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22.11.08 / Kirchtürme, soweit das Auge reicht / Wilna wird Europäische Kulturhauptstadt 2009 – »Litauen auf der Weltkarte verorten«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-08 vom 22. November 2008

Kirchtürme, soweit das Auge reicht
Wilna wird Europäische Kulturhauptstadt 2009 – »Litauen auf der Weltkarte verorten«

Rund 120 Projekte und mehr als 900 Veranstaltungen kündigt das städtische Kulturhauptstadtbüro von Wilna (litauisch Vilnius) für das kommende Jahr an. Die litauische Hauptstadt trägt 2009 zusammen mit dem österreichischen Linz den Titel Europäische Kulturhauptstadt.

Mit einem Budget von umgerechnet rund 46 Millionen Euro feiert Wilna 2009 die Kultur und den 1000. Jahrestag der ersten urkundlichen Erwähnung Litauens im Jahre 1009. Auf dem Programm steht neben Musik-, Film- und Theaterfestivals die „Inszenierung der Stadtgeschichte“. Dazu gehört ein Barock-spektakel mit vielen Konzerten und einem Straßenfest, auf dem die Teilnehmer in Kleidung aus der Barockzeit Kunst inszenieren. Die Veranstalter versprechen ein Kulturhauptstadtjahr zum Mitmachen. Wer ein Instrument spielt oder als Sänger auftreten möchte, kann sich zum Straßenmusikfestival im Frühjahr anmelden und auf den Straßen der Stadt musizieren. Im Herbst 2009 zeigt Wilna „Kunst an ungewöhnlichen Orten“. Auf Brücken, Straßen, Fried- und Bahnhöfen inszenieren die Kulturhauptstadtmacher Kunstereignisse. Eine Fotoausstellung füllt die Fenster von Wohn- und Bürohäusern. Tanzkurse und Ausstellungen beleben die Straßen. Inspiriert sind viele der Ereignisse von der Fluxus-Bewegung, die die beiden Litauer Jonas Mekas und Jurgis Maciúnas gegründet haben.

Großen Wert legen die Veranstalter darauf, daß viele Ereignisse und Projekte der Stadt und ihren Bewohnern über 2009 hinaus erhalten bleiben, darunter die neue Nationalgalerie, ein „multifunktionales“ Kulturzentrum und das „Druckhaus der Künste“, das unter anderem Werken litauischer Bildhauer eine neue Heimat bieten wird.

„Wir wollen Litauen auf der Weltkarte verorten“, erklärt Ieva Petkute, die das Kulturhauptstadtprogramm mit organisiert. Einer Umfrage von 2006 zufolge kennen 42 Prozent der Europäer Litauen überhaupt nicht. „Viele denken, wir sprechen Russisch. Manche verlegen uns sogar nach Asien oder Afrika“, wundert sich nicht nur Petkute über die Ergebnisse der Umfrage.

Um Litauen, Wilna und das Kulturhauptstadtprogramm bekannt zu machen, hatten die Verantwortlichen rund 1000 Freiwillige aus 30 Ländern als „Botschafter“ gewonnen. Sie werben in ihrer jeweiligen Heimat für das bislang kaum bekannte Reiseziel. So hoffen die Stadt und die litauische Regierung auf drei Millionen Touristen im kommenden Jahr.

Zu entdecken gibt es eine Menge: Wilnas Altstadt zählt seit 2002 zum Weltkulturerbe. Polnische Jesuiten haben ihr mit ausladendem gegenreformatorischem Barock im 16. Jahrhundert ihren Stempel aufgedrückt. An die 50 Kirchen fast aller christlichen Konfessionen ragen aus der Silhouette der mit 360 Hektar größten Altstadt Osteuropas.

In Scharen bestaunen die Gäste die in frischen Pastellfarben gestrichene, barocke Pracht der Kirchen, die an schicken Cafés und Restaurants reiche Flaniermeile Piles-Straße, das Tor der Morgenröte mit seiner Wallfahrtskapelle und den vielen silbernen Votivtafeln, das klassizistische Rathaus, die Kathedrale und den Präsidentenpalast.

Auf den ersten Blick wirkt die weitläufige Altstadt wie ein herausgeputztes Freilichtmuseum. Wer genauer hinsieht und -hört, findet in den barocken Gassen die Spuren und Gotteshäuser: Polen, Litauer, Weißrussen, Juden und Russen.

Die jungen Leute interessieren sich in Litauen wie überall weniger für Traditionen als für die schnelle, moderne Kommunikation. Mit einer Mischung aus Sarkasmus und Begeisterung berichtet zum Beispiel der 20jährige Tomas über seine Heimatstadt in einem Blog, der immerhin 600 der gut 500000 Wilnaer abonniert haben. „Am besten gefällt mir hier, daß ich hier geboren bin und deshalb überall Freunde treffe“, erzählt der junge Mann mit der ihm eigenen Ironie. Am liebsten radelt er durch die Stadt und beobachtet die Menschen.

Die Stadt verändert sich rasant. Am Ufer des Flusses Neris wird bald ein Ufo landen. Das Guggenheim-Museum, ein futuristischer, silberglänzender Bau, soll im Kulturhauptstadtjahr 2009 fertig werden. Auch Wilna ist in die weltweit immer gleiche, langweilige Post-Moderne mit ihren Glaspalästen und ihren Latte-Macchiato-Cafés aufgebrochen.         Robert Fishman

Foto: Unbekanntes Juwel: Wilna feiert 2009 seine jahrhundertalte Kultur, trotzdem ist die Stadt vielen kein Begriff.


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