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13.12.08 / Der letzte Mohikaner / Der gefürchtete wie beliebte Kritiker Joachim Kaiser wird 80 Jahre

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-08 vom 13. Dezember 2008

Der letzte Mohikaner
Der gefürchtete wie beliebte Kritiker Joachim Kaiser wird 80 Jahre

Was hat denn der Kaiser geschrieben? – Theaterleute, Literaten und Musiker gleichermaßen wollen zuerst einmal wissen, wenn es um die Sichtung von Kritiken geht, was Joachim Kaiser in der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben hat. Das hat Autorität, das hat Gewicht. Vielleicht gibt es dann auch so manchen Musiker, der wünscht, Kaiser möge doch mehr über das Theater schreiben, und so manchen Schauspieler, der den Kritiker eher in die Konzertsäle verbannt sehen will. Viele fürchten ihn und sein Urteil, doch es ist stets gerecht und keineswegs beleidigend.

Joachim Kaiser, der am 18. Dezember seinen 80. Geburtstag begehen kann, ist ein Meister des Floretts, nicht des Schwertes. Selbst sein „Konkurrent“ in Sachen Kritik, Marcel Reich-Ranicki, konnte nicht umhin, Kaiser zu würdigen. Bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises 1993 betonte er, Kaiser sei „ein Sachwalter der Vernunft und Toleranz, ein leidenschaftlicher und heiterer Aufklärer im Reich der Kunst“. Er sei „der einzige deutschsprachige Kritiker von Rang und Format, der gleichermaßen unterhaltsam und belehrend, geistreich und urteilssicher über Musik, Literatur und Theater zu schreiben vermag“.

Geboren wurde Joachim Kaiser 1928 im ostpreußischen Milken, Kreis Lötzen, wo sein Vater als Arzt wirkte. 1933 zog die Familie nach Tilsit. Immer aber begleitete sie die Musik, schließlich wäre der Vater gern Geiger geworden. Joachim begeisterte als junger Mann nach dem Krieg seine Mitschüler an einem Hamburger Gymnasium mit seinem Klavierspiel, daran erinnerte sich ein ehemaliger Klassenkamerad und späterer Kollege im Feuilleton der „Süddeutschen“. Aber auch an gemeinsame Theaterbesuche und -aufführungen.

Kaiser studierte Musikwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Soziologie in Göttingen, Frankfurt am Main und Tübingen. Literatur oder Musik? Joachim Kaiser entschied sich für beides und nahm im Juni 1951 seine Tätigkeit als Theater-, Literatur- und Musikkritiker auf. 1959 wurde er mit noch nicht 23 Jahren  Kritiker und leitender Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“. Von 1977 bis 1996 hatte er außerdem einen Lehrstuhl an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart inne. Kaiser entwickelte eine wahre Meisterschaft, „alles in Geschriebenes zu verwandeln“, wie Joachim Fest es in der Laudatio zu Kaisers 60. Geburtstag formulierte. Er stecke „voller unermüdlicher kritischer Ausdruckslaune ..., als sei die Welt dazu da, in einer Rezension zu enden. Er hat von früh an einen überaus persönlichen, ganz unverwechselbaren Ton gefunden“, so Fest. „Stets konnte und kann man seine Artikel schon an der Überschrift erkennen, an den aus Subjektivität, Leichtigkeit und Treffsicherheit hergestellten Wortverbindungen. Er hat alles gelesen und nahezu alles schon einmal gesehen oder gehört. Doch ist ihm dies nie zum Ballast geworden. Der Impulsivität seines Urteils, seiner Lust zur Bewunderung und am Überschwang, hat es nichts anhaben können.“

Joachim Kaiser gehört als einer der letzten geisteswissenschaftlichen Universalgebildeten zweifellos zu einer aussterbenden Spezies. „Ich bin der letzte Mohikaner“, hat er selbst einmal von sich gesagt. So lautet denn auch der Titel eines Buches mit Erinnerungen, das Kaiser gemeinsam mit seiner Tochter, der Regisseurin Henriette, herausgebracht hat (Ullstein Verlag, Berlin, 398 Seiten, zahlreiche Schwarzweißabbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, 24,90 Euro). Den manchmal ungeduldigen Menschen lernt man dort ebenso kennen wie den Kritiker aus Leidenschaft, den Mann des Wortes, der Zwischentöne.

„Nach vielen Jahren publizistischer Tätigkeit besitzt man in seinem Bereich wohl auch eine Gemeinde“, schreibt Kaiser. „Auch ich habe sie und freue mich darüber. So feierlich es klingt, diese Gemeinde möchte ich nicht enttäuschen.“        Silke Osman


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