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01.11.08 / Die Schuld des Eremiten / Spanien zur Zeit Francos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

Die Schuld des Eremiten
Spanien zur Zeit Francos

Auf den ersten Blick geht es nur um einen Feigenbaum. Doch nur auf den ersten Blick. Die junge, spanische Lehrerin Mercedes ist froh, daß ihr Verlobter Manuel aus dem Gefängnis der Falangisten nach einem Jahr freigelassen wird. Die ultranationalistische, faschistische und antikommunistische Bewegung der Falangisten kämpft in den 30er Jahren auf der Seite Francos gegen alles, was auch nur annähernd links ist. Doch Manuel ist am Leben. Während er sich schuldig fühlt, daß er überlebt hat und keinen Sinn mehr im Leben erkennen kann, spaziert sie mit ihm durch den Heimatort und berichtet, was in dem vergangen Jahr alles geschehen ist. Viele Schüler des Lehrerpaares haben Familienmitglieder verloren, manche wurden sogar aus ihrem Haus vertrieben, weil raffgierige Nachbarn das Wüten der Falangisten nuzten, um sich zu bereichern. Und während sie so durch das Örtchen streifen, kommen sie an einer Wiese vorbei. Auf ihr  lebt ein Mann, gekleidet in einer Falangisten-Uniform. Er sitzt auf einem Stuhl neben einem kleinen Feigenbaum, ein Bretterverschlag dient ihm als Unterkunft.

Ramiro Pinilla ist einer der bedeutensten Gegenwartsliteraten Spaniens. In seinem neusten Werk „Der Feigenbaum“ schreibt er über ein dunkles Kapitel der spanischen Geschichte, als Nachbarn Nachbarn denunzierten. Die Geschichte der jungen Mercedes dient jedoch nur als Rahmengeschichte, denn eigentlich geht es um den Mann neben dem Feigenbaum. 30 Jahre ist er für Menschen wie Mercedes nur der Eremit Txominbedarra, der Pilger aus dem ganzen Land anlockt, bis er eines Tages an dem von ihm scheinbar geliebten Feigenbaum erhängt aufgefunden wird. Für seine Falangisten-Freunde, die später seine erbittertsten Feinde werden, heißt er jedoch Rogelio. Und eigentlich bewacht Rogelio auch nicht den Feigenbaum, so wie es für Menschen wie Mercedes scheinen mag, Rogelia bewacht vielmehr das, was sich unter dem Baum befindet. Etwas, was er selbst zwar nicht dort vergraben hat, für das er aber eine ewige Schuld auf sich geladen hat. Diese Schuld, und die Furcht vor einem Jungen, der 1936 zehn Jahre alt war, halten ihn mit unsichtbaren Fesseln an diesem Ort fest.

Einfühlsam schildert Ramiro Pinilla in seinem Roman die verschiedenen Facetten menschlicher Schuldgefühle. Während Rogelio nichts anderes als diese Schuld mehr spürt, verdrängen andere die ihre, doch Rogelio und sein Feigenbaum machen es ihnen unmöglich, erfolgreich zu verdrängen. Und so wird er immer mehr zum Ärgernis. Für andere ist er zwar nur ein armer Irrer, doch seine Mittäter von einst fürchten trotzdem um ihr Geheimnis.

Mit seinen leisen, aber nachhallenden Bildern ist dem Autor ein kleines Kunstwerk gelungen, das zeigt, daß Täter nicht immer ihrer Schuld entkommen können.         Bel

Ramiro Pinilla: „Der Feigenbaum“, dtv Premium, München 2008, kartoniert, 318 Seiten, 14,90 Euro


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