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22.11.08 / Das letzte Glück in Königsberg / Familiensaga geht weiter: Helga Kutz-Bauer über Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-08 vom 22. November 2008

Das letzte Glück in Königsberg
Familiensaga geht weiter: Helga Kutz-Bauer über Ostpreußen von 1923 bis 1945

Auch im zweiten Teil ihrer Familiensaga weiß Helga Kutz-Bauer ihren Leser in ihren Bann zu ziehen. Nach „Königsberger Schnittmuster“, in dem das Schicksal der im Rahmen der napoleonischen Kriege nach Ostpreußen gewanderten Französin Carine und ihrer Nachkommen der Jahre 1807 bis 1923 dargestellt wird, zeichnet die Autorin nun in „Königsberger Kreuzwege“ den Weg der verschiedenen Familienzweige nach.

Und es sei gleich vorweg gesagt, auch wenn die Autorin dies erst am Ende ihres Buches mitteilt. Ein Teil dieser Erlebnisse trägt autobiographische Züge. Da die Autorin selbst erst 1939 in Königsberg geboren wurde, blieb ihr im Grunde gar nicht viel anderes übrig, als die Lebensläufe der zeitlich vor diesem Jahr geborenen Personen auf eine fiktive Basis zu stellen.

Doch dies gilt nur für die meisten der Einzelschicksale, die historischen Entwicklungen sind akribisch recherchiert. Hierbei konnte Helga Kutz-Bauer, die bis zu ihrer Pensionierung 2003 Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung in Hamburg war, auf ihr während des Studiums und danach erlangtes Wissen zur Sozialgeschichte zurückgreifen. Da sie zudem einen Faible für die Geschichte der Sozialdemokratie hat und über Quellen von maßgeblichen SPD-Mitgliedern in Ostpreußen verfügt, sind ihre Schilderungen über die Lebensumstände der Arbeiterklasse in Königsberg äußerst detailliert und authentisch.

Doch bei aller Politikgeschichte vergißt die Autorin nicht, vor allen ihren weiblichen Lesern etwas fürs Herz zu bieten. Liebesgeschichten, Familienzusammenhalt und tapfere Frauen hat sie in den verschiedensten Konstellationen parat.

Im Zentrum der „Königsberger Kreuzwege“ steht Friede, die Tochter von Marie, deren Schicksal der Leser schon im ersten Teil maßgeblich verfolgen konnte. Friede, die jüngste Tochter von Marie, folgt nicht dem Vorbild ihrer Mutter und Schwestern, Näherin, Hausmädchen oder Fabrikarbeiterin zu werden, sondern dringt darauf, eine Ausbildung zur Sekretärin zu erhalten. Sie hofft, auf diese Weise in die Mittelschicht aufzusteigen. Um ihrer Tochter diesen Wunsch zu erfüllen, muß Marie putzen gehen, doch ihr Arbeitsplatz behagt ihr sehr, denn sie putzt auf dem Königsberger Schloß – übrigens genau wie die Großmutter der Autorin, wie diese der PAZ verriet.

Da der Roman die Jahre 1923 bis 1945 umfaßt, ist es verständlich, daß Politik eine wichtige Rolle in Helga Kutz-Bauers Roman spielt. Friede versucht zwar immer, sich von der Politik fernzuhalten, aber ob Wirtschaftskrise, die Regierungswechsel während der Weimarer Republik, die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten oder der Zweite Weltkrieg mit Flucht und Vertreibung, Friede muß auch ohne Interesse an Politik die Konsequenzen der von anderen gemachten Politik tragen – wie so viele Menschen in diesen Jahren.

Doch sie versucht, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Im Gegensatz zu ihren älteren Schwestern macht sie sich nicht zu früh an die Familiengründung und genießt mit ihrem Langzeit-Freund und späteren Mann Otto viele glückliche, im Roman ausführlich beschriebene Sommerurlaube in Ostpreußen.

Da beide Arbeit haben, was, wie die Autorin anhand vieler Beispiele deutlich macht, in diesen Jahren keineswegs selbstverständlich ist, lebt das junge Paar in einem gewissen Wohlstand und hat daher wenig Verständnis für die sozialdemokratischen Aktivitäten einiger Familienmitglieder.

Beeindruckend schildert die Historikerin, wie der Nationalsozialismus schleichend das Leben der Menschen beeinflußte. Erst waren es nur Gegner des Regimes wie die in der Roman-Familie aktiven SPD-Anhänger und Kommunisten, dann die jüdischen Bekannten und dann jeder, der sich nicht den Massen anschloß. Hierbei wird vor allem für nachgeborene Generationen nachvollziehbar, wie erst langsam und unauffällig, dann aber immer schneller sich die Schlinge um die Freiheit der Menschen enger zog und viele so ungewollt zu Mitläufern wurden.

„,Reisen Sie mit Ihren Kindern nach Westen‘, klang es Friede immer wieder im Ohr. Andererseits wollte sie nicht in die Flüchtlingsströme geraten, die nach der befohlenen Räumung des 30 Kilometer hinter der Front liegenden Gebietes mit Planwagen die Straßen verstopften und die Bahnhöfe zu Heerlagern machten.“

Friede zieht mit ihren Kindern Hella, wie Helga Kutz-Bauer 1939 geboren, und Jürgen gen Westen und entscheidet sich, trotz Bitten ihres Mannes Otto, nicht noch einmal ins zerstörte Königsberg zurückzukehren, wo er kurzfristig mit seiner Einheit stationiert ist. In Niedersachsen findet sie eine Unterkunft, aber kein Zuhause. Ein Teil ihrer Familie ist über den Norden Deutschlands verteilt, einige sind seit Anfang 1945 sogar spurlos verschwunden – unter anderem ihr Mann.       Rebecca Bellano

Helga Kutz-Bauer: „Königsberger Kreuzwege – Von glücklichen Tagen und schrecklichen Zeiten 1923 bis 1945“, Rautenberg, Würzburg 2008, 355 Seiten, 14,95 Euro


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