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22.11.08 / Ein Wirrwarr unübersichtlicher Angebote / Die Gesundheitsreform sollte für mehr Transparenz bei den Krankenkassen sorgen, nun überwiegt Verwirrung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-08 vom 22. November 2008

Ein Wirrwarr unübersichtlicher Angebote
Die Gesundheitsreform sollte für mehr Transparenz bei den Krankenkassen sorgen, nun überwiegt Verwirrung

Voller Bangen sahen die gesetzlichen Krankenkassen dem 15. November entgegen. An diesem Tag gab die Bundesregierung bekannt, wieviel Geld jede Kasse aus dem Gesundheitsfonds erhält.

Und wie bereits von den meisten Beobachtern vermutet, profitieren die Allgemeinen Ortskranken (AOK) als einzige von dem neu eingeführten morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich. Dieser „Morbi-RSA“ bedeutet, daß den Kassen nicht mehr nur Zahlungen je nach Alter und Geschlecht ihrer Versicherten zustehen, sondern auch 80 verschiedene chronische Krankheiten beim Finanzausgleich der Kassen berücksichtigt werden. Die Kasse, die am meisten kranke und daher kostenintensive Versicherte hat, bekommt aus dem Gesundheitsfonds die größten Summen. Im Falle der AOKs sind es für das Jahr rund 65 Milliarden Euro der insgesamt zu verteilenden 167 Milliarden. Das sind 2,4 Milliarden Euro mehr als vor Einführung der neuen Regeln des Gesundheitsfonds, was auch verständlich macht, warum sich die AOKs als die einzigen gesetzlichen Krankenkassen nicht massiv gegen die Einführung des Gesundheitsfonds gewehrt haben.

Insgesamt steigen durch die Einführung des Einheitsbeitrages in Höhe von 15,5 Prozent – was für die meisten Versicherten eine Beitragserhöhung bedeutet – im Jahr 2009 die Krankenkasseneinnahmen um elf Milliarden Euro. Doch der erwähnte „Morbi-RSA“ sorgt dafür, daß nur die AOKs von dem neuen Finanzierungssystem profitieren.

Wieviel Geld jede einzelne Kasse aus dem Fonds ausgezahlt bekommt, gilt zwar als Betriebsgeheimnis, doch jede erhält pro Versicherten die Grundpauschale von 185 Euro im Monat. Zu- oder Abschläge je nach Alter, Geschlecht und Krankheitsrisiko der eigenen Versicherten sorgen dafür, daß der wirklich ausgezahlte Betrag zwischen 100 und 270 Euro pro Versichertem variiert. Das führt dazu, daß die Betriebskrankenkassen rechnerisch auf 1,1 Milliarde Euro verzichten müssen. Die Angestellten- und Ersatzkrankenkassen können über etwa 530 Millionen Euro weniger als nach altem Recht verfügen und die Innungskrankenkassen müssen mit 455 Millionen Euro weniger haushalten.

Den Versicherten kann all dies insofern egal sein, als sie, gleichgültig bei welcher Kasse sie sind, 15,5 Prozent zahlen. Mit möglichen Rückzahlungen von gut wirtschaftenden Krankenkassen ist vorerst nicht zu rechnen, da alle erst einmal schauen müssen, wie sie bei steigenden Gesundheitskosten mit ihrem Budget haushalten können. Erst am vergangenen Dienstag streikten bundesweit Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger für weitere 6,5 Milliarden Euro. Ob sie ihre Forderungen bereits für das Jahr 2009 durchsetzen können, wird sich in den nächsten Wochen zeigen, doch da den Krankenkassen bereits ihr Anteil aus dem Gesundheitsfonds zugeteilt wurde, ist ihr Spielraum für Zusagen gering. Zudem müssen sie aber auch ihren Versicherten etwas bieten. Da der Wettbewerb unter den Krankenkassen mit Einführung des Einheitsbeitrages künftig nicht mehr über den Preis möglich ist, müssen sie besondere Serviceangebote bieten, die natürlich auch Geld kosten. Besonders die großen unter ihnen, wie die AOKs, die Barmer, Techniker und DAK, locken mit 24-Stunden-Erreichbarkeit und einem breiten Filialnetz. In Zeiten von Callcentern und E-Mail-Service können jedoch auch die Betriebs- und Innungskrankenkassen eine 24stündige Erreichbarkeit garantieren. Wie gut die Qualität des Angebotes ist, kann ein Versicherter bei der Wahl seiner Kasse schwer im voraus beurteilen.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte im Rahmen ihrer Reform mehr Transparenz versprochen, doch das Gegenteil ist der Fall. Außer der Tatsache, daß überall ein Beitrag von 15,5 Prozent fällig wird, ist das Serviceangebot derart vielfältig und unübersichtlich, daß ein Versicherter die verschiedenen, teilweise aber kaum vergleichbaren Angebote genau prüfen muß. „Die Angebotsmöglichkeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung sind so umfassend, daß wir Ihnen hier unmöglich einen kompletten und vollständigen Überblick liefern können“, bedauert Thorsten Jakob, Pressesprecher bei der Barmer. Die Krankenkassenangestellten tragen hier inzwischen den Titel „Gesundheitsmanager“ und haben neben den üblichen Verwaltungsaufgaben noch die Beratung der Versicherten bei der Wahl ihres individuellen Tarifes zu leisten. Da die Barmer wie die meisten Anbieter gesundheitsbewußtes Verhalten belohnt, gibt es hier zahlreiche Möglichkeiten, Teile des Beitrages zurückzuerhalten. Auch wer alle Vorsorgeuntersuchungen wahrnimmt oder Teile seiner Arztrechnungen selber zahlt, bekommt am Ende des Jahres Geld zurück.

Die DAK wirbt mit Bewegungs- und Entspannungskonzepten, die Barmer mit „Deutschland bewegt sich“ und die KKH mit speziellen Programmen für chronisch Kranke. Die haben zwar alle anderen in irgendeiner Form ebenfalls, doch der Unterschied zeigt sich erst im Detail – diesen herauszufinden ist nun Aufgabe des Versicherten, der angesichts der Fülle an oft intransparenten Serviceanboten vermutlich meistens seiner Kasse treu bleiben wird. Hierauf setzen offenbar vor allem die lange durch den niedrigen Beitrag so attraktiven Betriebskrankenkassen. Mit Zusatzangeboten halten sie sich derzeit noch zurück, warten erst einmal ab, wie sie mit ihrem Geld auskommen und wie sich die Versicherten verhalten. Zwar kann jeder mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende seine Kasse wechseln, doch wie viele diese Möglichkeit ergreifen, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen. Rebecca Bellano


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