24.04.2024

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08.11.08 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-08 vom 08. November 2008

Zu gruselig / Warum Hessen keine klassische Tragödie wird, wie wir die USA verstehen lernten, und  warum Merkel hinter Tiefensee steht
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Es gibt diese perfiden Sätze, die anmuten wie Todesurteile zur Melodie von „Alle meine Entchen“. Die Hauptstadt-Journalisten wollten Blut sehen und fragten bei Franz Müntefering begierig nach, wer für das Hessen-Desaster auf den Richtblock gehört. Nun, er wolle „niemandem gegenüber ungerecht sein“, großväterte der SPD-Chef sanft in die Mikrofone. Und schob auf therapeutendeutsch nach: „Das beste wäre, wenn die Beteiligten Zeit finden, miteinander zu reden.“

Zeit finden, reden, miteinander sein, gerecht bleiben – klang richtig kuschelig. War aber keineswegs so gemeint, wie sich sofort offenbarte. Als nämlich die Frage kam, ob Andrea Ypsilanti hessische SPD-Vorsitzende bleiben solle, blickte Müntefering erst stumm suchend im Raum umher, um dann sein gnadenloses Urteil zu verkünden: „Ob sie weiter an der oder anderer Stelle Politik verantwortlich gestaltet, das wird sich in Zukunft zeigen.“

Du liebes Bißchen: „... an der oder an anderer Stelle“! Mit solchen Worten verabschieden Politiker ihre verstoßenen Parteifreunde auf dem Weg in die Verbannung.

In diese Hölle soll Ypsilanti aber nicht alleine fahren. Daß drei der vier Nein-Sager bis zur allerletzten Minute alles rot-rot-grün geschehen ließen, um die arme Ypse erst kurz vor dem Ziel von der Leiter zu schubsen, will Münte nicht ungestraft lassen. Er hatte der gestrauchelten Hessin noch am Sonntag öffentlich die Daumen gedrückt. Die taten ihn jetzt aasig weh. „Ich find’ das seltsam, und ich find’ das nicht glaubwürdig.“ Seltsam? Nicht glaubwürdig? Das sind Synonyme für „Rübe ab“.

Die hessischen Sozialdemokraten schwanken hin und her zwischen Schock und Raserei. „Alle rausschmeißen!“ schlägt es aus der Meute den vier Abtrünnigen entgegen. Und so richtig strahlend kommen die, abgesehen von der wackeren Dagmar Metzger, auch wirklich nicht rüber. Am wenigsten der junge Mann. Sie wissen schon, dieser Filialleiter-Typ, der so aussieht wie Hubertus Heil, wie war noch gleich ... genau: Jürgen Walter. Also der Herr Walter hat nicht nur (wie zwei seiner Mitverschwörerinnen) noch Ende September bei der Probeabstimmung den Finger brav in den dunkelroten Wind gehalten, er war sogar an der Ausarbeitung des Koalitionsvertrages beteiligt. Doch eigentlich wollte der 40jährige ja Wirtschaftsminister werden, was Frau Ypsilanti ihm jedoch nicht gönnte. Nun wird spekuliert, ob das nicht vielleicht weit heftiger in sein Gewissen biß als die volksrepublikanischen Visionen seiner Landeschefin.

Ob das Hessen-Drama das Zeug zur klassischen Tragödie hat? Die Frage taucht ja immer auf, wenn einer so richtig auf die Zwölf geflogen ist. Hier müssen wir sie  verneinen: Für so eine Tragödie braucht’s einen großen Helden, der dann spektakulär scheitert. Wir haben nur eine verbiesterte Ideologin, der beim Einbruch in die Staatskanzlei der Kuhfuß entzweiging. Sowas will keiner sehen.

Nicht mal Roland Koch. Als feixendes Publikum hatten wir uns auf einen hämisch grinsenden Sieger gefreut. Einen, der mehr schlecht als recht um staatsmännische Zurückhaltung ringt, weil er den geschenkten Triumph kaum fassen kann. Doch es gibt Geschichten, die sind so gruselig, daß es selbst dem bösen Feind das Grinsen verschlägt.

Die beinahe melancholische Ruhe, in der Roland Koch der Presse erklärte, wie es nun weitergeht, war nicht gespielt, die war echt: Dem CDU-Ministerpräsidenten hing das monatelange Gewürge seiner Herausforderer sichtlich zum Halse heraus. So, Kinder, hätte er sagen wollen, Spaß muß ja sein, aber das war echt zuviel! Jetzt wird klar Schiff gemacht und ab nächstem Jahr wieder gearbeitet.

