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29.11.08 / Alte, verfügt Euch!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-08 vom 29. November 2008

»Moment mal!«
Alte, verfügt Euch!
von Klaus Rainer Röhl

Als sie jung waren, haben sie das Land wieder aufgebaut, Häuser erworben und Geld für die Alterssicherung auf die hohe Kante gelegt. Das war mehr als ein Wirtschaftswunder. Die Gleichaltrigen in Honeckers eingezäunter Spielwiese DDR hatten auch redlich gearbeitet, eine kleine Datscha gebaut und sieben Jahre für einen Trabi aus Kunststoff gespart. Sie konnten ja nichts dafür, daß sie zur russischen Kriegsbeute gehörten. An Fleiß und Tüchtigkeit standen sie ihren glücklicheren Verwandten im Westen nicht nach, ihre heutige Rente haben sie sich redlich verdient. Inzwischen haben auch im Osten viele ein bißchen was für die Kinder und Enkel auf die Seite gelegt. Schon zur Jahrtausendwende hatten die Erbauer des Wirtschaftswunders in Deutschland ein Vermögen von 2000 Milliarden Mark vererbt. Noch einmal soviel steht für die Kinder in den nächsten 20 Jahren zu erwarten.

Was sagt man da? Danke, liebe Eltern!

Im Jahr vor der Bundestagswahl wird es plötzlich offen zur Sprache gebracht: Alter ist das schlimmste Risiko, dem der Mensch ausgesetzt ist. Plötzlich hat es sich herumgesprochen, daß es der großen Mehrheit der älteren Leute schlecht geht. So schlecht, daß sich Regierung und Parlament, Zeitungen und Fernsehen öffentlich um sie Sorge machen. Altersarmut. Depressionen. Grauenhafte Zustände in den bezahlbaren Altersheimen, das heißt in den, den meisten Versicherten im Pflegefall als letzter Ausweg drohenden Heimen. Die in Tageszeitungen und Fernseh-Magazinen aufgedeckten Zustände in vielen Altenverwahr-Anstalten sind unerträglich, werden aber nicht geändert. Jede Woche wird ein neuer Skandal aufgedeckt, den die Zeitung mit den großen Buchstaben dann anprangert: „Hilflose Alte ans Bett gefesselt! Unruhige den ganzen Tag auf dem Sessel festgeschnallt („fixiert“), Patienten mit Medikamenten ruhiggestellt! Altersheim-Insassin bekam nicht einmal ausreichend zu trinken!“ Alltäglicher Horror. Schlimme Zustände auch in den überteuerten „Senioren-Residenzen“: Viel Geld, wenig Zuwendung. Noch weniger Besuch von Verwandten als in den öffentlichen Pflegeheimen.

Im Pflegefall ist es für die meisten besser zu sterben. Das dürfen sie aber nicht. Sterben ja. Aber sie sollen um Himmels Willen nicht selber dabei Hand anlegen oder den Zeitpunkt ihres Todes selber bestimmen. Die alte, neue Lösung, über die ab Montag der Bundestag debattiert, ist das Patiententestament, die „Patientenverfügung“. Was heißt das? Darf man die Todesart und Zeitpunkt nun doch selber bestimmen? Im Grunde nicht.

Für manche junge Leute tritt der „Erbfall“ offenbar nicht schnell genug ein. Da hat vor einigen Jahren ein Vorsitzender der Jungen Union in einem Interview vorgebracht, die 80jährigen müßten nicht unbedingt eine teure Hüftprothese von der Krankenkasse bekommen, eine einfache Gehhilfe (sprich Krückstock!) täte es auch. Das war ein Ausrutscher, sicher. Aber er kam aus dem Kopf eines Abgeordneten der CDU! Die Partei und die Öffentlichkeit distanzierten sich natürlich. Nicht ohne hinter vorgehaltener Hand zu erörtern: Na, das ist ja auch ein Problem: Da wird für 3200 Euro ein ultrakleines Hörgerät angeschafft, zwei Monate später stirbt der Mann, und das Gerät ist hin. Ebenso wie die Zahnbrücke mit Platinspange für 5000 Euro.

Sie vergessen nur eins, meine Herren Politiker: Der 80jährige Patient hat sein Hörgerät und die Platinbrücke selber bezahlt, auch wenn die Krankenkasse sie ihm „bewilligt“. Für diese Kasse hat er jahrzehntelang, seit seiner frühen Jugend, Beiträge einbezahlt. Er muß sich für die Gehhilfe, die Spange und den „Ohrwurm“ nicht bedanken. Es war sein Geld, mit dem sie bezahlt wurde.

