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06.12.08 / Namen, die bald niemand mehr nennt / Um Klagen von Tätern und Verrätern aus DDR-Zeiten zu vermeiden, wird anonymisiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-08 vom 06. Dezember 2008

Namen, die bald niemand mehr nennt
Um Klagen von Tätern und Verrätern aus DDR-Zeiten zu vermeiden, wird anonymisiert

Droht bald die „Invasion“ des Oberst X. und der Genossin Z. in deutschen Geschichtsbüchern? Die Birthler-Behörde sieht das Recht auf der Seite derjenigen, die die DDR-Geschichte aufarbeiten wollen, doch die Realität sieht anders aus.

Die Klagen häufen sich. Immer öfter trifft es Verlage, Ausstellungsmacher und Betreiber von Internetseiten. Dabei ist es nicht relevant, ob es große Verlage mit eigener Rechtsabteilung sind oder ob es eine von Schülern gemachte Ausstellung über die DDR-Vergangenheit ist. Personen, die zu DDR-Zeiten unrühmliche Taten begangen haben, wollen unerkannt bleiben. Sie klagen gegen jene, die ihre Namen nennen und somit fast 20 Jahre nach dem Fall der Mauer die alten „Geschichten“ wieder aufwärmen.

Die Kläger sehen ihr „Persönlichkeitsrecht“ gefährdet und fühlen sich unter „Resozialisierungsaspekten“ bedroht. Rein menschlich ist die Haltung der Kläger verständlich: Wer liest schon gerne, daß er laut neuesten Funden der Birthler-Behörde in alten Stasi-Akten ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des DDR-Geheimdienstes gewesen war und seinen Nachbarn verraten hat, was jenen ins Gefängnis brachte? Wenn derartige Informationen publik werden, muß der Betroffene damit rechnen, am Arbeitsplatz, im Heimatort, von Nachbarn und Freunden mit kritischen Blicken bedacht zu werden, möglicherweise droht Ausgrenzung. Zwar wird ein ehemaliger IM in der Bundesrepublik Deutschland keineswegs automatisch geächtet, doch von mancher Seite könnten Unannehmlichkeiten drohen. Um diese zu vermeiden, wird geklagt.

„Daß frühere inoffizielle oder hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter in letzter Zeit häufiger gegen das Bekanntwerden ihrer Namen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung ihrer Rolle als Werkzeug der SED-Diktatur klagen, behindert die öffentliche Auseinandersetzung mit der Stasi“, heißt es aus der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen. „Der Gesetzgeber hat die Aufarbeitung der Stasi-Strukturen und die Information darüber, wer die Stützen des Stasi-Unterdrückungsapparates waren, als so wichtig eingestuft, daß dafür die allgemeinen Persönlichkeitsrechte von Stasi-Mitarbeitern teilweise eingeschränkt werden dürfen.“

Nach den Paragraphen 32 und 34 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, also für Medien, Forschung und Aufarbeitung, müssen Namen von Stasi-Mitarbeitern nicht anonymisiert werden – doch bereits hiergegen gab es schon Klagen. Die Birthler-Behörde weicht allerdings nicht von ihrer Position ab und macht deutlich, daß zwar selbstverständlich auch Täter das Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre hätten, doch wenn es um ihre Stasi-Tätigkeit gehe, habe die Öffentlichkeit ein Recht, hiervon zu erfahren. 

Die Rechtslage begünstigt also weitgehend die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, doch die deutsche Gesetzeslage bietet findigen Anwälten so manchen Winkelzug an. Unterlassungserklärungen und Abmahngebühren an die Namensnenner sind inzwischen alltäglich geworden – und das hat Folgen.

Um Klagen zu vermeiden, hat der Proypälen Verlag sich entschieden, bei seinem aktuellen Titel „Die Fluchttunnel von Berlin“ gleich von vornherein auf die Nennung von Täter-Namen zu verzichten. Zwar sei man sehr entschieden dafür, das DDR-System aufzuarbeiten, so Programmleiter Christian Seeger, doch das finanzielle Risiko für einen Verlag sei bei einer möglichen Klage doch erheblich. Tageszeitungen könnten leichter mit den Namen umgehen, da sie heute gedruckt, morgen im Altpapier sind, bei Büchern müsse eine ganze Auflage eingestampft werden.

Die Haltung des Verlages ist aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten zwar nachvollziehbar, doch wenn das Beispiel Schule macht, werden bald in allen Büchern, Zeitungen, Fernsehdokumentationen und Ausstellungen nur noch anonymisierte Täternamen zu finden sein. Wenn bald nur noch von Oberst X. oder der Genossin Y. die Rede ist, wird eine Aufarbeitung der nahen Vergangenheit bald zur Farce. Die inzwischen schon verklärte DDR-Vergangenheit droht so Stück für Stück ihres dunkelsten Kapitels entledigt zu werden.

„Namen sind es nicht allein“, gibt Christian Seegers zu bedenken. „Die Schilderung der Tatbestände ist ja auch eine Form der Aufarbeitung.“ Derartige Argumente würden in Bezug auf die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit einen Sturm der Entrüstung auslösen. Das Unrecht, das im Namen der zweiten Diktatur auf deutschem Boden geschehen ist, verblaßt so, und während noch Prozesse gegen 90jährige Täter der NS-Zeit geführt werden, die schon vor dem Urteil in der Presse ungestraft als Kriegsverbrecher bezeichnet werden, führen die DDR-Täter Prozesse gegen jene, die aufklären wollen.             R. Bellano

Foto: Noch unberührt: Tausende von geschredderten Stasiakten liegen zerstückelt in den Archiven.


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