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08.11.08 / Kampf um Schrift und Bekenntnis / Der »Sportpalastskandal« war ein erster Höhepunkt im nationalsozialistischen Kirchenkampf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-08 vom 08. November 2008

Kampf um Schrift und Bekenntnis
Der »Sportpalastskandal« war ein erster Höhepunkt im nationalsozialistischen Kirchenkampf

Vor 75 Jahren fand in Berlin der Sportpalastskandal statt. Mit der dort geforderten Distanzierung vom Alten Testament verlor die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ viele gläubige Anhänger.

Ähnlich wie in Ernst Röhms SA kam auch bei den „Deutschen Christen“ (DC), einer evangelischen Kirchengruppierung nationalsozialistischer und NS-naher Laien und Geistlicher, in den Monaten nach der „Machtergreifung“ der NSDAP im Deutschen Reich Frust auf. Den DC war es zwar gelungen, Exponenten aus der NS-Bewegung in die Spitzenpositionen der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) – der damaligen Vorgängerin der heutigen Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) – und der meisten Landesregierungen zu hieven, aber vielen genügte das nicht. Sie wollten eine zweite Revolution, in der auch die Strukturen revolutioniert wurden. Soweit die Analogie zur SA.

Bei den Deutschen Christen kam ein zweiter Grund zur Unzufriedenheit hinzu. Der sogenannte Kirchenkampf änderte während der NS-Zeit seinen Charakter. Aus einem Kampf um die Kirche wurde ein Kampf gegen die Kirche. Hatten sich die Nationalsozialisten bis zur „Machtergreifung“ und auch noch unmittelbar danach betont kirchenfreundlich gegeben und die Deutschen Christen in deren Kampf gegen die innerkirchliche Opposition unterstützt, so begannen sie bereits einige Monate später ihre Sympathie zusehends außerkirchlichen, ja antikirchlichen Organisationen zu schenken. Das war für die Deutschen Christen ein doppeltes Ärgernis. Zum einen schwächte es ihre Stellung in ihrer Kirche. Zum anderen schwächte es die Stellung ihrer Kirche in der Gesellschaft. Die Deutschen Christen waren zumindest von ihrem Selbstverständnis her sowohl Protestanten als auch Nationalsozialisten, und da ist es verständlich, daß auch abgesehen von etwaigen Opportunitätserwägungen viele von ihnen unter der Entfremdung von evangelischer Kirche und NSDAP litten.

Entscheidend für das weitere Verhalten war nun in jedem Einzelfalle, worin der jeweilige „Deutsche Christ“ die Ursache für diese Entfremdung sah, ob bei der NSDAP oder bei der evangelischen Kirche. Mehr noch zu Anfang denn später sahen viele Deutsche Christen die Ursache der Entfremdung bei ihrer Kirche. In gewisser Hisicht war diese Sicht sogar begründet. Die Nationalsozialisten verloren nämlich in dem Maße das Interesse am Kampf um die Kirche – das heißt um die Gleichschaltung der Kirche –, als von deren Seite dieser Gleichschaltung Widerstand entgegengesetzt wurde. Manche Deutsche Christen forderten vor diesem Hintergrund eine Selbstgleichschaltung ihrer Kirche. Besonders hervor tat sich hierbei der radikale, deutschkirchliche Flügel der Deutschen Christen. Von dieser radikalen Seite wurde gefordert, daß die evangelische Kirche den Antisemitismus der NSDAP übernehme und daß neben dem Kirchenregiment auch das Bekenntnis in diesem Sinne gleichgeschaltet werde. Entsprechend dem nationalsozialistischen Ideal des Totalitarismus wollten sie neben dem einen Volk, dem einen Reich und dem einen Führer auch die eine Kirche, die Nationalkirche. Da für diese Deutschkirchler die Vereinigung aller Deutschen in einer Kirche Priorität hatte, war für sie der traditionelle Bekenntnisstreit zwischen Lutheranern, Reformierten und Katholiken sekundär, sofern das Bekenntnis nur keine Widersprüche zur NS-Ideologie aufwiese.

Eine Hochburg hatte der radikale, deutschkirchliche Flügel der Deutschen Christen im Gau Groß-Berlin. Am 13. November 1933 richtete dieser Gau im Berliner Sportpalast eine Gautagung aus. Der Riesensaal mit seinen 20000 Plätzen war bis auf den letzten gefüllt. Am Vorstandstisch saß neben dem DC-Gauobmann Groß-Berlins, Reinhold Krause, und dem fast vollständig anwesenden Oberkirchenrat der Altpreußischen Union auch der Brandenburger Bischof Joachim Hossenfelder. In seiner Eigenschaft als Reichsleiter der DC hielt er nach der Eröffnung der Veranstaltung die erste Ansprache. Im Anschluß verließ er den Sportpalast, um am nächsten Tag auf einer Vertreterversammlung der deutschen Pfarrvereine in Nürnberg aufzutreten. So bekam er nicht mehr mit, was anschließend Gauobmann Krause in dem Hauptvortrag jenes Abends von sich gab.

Krause stellte die Forderung auf,  eine antisemitische Säuberung von Schrift und Bekenntnis durchzuführen. Er forderte nicht weniger als „die Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienst und im Bekenntnismäßigen, Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten“. Kaum weniger kompromittierend als diese Ausführungen war die begeisterte Zustimmung der 20000. Später am Abend wurde ihnen eine entsprechende Entschließung vorgelegt. Angeblich soll sich bei der Abstimmung nur eine Hand im Stadion zum Widerspruch erhoben haben.

Um so heftiger fiel der Gegenwind nach der Veranstaltung aus, Und das auch von Seiten luthe­rischer Bischöfe, die vorher nicht zuletzt aus übergeordneten politischen oder kirchenpolitischen Gründen stillgehalten hatten. Stärker etwa als die reformierte trennt die lutherische Kirche zwischen Form und Wesen. Das geht auf Martin Luther zurück, der gegenüber den Fürsten zu starken Zugeständnissen auf kirchenregimentlichem Gebiet bereit war, wenn diese nur ihm beziehungsweise seinem Glauben Schutz gewährten. Nun aber hatte der Gau Groß-Berlin der Deutschen Christen die rote Linie überschritten, indem der Gleichschaltungsversuch vom kirchenregimentlichen auf den Bereich des Bekenntnisses ausgeweitet wurde.

Unter dem Druck einer Bekenntnisfront aus Lutheranern, Reformierten und Unierten mußten Krause und Hossenfelder ihre DC- und ihre Kirchenämter aufgeben und der Reichsbischof die Schirmherrschaft über die DC beenden. Die nun von zahllosen Austritten gebeutelte „Glaubensbewegung“ Deutsche Christen spaltete sich in eine nationalkirchliche „Kirchenbewegung“ DC, der es nicht an Dynamik, aber ob ihrer radikalen Ziele an gesellschaftlicher Akzeptanz fehlte, und eine „Reichsbewegung“ DC, der es nicht an gesellschaftlicher Akzeptanz, aber ob ihres Mangels an mitreißenden Zielen an entsprechender Dynamik mangelte. Die Deutschen Christen hörten auf, ein Machtfaktor im deutschen Protestantismus zu sein. Manuel Ruoff

Foto: Vor 75 Jahren: Versammlung des „Gaues Groß-Berlin“ der Deutschen Christen


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