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08.11.08 / Neue ostpreußische Identität / Sinneswandel in Ermland und Masuren – Gelungene Podiumsdiskussion in Berlin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-08 vom 08. November 2008

Neue ostpreußische Identität
Sinneswandel in Ermland und Masuren – Gelungene Podiumsdiskussion in Berlin

Deutsche, Polen und Russen trafen sich in der Brandenburgischen Landesvertretung in Berlin und brachten Überraschendes über die Entwicklung in Ostpreußen zu Tage.

Werden die seit 1945 in der Woiwodschaft Ermland-Masuren lebenden Polen jetzt zu Ostpreußen? Die Frage ist weniger absurd als sie klingt: Denn für die polnische Germanistin Kornelia Kurowska, die in Allenstein die Stiftung „Borussia“ leitet, zeichnet sich mittlerweile ein Sinneswandel im polnischen Gebiet zwischen Weichsel und Memel ab. „Derzeit“, so erklärte sie in der vergangenen Woche in Berlin, „bildet sich in Ostpreußen langsam eine regionale, spezifisch ostpreußische Identität heraus, die sowohl die deutsche Vergangenheit als auch die polnische Gegenwart in einer europäischen Perspektive einschließt.“ Ein Fortschritt sei das, denn unter dem kommunistischen Re-gime habe man die deutsche Vergangenheit tabuisiert, aber jetzt lachten die Polen in Allenstein über die von Warschau verordnende Sicht, daß es sich bei Ostpreußen um „wiedergewonnene polnische Territorien“ handele. Bei diesen Sätzen ging ein leise hörbares Staunen durch die Reihen der zirka 300 Zuhörer, die in die brandenburgische Landesvertretung beim Bund gekommen waren. Dort hatte das „Deutsche Kulturforum östliches Europa“ zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Ihr Titel „Ankunftsgeschichten – Ostpreußen nach 1945“ verwirrte etwas, denn im Verlauf des Abends sprachen die Teilnehmer nur wenig davon, wie die 1945 geflüchteten Ostpreußen in Deutschland aufgenommen wurden und daß in ihrer Heimat auch viele Polen und Russen bis heute Fremde geblieben sind – dafür ging es in der von Manfred Sappert moderierten Diskussion um so mehr um verschiedene Positionen in der aktuellen ostpreußischen Erinnerungskultur. Kurowska führte die veränderte polnische Haltung vor allem zurück auf die gemeinsamen Denkmalschutzprojekte, den deutsch-polnischen Bildungsaustausch und den Tourismus: Mittlerweile würden deutsche Hausinschriften liebevoll restauriert und gepflegt, die Jugend habe ein unverkrampfteres Verhältnis zur Geschichte und schließlich beseitigten Besuchsreisen Ressentiments.

Die Polen in Ostpreußen, so meinte sie lächelnd, seien geradezu stolz auf die deutsche Vergangenheit der Region. Freilich – auch Kurowska kam an strittigen Punkten nicht vorbei: „Es gib verschiedene Meinungen zu verschiedenen Problemen – aber es ist wichtig, daß wir miteinander reden“, antwortete sie auf die Frage, warum ihre Stiftung gegen ein deutsches Vertriebenenzentrum sei.

Nüchterner gab sich hingegen der russische Historiker Alexandr Sologubow: „Während der Sowjetzeit“, sagte er, „hat man über Ostpreußen alles schreiben können und viele Russen wollten um die Geschichte ihrer Kriegsbeute wissen.“ In Putins Rußland sei das anders, dort verschweige man jetzt die deutsche Vergangenheit und es interessiere sich kaum jemand dafür. „Und Kant?!“ fragte da einer der Zuhörer, aber ein anderer erwiderte darauf, daß es ja heute immer weniger gäbe, die noch wüßten, wer Goethe gewesen sei. Doch einige Gäste wollten solch pessimistische Einschätzungen nicht hinnehmen: „Wer irgendwo bleibt“, raunte jemand im Publikum, „fängt auch an, sich für die Umgebung und ihre Geschichte zu interessieren“ – und die es gehört hatten, nickten.

Vor allem aber sorgte der Historiker Andreas Kossert für viel Beifall unter den Zuhörern – und für Nachdenklichkeit. Kossert, der für sein Buch „Ostpreußen – Mythos und Geschichte“ in diesem Jahr den Georg-Dehio-Buchpreis erhielt, wurde freudig begrüßt und stiftete dann etwas Verwirrung: „Die deutsche Geschichte Ostpreußens“, so erklärte er, „ist seit knapp 20 Jahren vorbei“. Der Sohn einer Vertriebenenfamilie aus der Gegend von Allenstein wollte mit diesem Satz aufrütteln. Denn nach Kossert ist die Geschichte Ostpreußens in der alten Bundesrepublik bislang die von Flucht und Vertreibung gewesen. Auch heute noch, fast eine Generation nach dem Mauerfall, thematisierten die deutschen Historiker vor allem die tragischen Ereignisse des Jahres 1945 – hingegen vergäßen sie, die des geographischen Raumes fortzuschreiben. Für Kossert ist das fatal, „denn in zwei oder drei Jahrzehnten werden die letzten Zeitzeugen nicht mehr unter uns sein – und wer soll dann daran erinnern, daß Ostpreußen über 700 Jahre von deutscher Kultur geprägt worden ist“? Er forderte deshalb die Erinnerung an Ostpreußen ins Herz von Deutschland zu holen. „Sie darf nicht nur im Landesmuseum in Lüneburg wachgehalten werden“, sagte er, „sondern auch hier im Deutschen Historischen Museum Unter den Linden.“      Michael Böhm

Foto: Vergangenheit trifft Gegenwart: Die Spuren der über 750jährigen deutschen Kultur begeistern noch heute. Der Oberlandkanal zwischen Elbing und Osterode beispielsweise zieht Neugierige aus Deutschland und Polen an. Das System aus dem Jahre 1825, das an fünf Stellen Schiffe über eine geneigte Ebene auf Schienen zieht, stammt vom Königsberger Ingenieur Georg Steenke.


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