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13.12.08 / Häuser zum Träumen / Puppenstuben machen Freude – Bei Queen Mary mußte sogar eine Hauptstadt warten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-08 vom 13. Dezember 2008

Häuser zum Träumen
Puppenstuben machen Freude – Bei Queen Mary mußte sogar eine Hauptstadt warten

Puppenhäuser spiegeln Träume vom Größerwerden und von der Sehnsucht nach Geborgenheit. Kinder träumen anders als Erwachsene. Kinder wünschen sich in die Welt der Erwachsenen, die ihnen noch verheißungsvoll erscheint, die Erwachsenen aber sehnen sich in die Kindheit zurück.

Mit einem Puppenhaus ist es wie mit einem richtigen Neubau: Erstmals bezogen, sind die Möbel modisch und die Technik ist auf dem aktuellsten Stand, nur an der Gemütlichkeit mangelt es noch ein wenig. Und wenn die sich nach längerem Gebrauch des Hauses einstellt, läßt die Zahl der Räume zu wünschen übrig, und die Technik beginnt zu veralten. So ist fortwährend umzuordnen und nachzubessern, um- und anzubauen. Jedes Haus lebt durch die Veränderung, auch Puppenhäuser. Bei ihnen steckt sogar eine pädagogische Absicht dahinter. Früh soll das Kind lernen, in der Welt der Erwachsenen zu leben.

Am Anfang seiner Karriere ist ein Puppenhaus meistens modern, sonst hätte es bei Kindern keine Chance. Für Kinder muß ein Puppenhaus mindestens so gut eingerichtet sein wie die elterliche Wohnung. Sie setzt den Maßstab. Die Eltern statten das Puppenheim gerne sogar komfortabler und üppiger aus – schließlich soll es das Kind einmal besser haben. Auch solche Träume beginnen im Puppenheim.

In solchen Puppenhäusern, die Erwachsene lieben und die heute begehrte und hochbezahlte Sammelobjekte sind, muß die Zeit schon lange stehengeblieben sein. In ihnen ist die Nostalgie zu Hause.

Die ersten Puppenstuben wurden im frühen 17. Jahrhundert in Franken gebaut. Das „Spielwaren-Magazin“ des Hieronymus Bestelmeiers bot dann 1793 eine Puppenküche an, „darinnen laufendes Wasser nebst einer Köchin wie sie in Nürnberg vom Markte kommen. Der Wasserkasten ist äußerlich angebracht und läuft inwendig in die Küche, vermittels eines … Hahnes, so auf und zu geschraubt werden kann, in einen Trog hinein.“ Das war nun eine Ausstattung von der fortschrittlichsten Art, ebenso ungeheuerlich wie später Spülklosett und Waschmaschine. Die umständliche Beschreibung von Installation und Hahn spricht für sich.

Wie sich die Ansprüche mit jeder Generation wandeln und größer werden, ist schon in Puppenhäusern zu beobachten. Vier Zimmer waren Lilli nicht genug. Vier Zimmer hatte das Puppenhaus, mit dem Lillis Mutter viele Jahre zufrieden gespielt hatte, nachdem es ihr 1840 geschenkt worden war. Als sie selbst eine Tochter hatte und diese sechs Jahre alt geworden war, schenkte sie ihr die vier Puppenzimmer zu Weihnachten. Lilli aber träumte davon, ein großes Haus zu führen. Und weil die Eltern versuchten, die Träume ihrer Tochter Wirklichkeit werden zu lassen, steht heute eines der schönsten Puppenhäuser im Lübecker St.-Annen-Museum: 1,75 Meter hoch und 1,50 Meter breit, die ganze Welt einer bestens situierten Bürgerfamilie, mit Salon und Küche, prunkvollem Schlafzimmer und Pferdestall. Jedes Jahr zu Weih­nachten war das Haus ein wenig gewachsen, erst um einen weiteren Kasten mit zwei Zimmern, dann abermals um zwei Zimmer und das Dach, schließlich kam noch ein seitlicher Anbau mit Außentreppe hinzu. Aus den ersten vier Zimmern wurden Stallungen und ein Unterstand für die Kutsche. Lilli Dieckmann verwahrte ihr Puppenhaus bis ins hohe Alter und schenkte es schließlich dem Lübecker Museum.

