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06.12.08 / Berufsakademien auf dem Irrweg / Sie sollten eine Alternative zum Hochschulstudium werden, doch wurden sie nur eine schlechte Kopie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-08 vom 06. Dezember 2008

Berufsakademien auf dem Irrweg
Sie sollten eine Alternative zum Hochschulstudium werden, doch wurden sie nur eine schlechte Kopie

Einst wurden sie als Wunderwaffe gepriesen: die Berufsakademien in Baden-Württemberg. Das sind staatlich anerkannte Bildungseinrichtungen, die einen Platz neben den Hochschulen einnehmen. Die Ausbildung dauert drei Jahre, gegliedert in Unterrichtsphasen in der Berufsakademie und Ausbildungsblöcken im Unternehmen der Praxispartner. Mit diesem Modell, das vor über 20 Jahren entwickelt und eingeführt wurde, sollte bewußt eine Alternative zum Studium geschaffen werden. Offenkundig war bereits der Trend zum Gymnasium und zu den Hochschulen. Damit dem Eindruck entgegen gewirkt werden konnte, nur über ein Studium seien attraktive Positionen zu erreichen, hat man diese Möglichkeit eingerichtet. Hinzu kam ein anderes Motiv. Weil die Fachhochschulen ihren Auftrag, ein berufsorientiertes Studium anzubieten, immer mehr vernachlässigten, wurde ein Kontrapunkt gesetzt. Die Berufsakademien sind ein gutes Beispiel für das duale System, das in Deutschland eine große Tradition hat und das jedenfalls nicht in seiner Bedeutung geschmälert werden darf. Andere Länder übernahmen das Modell, Berlin und Thüringen in staatlicher Trägerschaft; in Hessen, Niedersachsen, Hamburg, Saarland und Schleswig-Holstein werden sie privat finanziert. Der Abschluß hieß ursprünglich Diplom-BA. Mittlerweile verleihen die meisten Berufsakademien den „Bachelor“. Zum Teil rückte man von der Konstruktion wieder ab. In Berlin wurde aus der Berufsakademie ein Fachbereich einer Fachhochschule.

Jetzt ist es auch im Ursprungsland der Idee so weit: Die Berufsakademien sollen in Baden-Württemberg Hochschulen werden. Lange schon gab es das Bestreben aus den Reihen der Berufsakademien, den Hochschulen gleichgestellt zu werden, was Titel anging, einschließlich der Zulassung zur Promotion. Im Grunde kommt dabei immer wieder die Einstellung zum Vorschein, daß allein der Weg über die Hochschulen der letztlich erstrebenswerte ist. Das wird aber der überwiegenden Zahl der jungen Menschen nicht gerecht. Selbst wenn fast 40 Prozent der in Betracht kommenden Altersgruppe ein Studium aufnehmen – die Mehrheit tut es eben nicht. Erfreulicherweise gibt es immer wieder Beispiele dafür, daß auch jemand ohne ein Studium in Spitzenpositionen aufsteigen kann. So wie man nicht die ganze Welt „akademisieren“ sollte, so war es richtig, mit den Berufsakademien eine Ausbildung anzubieten, die das Element der Praxis in den Vordergrund stellte.

Nun könnte man den Schritt im Südwesten, die Berufsakademien in der bisherigen Form zur Disposition zu stellen, als konsequent betrachten, wenn durch ihre Existenz die Fachhochschulen wieder zu mehr Praxisbezug zurück-gekehrt wären. Dann hätten sie ihre Schuldigkeit getan und sich selbst überflüssig gemacht. Sie könnten entweder aufgelöst werden oder in die Fachhochschulen integriert werden. Sie sollen aber eigenständige Einrichtungen bleiben, mit dem Privileg, daß die Teilnehmer ihrer Veranstaltungen einen vergüteten Ausbildungsplatz bei einem assoziierten Unternehmen haben.

Das zwanghafte Bestreben, allen Ausbildungsstätten das Etikett „Hochschule“ zu verpassen, stellt die Ursprungsidee auf den Kopf: die Berufsakademien sollten eine echte Alternative zum Hochschulstudium bieten und das duale System aufwerten. Nicht nur die Hochschulen sollten den Königsweg weisen. Mit der Abkehr von diesem Prinzip erweisen die Berufsakademien sich als Irrläufer der Hochschulpolitik. 

Die Politik, die Berufsakademien zu eigenständigen Hochschulen zu machen, ist insbesondere deshalb kontraproduktiv, weil andererseits mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem gefordert wird. Berufstätige sollen auch ohne förmliche Hochschulreife Zugang zu den Hochschulen haben. Damit soll dem bestehenden Fachkräftemangel entgegen gewirkt werden (vgl. PAZ vom

8. November). So richtig dies in der Tendenz ist, so muß doch auch bedacht werden, welche Hürden hier bestehen. Schon jetzt klagen Professoren über fehlendes Grundwissen vieler Studenten. Das gilt nicht zuletzt für mathematische Kenntnisse als unerläßliche Voraussetzung für das Ingenieurstudium. Hohe Abbrecherzahlen sind die Folgen. Erforderlich wäre, Brückenkurse einzurichten, die den Praktikern die Möglichkeit geben, früheres Wissen aufzufrischen oder Kenntnisse neu zu erwerben. Entsprechende Angebote sind angesichts der überlasteten Hochschulen kaum von diesen zu erwarten, jedenfalls nicht, wenn es dafür nicht besondere Mittel gibt und dies ausdrücklich zum „Programm“ erhoben wird.

Beide Vorgänge kennzeichnen die Sprunghaftigkeit der Bildungspolitik. Im ersten Fall wird eine gute Idee auf Druck einer Lobby zu Grabe getragen, im zweiten werden keine flankierenden Maßnahmen getroffen, um dem Anliegen Erfolg zu verschaffen.

In der Bildungspolitik wird permanent herumgebastelt. Einzelmaßnahmen mögen durchaus plausibel erscheinen. Zu selten liegt dem aber ein Gesamtkonzept zu Grunde. Es werden im Allgemeinen nur Ad-hoc-Maßnahmen getroffen; eine Politik „aus einem Guß“ ist nicht erkennbar. Die sähe im konkreten Fall so aus, daß die Berufsakademien entweder als selbständige Einrichtungen das Etikett Fachhochschule bekämen oder in diese eingegliedert würden und die Fachhochschulen für Berufstätige geöffnet würden.   George Turner


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