Also: Neuwahlen. Das Schreck­wort der hessischen Sozialdemokraten, denn sie müssen fürchten, daß ihre ganze Fraktion danach in einem Wigwam Platz hat. Das war der Grund, warum sie Frau Ypsi­lanti so blind folgten wie verängstigte Pfadfinder auf Nachtwanderung. Sie wären ihr überallhin gefolgt, weil rundherum grantelnde Wähler nur darauf sannen, bitter Rache zu nehmen für den Betrug an ihnen. Dazu werden sie bald Gelegenheit bekommen. Was soll die SPD denen bloß sagen? Eine von diesen üblichen Wahlkampfparolen wie „Auf unser Wort ist Verlaß“, und vom Hohngelächter bröckelt der Taunus.

Besser, die SPD überläßt den hessischen Wahlkampf ganz den deutschen Medien. Die können das glänzend, wie sie erneut unter Beweis gestellt haben. Nach mehr als einem Jahr objektiver Bericht­erstattung über den US-Wahlkampf hat jeder deutsche TV-Konsument ein glasklares Bild von der Gesellschaftsstruktur der Vereinigten Staaten. Kurz gesagt: Es gibt „die Guten“ (Obama-Wähler) und „die Bösen“ (McCain-Unterstützer). Die Guten sind viel besser als die Bösen, weil sie lesen und schreiben können, sich ums Klima sorgen wie um die Armen und Kranken und Beladenen, und sie führen auch ganz anders Krieg, moralisch betroffener irgendwie. Die Bösen dagegen sind dumm, egoistisch, brutal und irgendwie gar nicht betroffen.

Die Guten fanden sich zum Interview vor prall gefüllten Bücherwänden ein, der sogenannten „Kompetenztapete“. Das wirkt so intellektuell. Dort fragte sie der deutsche Journalist nach den Verbrechen von George W. Bush, nach ihrem Mitleid für die Dritte Welt und nach dem Klima. Die Bösen las man stattdessen vor texanischen Subprime-Hütten auf, besonders gern mit Fahne dran (nationalistisch!). Da ging es dann in zwei knappen Sätzen um Todesstrafe und Waffengesetz.

Mit den Guten über die Todesstrafe zu sprechen wäre unfair gewesen, schließlich hatte Barack Obama die ja auch für Kinder­schänder gefordert und war damit weit über seinen republikanischen Konkurrenten John McCain hinausgegangen. Wie sollte man das dem deutschen Zuschauer erklären? Also ließ man das heikle Thema einfach weg, und die Welt blieb schön.

Daß man die Bösen nicht schon lange vor dem Urnengang alle eingesperrt oder ausgewiesen oder ihnen wenigstens das Wahlrecht entzogen hatte, mußte dem deutschen Fernsehzuschauer erst als Rätsel, dann als Skandal erscheinen. Aber sie sind halt ein verschrobenes Land, diese USA.

Sich darüber zu belustigen, gehört zu den Privilegien eines alten Kontinents. Und alt sind wir tatsächlich, weshalb wir ständig Sachen verschusseln, die im tiefen See unserer Vergeßlichkeit gesunken sind. Was, Boni? Nie gehört! Jedenfalls nicht dann und dann, sondern später. Oder früher?

Der Bundesverkehrsminister bereitet seinen sozialdemokratischen Genossen derzeit keine Freude. Tiefensees endlose Strecke erlegter Staatssekretäre fällt langsam dumm auf. Wirklich gemeine Kerle springen schon aus dem Gebüsch und stellen die tödliche Frage, ob es eigentlich irgendetwas gibt, das der Herr Minister nicht vermasselt hätte.

Am hinterhältigsten jedoch treibt es die Kanzlerin selbst: Angela Merkel versichert der staunenden Öffentlichkeit treuherzig ihre Loyalität zu dem Pannenkönig von der anderen Partei. Ist das nicht herzerwärmend? Die Gute. Die Gute? Von wegen: Die nächsten Bundestagswahlen sind nur noch gut zehn Monate hin. Dieser passionierte Kabinetts-Clown mit SPD-Parteibuch wird die Debatte bis dahin ganz gewiß mit immer neuen Blamagen würzen und so die Arsenale der CDU-Chefin füllen.

Etwas Besseres konnte Merkel  gar nicht passieren, als einen Tiefensee in den Reihen ihrer Gegenspieler zu wissen. Natürlich darf sie sich nicht zu eng neben ihn stellen, denn büßen sollen die Debakel ja seine SPD-Kollegen. Doch neben ihm steht sie ja auch gar nicht. Wie Merkel selber betont hat, steht sie nach wie vor „hinter“ dem Verkehrsminister. Also da, wo Brutus stand – und Angela Merkel weiß genau, wie man den Moment errechnet, in dem man zustechen muß. Das hat sie auf ihrem Weg nach oben mehrfach demonstriert.


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