Lillis Puppenhaus war gewissermaßen ein Puppenheim der dritten Generation, ausgestattet mit allem, was zum selbständigen Führen eines Haushalts notwendig ist. Als im frühen 17. Jahrhundert Patrizier in Nürnberg ihre Häuser ohne die Fassade im Mini-Format nachbauen ließen, hatten sie nicht in erster Linie kindliches Spiel im Sinn. Ihre Töchter sollten an den Modellen der Häuser lernen, einen Haushalt zu führen. In der nächsten Generation bestanden die Puppenhäuser vornehmlich aus Wohn- und Schlafräumen. Die Küche schien für Puppenmütter entbehrlich, denn in besseren Kreisen – und nur in solchen besaß man Puppenhäuser – hatte man dafür Personal. Folglich erschien der Nachbau einer Küche entbehrlich. Erst mit der dritten Generation der Puppenhäuser kam die Küche dazu, aber häufig versehen mit als Dienstmädchen gekleideten Puppen.

Für keinen Raum gab es soviel Zubehör wie für die Küche, und das ist auch noch heute so. Die gute Puppenküche enthält alles, was im Haushalt gebräuchlich ist. Teller, Schüsseln, Terrinen, Leuchter, Wärmflaschen, Trichter, Back­formen, Teekessel, Sektkelche. Bei der Ausstattung älterer Küchen überwiegt Geschirr aus Zinn, obgleich es in den Haushalten seit dem 18. Jahrhundert kaum mehr gebräuchlich war. Aber es war haltbarer als Steingut und Porzellan, und Pä­dagogen warnten vor dem Verdruß, der beim ungeschickten Umgang mit dem Porzellan entstehen kann.

Christian Friedrich Germershausen formulierte das 1793 in seiner Betrachtung „Die Hausmutter in all ihren Geschäften“ so: „Das Spielzeug muß etwas Beziehung auf die künftige Lebensart und den Stand des Kindes haben; es muß auf die Geschäfte der Mutter in ihrer Haushaltung hinzielen, indem Nachahmung das Erste und Liebste der Kinder ist. Wenn zum Beispiel die Mutter die Küche selbst besorge, oder um Aufsicht willen in derselben oft sein muß, so gebe man dem Kinde weiblichen Geschlechts allerley Küchen- und Tischgeschirr, um Kochen und Besetzung einer Tafel nachzuahmen. Dieses sey lieber von Blech und Kupfer, als Porcellain oder irdenes Zeug. Denn da letzteres leicht zerbrechlich ist, und vom Kinde noch nicht genugsame Behutsamkeit erwartet werden kann, so könnte es sich leicht eine Verthunlichkeit angewöhnen, wenn ihm ein Stück nach dem anderen durch Zerbrechen oder Fallenlassen entgeht. Es könnte auch beim Entzweigehen eines Stückes das Kind leicht weinen.“

Denn wenn Kinder spielen, ist pfleglicher Umgang mit den Kostbarkeiten nicht garantiert. Was aber die Erwachsenen nicht davon abhielt, immer kostbarere Puppenhäuser in Kinderhände zu geben. Unübertroffen ist das Puppenhaus, das Freunde Queen Mary 1924 verehrten. Vier Millionen Mark kostete der Palast im Miniformat. Der Architekt Sir Edwin Luytens entwarf ihn. Dafür verschleppte er einen anderen Auftrag, den er gerade zuvor erhalten hatte: die Gestaltung des Stadtkerns von Neu De­lhi. Schriftsteller schrieben Minibücher für den Palast, Künstler malten Minibilder, die Empfangshalle war mit Marmor ausgelegt, das Bad mit Marmor und Perlmutt ausgeschlagen, die Griffe der Schränke glänzten von Gold, selbstverständlich floß aus den Hähnen Wasser, und selbstverständlich waren die winzigen Fläschchen im Keller tatsächlich mit Wein gefüllt, selbstverständlich stand in der Garage ein Modell des königlichen Daimler. Das allerfeinste aber war ein winziges Grammophon, das „God save the Queen“ spielte.

Ein königliches Puppenhaus muß eben ein bißchen prächtiger sein als das der Lilli Dieckmann. Die Freude aber, die beide bereitet haben, dürfte die gleiche gewesen sein.            Klaus J. Groth

Foto: Das Puppenhaus der Lilli Dieckmann: Es steht im Lübecker St.-Annen-Museum.


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