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29.11.08 / »Strategische Langzeitbedrohung« / Der Terrorexperte Berndt G. Thamm über Piraten, islamistische Netzwerke und neue Sicherheitskonzepte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-08 vom 29. November 2008

»Strategische Langzeitbedrohung«
Der Terrorexperte Berndt G. Thamm über Piraten, islamistische Netzwerke und neue Sicherheitskonzepte

Berndt Georg Thamm gilt als einer der führenden Terrorismusexperten in Deutschland. Konrad Badenheuer interviewte den in Berlin lebenden Publizisten exklusiv für die Preußische Allgemeine Zeitung.

PAZ: Was ist aktuell die größte Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands?

Berndt Georg Thamm: Wir müssen zunehmend zur Kenntnis nehmen, daß wir in Deutschland einer strategischen Langzeitbedrohung ausgesetzt sind mit einer Ausweitung des Spektrums der möglichen Täter. Neben dem sogenannten „home grown terrorism“, also dem islamistischen Terror durch Täter, die in westlichen Ländern geboren sind, hat auch die Bedrohung durch Einzeltäter zugenommen. Ein Beispiel für letzteres ist der Mord an dem niederländischen Theo van Gogh.

PAZ: Droht das auch in Deutschland?

Thamm: Die Bedrohung existiert, man denke nur an den 21jährigen Erik Breininger aus dem Saarland. Dieser deutsche Konvertit gehört zum Umfeld der sogenannten Sauerlandgruppe, die im Sommer 2007 kurz davor war, schwere Bombenanschläge zu verüben. Von deren dreiköpfiger Kerngruppe waren mit Fritz Gelowicz und Daniel Schneider wiederum zwei deutsche Konvertiten, der dritte war ein Deutschtürke.

PAZ: Im Sauerland wurden allein zwölf Fässer mit explosiven Chemikalien beschlagnahmt. Können drei Personen so etwas organisieren?

Thamm: Die Bundesanwaltschaft hat gegen zehn Personen ermittelt, von denen sich mehrere ins Ausland abgesetzt haben. Zum weiteren Umfeld gehören insgesamt rund 50 Personen, darunter wohl auch Breininger.

PAZ: Wie hat man sich die Struktur eines solchen Netzes vorzustellen?

Thamm: Diese rund 50 Personen stehen nicht unter einheitlichem Befehl und bilden auch keine straffe Organisation. Aber sie waren in den selben Terrorcamps in Pakistan und haben von daher teilweise auch die gleichen Instrukteure.

PAZ: Konvertiten sind oft besonders überzeugt von ihrem neuen Glauben. Wie groß ist die Dynamik der Bedrohung durch Konvertiten?

Thamm: Nach Angaben des deutschen Islamarchivs in Soest sind bis einschließlich 2004 jährlich rund 300 bis 350 Deutsche zum Islam konvertiert. 2005 waren es erstmals 1000 und im Jahr danach sogar 4000. Diese enorme Dynamik sagt für sich genommen noch wenig über die Bedrohung aus, die von diesem Personenkreis ausgeht. So wie die weitaus meisten Muslime friedliche Bürger sind, so sind das natürlich auch die weitaus meisten Konvertiten.

PAZ: Wie kann Deutschland sich generell vor islamistischen Gefahren schützen?

Thamm: Die Terrorbekämpfung muß sich breit aufstellen. Es genügt nicht mehr wie vor 2001, einreisende gewaltbereite Islamisten im Blick zu behalten. Neben den genannten einheimischen Tätern und den Reisenden gibt es eine dritte Gruppe, zu der die Libanesen gehören, die im Sommer 2006 versuchten, Bomben in Nahverkehrszüge bei Köln zu legen. Die Hauptverdächtigen waren libanesische Staatsbürger, die in Deutschland studiert haben. Unverzichtbar ist der intensive Informationsaustausch aller beteiligten Sicherheitsbehörden. Das ist seit 2004 mit dem gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow nun geschafft. Zu den insgesamt 40 Beteiligten gehören unter anderem die je 16 Länderpolizeien und Verfassungsschutzämter, dazu natürlich der BND, das Bundeskriminalamt und andere.

PAZ: Stichwort BKA. Die Parteien ringen heftig um das neue BKA-Gesetz. Strittig ist vor allem die sogenannte Online-Durchsuchung. Brauchen wir die?

Thamm: Dazu muß man wissen, daß die Bedeutung des Internets für den islamistischen Terrorismus seit den Anschlägen des 11. September 2001 sprunghaft gestiegen ist und weiter wächst. Das Internet ist für islamistische Terroristen ein wichtiges Medium für Tatvorbereitung, Kommunikation, aber auch Rekrutierung und Indoktrination. Im Internet gibt es inzwischen virtuelle Universitäten für den Dschihad. 1998 gab es weltweit erst zwölf „dschihadistische“ Internetseiten, 2007 waren es bereits 5700. Die Zunahme geschah vor allem nach dem 11. September, als die Al-Kaida in ihrer bisherigen Form zerschlagen wurde und sich gleichsam ins Internet verlegte. Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen kann ich der Argumentation von BKA-Präsident Jörg Ziercke sehr wohl folgen, daß die Sicherheitsbehörden in diesem Bereich mehr Möglichkeiten brauchen.

PAZ: Also Ja zur Online-Durchsuchung?

Thamm: Die ist zwischen den Parteien als solche nicht mehr umstritten. Die Frage ist eher: Brauchen wir in jedem Fall den Richtervorbehalt? Hier denke ich, daß man an der rechtsstaalichen Gesinnung und an der Integrität beispielsweise von Staatsanwälten und Polizeichefs nicht zweifeln sollte. Den Vorwurf, uns bedrohe ein Polizeistaat, halte ich für falsch.

PAZ: Brauchen wir die Möglichkeit für Bundeswehreinsätze im Inneren?

Thamm: Die Polizei kann viel, aber nicht alles. Einige sehr spezielle, für die Terrorabwehr aber wichtige Fähigkeiten hat nur die Bundeswehr – etwa im Bereich der ABC-Abwehr. Es ist sinnvoll, diese Fähigkeiten in ein Gesamtkonzept zur Abwehr terroristischer Gefahren einzubauen.

PAZ: Vor der Küste Somalias haben Piraten einen mit Öl beladenen Supertanker entführt – ist das noch reine Kriminalität oder kann das auch der Terrorfinanzierung dienen?

Thamm: Am Horn von Afrika ist das bisher noch reine Kriminalität. Allerdings beobachten wir immer öfter Bündnisse zwischen der organisiserten Kriminalität ei-nerseits und islamistischem Terrorismus andererseits. Sicherheitsexperten sprechen hier von „symbiotischem Terrorismus“. Ein Beispiel dafür ist der Weiterverkauf von Geiseln durch die irakische „Entführungsindustrie“ an islamistische Gruppen, ein anderes die Rolle des Drogenanbaus in Afghanistan zwischen Taliban und „normaler“ organisierter Kriminalität. In ähnlicher Weise besteht die Gefahr, daß sich somalische Seepiraten mit somalischen Islamisten verbünden.

 

Berndt Georg Thamm ist Autor von 18 Büchern zu Sicherheitsfragen, das neueste hat den Titel „Der Dschihad in Asien – die islamistische Gefahr in Rußland und China“, 280 S., dtv 2008, 15 Euro.

Foto: Piratenbekämpfung bisher nur mit Samthandschuhen: Deutsche Soldaten überprüfen ein Boot am Horn von Afrika – mit vorheriger Zustimmung des Kapitäns.


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