dem Gesetz der ‚Gesamt­einheit des Daseins sind die drei Phänomene – Weltgeschichte, Königsberg und Barock – aufs Engste mit einem anderen Phänomen verbunden, das einmalig ist in seiner dichterischen und biographischen Eigenheit: Simon Dach“, betonte der in Königsberg geborene Prof. Dr. hab. Wladimir Gilmanov in seinem Vortrag anläßlich der Landeskulturtagung des BdV in Düsseldorf.

In die diesjährige Tagung vom 18. Oktober im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus führte Hans-Günther Parplies, Landesvorsitzender des BdV-Landesverbandes NRW, ein. Das anspruchsvolle und anregende Programm informierte über aktuelle Entwicklungen und erinnerte gleichzeitig an große Gestalten und Ereignisse aus dem reichen kulturellen Erbe des deutschen Ostens. Mit Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland standen diesmal die drei größten Vertreibungsgebiete im Fokus.

Nicola Remig, Museumsleiterin von Haus Schlesien in Königswinter-Heisterbacherrott, bot in ihrem fachkundigen, mit Bildern unterlegten Referat Einblicke in die derzeitige Sonderausstellung von Haus Schlesien über den Baumeister Carl Gott­hard Langhans. Die Präsentation „Meister des Klassizismus in Deutschland“ wurde aus Anlaß des 200. Todestages von Langhans eingerichtet. Das Haus Schlesien würdigt in diesem Jubiläumsjahr übrigens als einziges Museum in Deutschland das Gesamtwerk des schlesischen Architekten in einer Sonderausstellung.

Einem schwierigen Thema widmete der ehemalige Vize des BdV-Landesverbandes, Rüdiger Goldmann, seinen Vortrag „Die Vertreibung der Sudetendeutschen aus tschechischer Sicht“. Goldmann, ein ausgesprochener Experte der Materie, informierte über aktuelle Sichtweisen der nach wie vor ungelösten Fragen in Sachen Vertreibung der angestammten deutschen Bevölkerung aus Böhmen. Trotz Vertrag, deutsch-tschechoslowakischer Erklärung und gemeinsamer Mitgliedschaft der beiden Staaten in der Nato und der Europäischen Union wird die Vertreibung immer ein Menetekel in den deutsch-tschechischen Beziehungen bleiben, betonte Goldmann.

Der Vortrag von Professor Dr. Wladimir Gilmanov über Simon Dach und den Königsberger Dichterkreis wurde mit Spannung erwartet. Der 1955 in Kaliningrad geborene Professor für fremdsprachige Philologie an der Russischen Staatlichen Immanuel-Kant-Universität zu Kaliningrad hat über 50 Forschungsarbeiten in den Bereichen Literaturgeschichte, Philosophie und Kulturgeschichte verfaßt. Anläßlich des 350. Todestages des ostpreußischen Barockdichters hat Professor Dr. Gilmanov ein Buch veröffentlicht und konnte daher diese Thematik besonders kompetent beleuchten.

Unter dem metaphorischen Titel „Die letzte Grenze in der Dichtung von Simon Dach“ vermittelte der Gastredner interessante Interpretationen des bekannten Liebesliedes „Ännchen von Tharau“. Erörtert wurde unter anderem die Frage, ob für den heutigen Zeitgeist die scheinbar einfache Liebeshymne zur Hochzeitsfeier von Anna Neander und Johannes Portatius von 1636 in ihrer eigentlichen Grundidee noch erkennbar sei.

Anhand von Versen wie „Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut, Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!“ hob der Referent die für das moderne Ohr etwas komisch wirkende Bildhaftigkeit hervor, die Dachs Dichtung kennzeichnet. Professor Gilmanov erläuterte: „Das dichterische Bewußtsein des Barock erkennt etwas, was heutzutage eher abstrakt medizinisch oder im Kontext der Katastrophentheorien mit abstrahierender Wissenschaftlichkeit als etwas Gesetzmäßiges und Normales erklärt wird: Das ist eine alles überwältigende Totalität der Endlichkeit, anders zu sagen – des Todes, was letztendlich die Grundwerte des glaubenden Bewußtseins und Gefühls beeinträchtigt hat.“ Professor Gilmanov stellte den Bezug zur Stadt Königsberg dar: „Die Barockdichtung wirkt prophetisch, gleichfalls aber initiierend für die Suche nach der ‚Grammatik des Lebens’ wider die angekündigte Endlichkeit. Und gerade in diesem Hintergrund wirkt ganz besonders das historische Königsberg, das in seiner prophetischen Singularität schon längst zu einem einzigartigen Zeichen der Weltgeschichte geworden ist. Durch seine apokalyptisch stattgefundene Endlichkeit ist das ‚Emblem der Apokalypse’, zu einem Emblem der anhaltenden Welttragik geworden, in der sich ein selbstdestruktives Unvermögen, sei es hermeneutisch oder pragmatisch, erahnen läßt.“

Es gebe wohl wenige Städte, so Gilmanov, die ein solch grausames Ende erfahren haben und wo sich die anthropologische Problematik auf eine so zugespitzte Weise zeigen ließe, wo der Zusammenbruch von allen Weltprojekten, sei es das der civitas Dei des mittelalterlichen Christentums oder das der verklärten Innerlichkeit des Pietismus oder das Kantische Projekt des ewigen Friedens, derart schreiend und ermahnend versinnbildlicht ist.

Professor Gilmanov schlußfolgerte: „In seiner historischen Dramaturgie wäre Königsberg ein schmerzvoller Anlaß zum Ende des ‚Konflikts der Interpretationen’ und zu einem objektiven Verständnismodell über die zwei zu einander entgegengesetzten eschatologischen Perspektiven der Weltgeschichte, die im historisch-politischen, religionsphilosophischen, aber auch im dichterischen Schicksal dieser Stadt ihre Widerspiegelung gefunden haben.“    Dieter Göllner

Fotos: Hielt einen interessanten Vortrag: Prof. Dr. Wladimir Gilmanov; Urgestein der Verbandsarbeit im Bund der Vertriebenen: Hans-Günther Parplies


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