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08.11.08 / Wie die Lemminge / Immer wieder folgen Menschen dem Ruf des schnellen Geldes – und stürzen ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-08 vom 08. November 2008

Wie die Lemminge
Immer wieder folgen Menschen dem Ruf des schnellen Geldes – und stürzen ab

Warum bilden sich immer wieder Spekulationsblasen? Ein Blick in die Geschichte zeigt, daß es dieses Phänomen in entwickelten Wirtschaftssystemen seit jeher gibt.

Der Siegeszug von Geldwirtschaft, Börsengeschäft und globalem Handel seit rund einem halben Jahrtausend hat die Menschheit, zunächst in Europa, zuletzt in weitesten Teilen der Welt, Schritt für Schritt aus ihrer bisherigen Armut befreit und ungeahnten Wohlstand ermöglicht. Ohne diese drei Antreiber des Güterverkehrs würden wir nach wie vor in einer kümmerlichen Tausch- und Selbstversorger-Ökonomie verharren, deren Anfälligkeit für lebensbedrohliche Krisen (wie Hungersnöte und Epidemien nach Naturkatastrophen) wir heute nur noch aus den Medien kennen. Selbst technischer Fortschritt und Industrialisierung wären ohne Börsen und ein entwickeltes Bankensystem kaum vom Fleck gekommen.

Doch die drei haben einen buckligen Verwandten im Gepäck, der uns von Zeit zu Zeit sein häßliches Gesicht zeigt: die Spekulationsblase. Scheinbar wie die Lemminge marschieren Marktteilnehmer alle paar Jahre wieder in jenes Fiasko, das nicht erst im Nachhinein betrachtet eigentlich vorhersehbar (also vermeidbar) erscheint. Gerade die jüngste Blase hatte eine Fülle von Sachkundigen teils erstaunlich detailliert vorausgesagt. Abgewendet wurde sie dennoch nicht.

Warum nicht? Das Tückische an den Blasen ist, daß sich jede neue auf einem anderen Geschäftsfeld auftut als ihre Vorgängerinnen. Der Zeitgenosse einer Epoche blickt verächtlich auf die Naivität seiner Vorväter: Nie würden sie ihr Vermögen in Blumenzwiebeln stecken wie jene Hasardeure vor drei Generationen, da waren sich die Investoren an den Börsen von London und Paris Anfang des 18. Jahrhunderts gewiß sicher. Die berühmteste der frühen Spekulationsblasen lag lang zurück: die Tulpenmanie (siehe Geschichte, Seite 10).

Zwischen 1716 und 1719 lockte stattdessen die neue französische Kolonie Louisiana, die das Gebiet zwischen dem Mississippi und den Rocky Mountains in den heutigen USA umfaßte, mit sagenhaften Gewinnaussichten. Im Auftrag der französischen Krone emittierte der britische Geschäftsmann John Law Aktien der neuen „Mississippi-Kompanie“ in großer Zahl. Und nicht nur das, er ließ Papiergeld drucken, das erstmals nicht mehr nur mit Gold oder Silber, sondern mit Land besichert war – soll heißen: besichert schien.

Mit dem Papier konnte der chronisch klamme Versailler Hof seine desolaten Finanzen sanieren, und Tausende Anleger wollten die sagenhaften Gewinnchancen keineswegs verpassen. Die Kurse der Mississippi-Aktie stiegen und stiegen, immer mehr Papiergeld kam in Umlauf, was schließlich auch die Immobilienpreise in Frankreich explodieren ließ. So wurden selbst die reich, die sich direkt gar nicht an der Mississippi-Spekulation beteiligt hatten. Doch irgendwann kam Verdacht auf: Die vielversprechende Kolonie warf in Wahrheit keine nennenswerten Erträge ab. Um die Jahreswende 1719/20 fielen die Kurse ins Nichts, auch das neue Papiergeld wollte nun keiner mehr haben. In England, wohin darauf viel Kapital aus Frankreich abgezogen wurde, platzte wenige Monate später die „Südseeblase“, eine der Mississippi-Spekulation ganz ähnlich gelagerte Wette auf kaum renditeträchtige Kolonien.