Gibt es eine Altenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft? Ob „Seniorenteller“ oder „Seniorentreff“, die Absonderung wird deutlich gemacht. Eine kaum kaschierte Anzüglichkeit der Veranstalter bestimmt Kaffeefahrten mit Rheumadecken ebenso wie Kreuzfahrten für die Reichen, herrscht in Behörden und Krankenhäusern: „Na, wie haben ,wir‘ denn heute geschlafen?“ Davor schützt auch keine Privatkasse und kein Einzelzimmer.

Nur Sterben dürfen die Alten nicht. Die letzte Entscheidung, am Ende seines Lebens nach den Horror-Reportagen aus den Pflegeheimen den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen, bleibt in diesem Land verboten. Statt dessen nun das neue Gesetz über das Patienten-Testament.

Auffällig oft wird in den letzten Jahren empfohlen, so ein Testament, eine sogenannte Patienten-Verfügung, zu verfassen. Ich finde das gefährlich. Besonders gefährlich, wenn jemand sein Bewußtsein und seine Fähigkeit, sich zu artikulieren, verliert. Gerade dann soll nun jemand anders über Leben und Tod entscheiden dürfen. Und das ist oft auch der, der über die Auslegung des Patienten-Testaments befindet! Ärzte und Verwandte. Wer macht sich da zum Herrn über Leben und Tod? Wer maßt sich an, den lieben Gott zu spielen? Vorsicht ist geboten.

Einigen jüngeren „Experten“ scheint es mit dem Sterben der Alten nicht schnell genug zu gehen. Das fängt schon an mit der Bemerkung eines Arztes in einer Fernseh-Gesprächsrunde: Wir haben ein demographisches Problem, wir werden immer älter – jedenfalls die Deutschen. Ein demographisches Problem! Diese Bemerkung, fast immer von Angehörigen der jüngeren oder mittleren Generation gemacht, gefällt mir gar nicht. Denn sie heißt doch, ihrer Bemäntelung entkleidet, nichts weiter als: Die Alten leben zu lange. Die Fortschritte der medizinischen Forschung und deren breite Anwendung – Vorsorgeuntersuchungen mit den mo-dernsten Methoden, bessere Medikamente und Heilungschancen bei Krebs, Herzschrittmacher, Bypasse, Stents, Herz- und Nierentransplantationen – bewirken, daß der Durchschnittsdeutsche heute viel länger lebt als vor 50 Jahren. Sagen uns die Experten, und das klingt fast ein bißchen vorwurfsvoll. Solch einen Experten möchte ich fragen: „Was sagen Sie ihrem Vater, wenn er seinen 80. Geburtstag feiert?“ „Ich freue mich, daß du unter uns bist und wünsche dir ein langes Leben?“ Oder sagen sie ihm, „Du bist ein Problem?“ Wen es nicht freut, daß sein Vater länger lebt, sondern ein „Problem“ ist, der hat übrigens Ursache und Wirkung verwechselt. Die Schuld liegt in der Regel bei ihm selbst: Er hat, oft aus Egoismus und Bequemlichkeit, zu wenig Kinder in die Welt gesetzt. Zu wenig Mitbürger also, die sich über unsere Anwesenheit im Alltag freuen und bei den ersten Behinderungen oder Krankheiten helfen.

In einem amerikanischen Film mit dem Titel „Soylent Green – 2022“ werden alle Bürger zu einem bestimmten Zeitpunkt behördlich vorgeladen und in einen sanften Tod befördert: In einem schönen Raum sehen sie einen wunderbar farbigen Film, der ihre schönsten Lebenserinnerungen widerspiegelt und sie zu sanfter Musik langsam einschläfert. Um dann noch als Tote einem bestimmten Recycling zugeführt zu werden, indem man sie zu grünen Pillen verarbeitet, die als Nahrungsmittel an die Bewohner der hoffnungslos übervölkerten Welt ausgeteilt werden. Den Spartanern des alten Griechenland wird ebenfalls nachgesagt, nutzlos gewordene Alte in eine Schlucht gestürzt zu haben. Mögen dieser Kulturbruch aus dem Jahrtausend v. Chr. und der Horrorfilm aus dem Jahre 1973 weiter nur eine Schreckens-Vision bleiben. Vorsorge ja – Euthanasie nein. Gesundheit und ein langes Leben!

 

Klaus Rainer Röhl feiert am 1. Dezember 2008 seinen 80. Geburtstag. Er hat noch keine Patientenverfügung aufgesetzt, stattdessen schrieb er ein Buch für die Nachgeborenen (siehe Seite 22).


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