Lächerlich? Kann heute nicht mehr passieren? Ende der 1990er Jahre waren Firmen, die aus ein paar Rechnern bestanden, auf denen einige junge Computerfreunde herumhämmerten, die noch nie einen Euro Gewinn gemacht hatten, an der Börse Milliarden wert. Kurz darauf im Frühjahr 2000 platzte die Internet-Blase. Der Immobilienkrach unserer Tage barg in seinem Kern eine Milliardenwette auf lausig finanzierte amerikanische Häuser.

Blasen gab es offenbar zu allen Zeiten, selbst in jener scheinbar grundsoliden, die man später die „gute alte“ nannte: Nach dem Sieg über Frankreich 1871 stolperte Deutschland schon 1873 in die „Gründerkrise“, die dem ungestümen Aufstieg nach Industrialisierung und Reichsgründung ein jähes Ende setzte. Eine jahrelange Wirtschaftskrise mit zahllosen Pleiten und persönlichen Tragödien folgte. Die Investoren waren der Illusion eines ungebremsten Wachstums aufgrund all der neuen Technologien aufgesessen. Bis heute im allgemeinen Bewußtsein ist die Katastrophe von 1929, als Überschwang binnen weniger Monate in Massenelend umkippte und am Ende ein Weltenbrand loderte.

Die kühle Einsicht, daß immer wieder auch vernünftige Menschen Opfer dieser Blasen werden, kann indes denjenigen kaum trösten, der gerade seine materielle Lebensleistung in einer Tulpenkiste, am Mississippi oder mit Lehman-Papieren verloren hat.

Hans Heckel

Foto: Wie eine Seifenblase: Alle Spekulationsblasen platzen irgendwann.

 

Zeitzeugen

Warren Buffet – Der US-amerikanische Investor kam 1930 in Omaha zur Welt. Mit einem Vermögen von rund 60 Milliarden Dollar gilt der humorvolle und etwas schrullige Mann als reichster Mensch der Welt. Buffet investiert konsequent nur in Dinge, die er versteht – Subprime-Anleihen hat er nie erworben, er verspottet sie sogar als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“. Sein oberstes Anlageprinzip: Sei ängstlich, wenn andere gierig sind und gierig, wenn andere ängstlich sind. Momentan ist Buffet gierig und kauft. M.R.

 

Reinhard Marx – Mitten in der Finanzmarktkrise ruft der Erzbischof von München und Freising zu einer Grundsatzdebatte auf. Bei der Vorstellung seines neuen Buches „Das Kapital“ sagte er: Das große Thema des 21. Jahrhunderts werde sein, „ob wir es schaffen, das Weltgemeinwohl zu denken. Wir brauchen eine Globalisierung der sozialen Marktwirtschaft.“ Marx sieht dies nicht als „Utopie, sondern als eine Notwendigkeit“. Der promovierte Sozialethiker ruft damit die katholische Soziallehre in Erinnerung, mit der seit dem 19. Jahrhundert dem ungezügelten Kapitalismus ein menschliches Gesicht gegeben wurde.             H.E.B.

 

André Kostolany – Der 1906 in Budapest geborene Finanzexperte, Journalist, Schriftsteller und Spekulant entstammte einer wohlhabenden Industriellenfamilie. Eigentlich hatte der spätere Börsenmakler Philosophie und Kunstgeschichte studieren wollen, aber seine Familie hatte andere Pläne. Zum Ruf eines Börsengurus kam er durch seine Veröffentlichungen zum Thema Börse. Kostolany starb 1999 in Paris. Eine seiner vielen Empfehlungen lautete: „Einer Straßenbahn und einer Aktie darf man nie nachlaufen. Nur Geduld: Die nächste kommt mit Sicherheit.“ M.R.

 

Friedrich Merz – Diametral gegen den Zeitgeist hat der CDU-Politiker, Vordenker in Wirtschaftsfragen und Wirtschaftsanwalt kürzlich ein Buch mit dem Titel „Mehr Kapitalismus wagen“ veröffentlicht. Der 52jährige sieht die Marktwirtschaft nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung, die Beschlüsse des Leipziger CDU-Parteitags tragen seine Handschrift. Nur starke Unternehmen und freie Bürger können, so Merz, ein wohlhabendes Land schaffen.        H.E.B.


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