19.04.2024

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13.12.08 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-08 vom 13. Dezember 2008

Erbfreunde / Wie sich Griechenland und Somalia näherkommen, woran de Gaulle und Adenauer schuld sind, und aus welchen Quellen Ypsilanti fischte
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Das Wort kannten wir in anderem Zusammenhang: Wenn es hieß, „das Auswärtige Amt spricht eine Reisewarnung aus“, dann ging es um den Kongo, um Somalia oder ähnlich brenzlige Ecken. Anfang der Woche hat Berlin wieder gewarnt: vor griechischen Innenstädten!

Die Medienaufbereitung des hellenischen Bürgerkriegs folgt unterdessen einem Schema, das bei solchen Anlässen dermaßen gleich ist, daß man meinen möchte, es sei schon rechtsverbindlich. So heißt es in den Meldungen monoton wie immer: „Nach einer zunächst friedlich verlaufenen Demonstration lösten sich einzelne Gruppen gewaltbereiter Autonomer aus der friedlichen Menge und ...“ Den Rest können wir alle auswendig hersagen.

Die friedliche Menge ist dann immer ganz entsetzt und enttäuscht und überrascht, wie es zu der Eskalation kommen konnte. Das Putzige ist: Obwohl sich die Abläufe solcher Demos ermüdend gleichen, sind die „friedlichen Demonstranten“ jedesmal aufs neue „überrascht“, wenn’s dann wieder knallt.

Die Schuldigen sind schnell gefunden. Da war das provozierende Auftreten der Polizei, das den „Autonomen“ urplötzlich Brandsätze aus dem Ärmel wachsen ließ. Und da quält die soziale Ungerechtigkeit, die sie zwang, kleine Ladenbetreiber in die Pleite zu randalieren und gewöhnlichen Angestellten und Arbeitern das lange angesparte Auto abzufackeln – der ganze Fascho-Mist halt, gegen den man sich wehren muß. Merkwürdig übrigens, daß sich ausgerechnet solche Globalisierungsgegner dermaßen global ähneln, daß wir meinen mögen, die Brandschatzer von Athen alle aus Hamburg, Berlin oder Köln persönlich zu kennen.

Wie dem auch sei, Athen sollten wir lieber meiden, solange es dort noch heile Fensterscheiben gibt, welche die berechtigten Anliegen gewisser Kreise auf sich ziehen könnten. Aber man muß ja nicht immerzu verreisen. Angela Merkel ist zu Hause geblieben, als Sarkozy zur Kungelrunde mit Englands Premier Gordon Brown und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach London flog. Das Verhältnis der Kanzlerin zum französischen Präsidenten erinnert den Verfasser dieser Zeilen an lästige Momente seiner Kindheit: Kamen Freunde der Eltern zu Besuch, brachten die bisweilen ihre Blase mit, die einem dann zur Unterhaltung aufgehalst wurde: „Dann spielt man schön!“

Elternlogik: Wenn wir mit den Leuten sei Jahr und Tag befreundet sind, müssen unsere Kinder doch auch deren Nachwuchs nett finden. Erbfreunde, sozusagen. Tja, das war bei den meisten Angeschleppten aber keineswegs der Fall, am besten ging man sich aus dem Wege, sonst gab es Zank oder kleine Hänseleien. Hänseln war besser, weil das nicht so leicht nachzuweisen war, bei Zank drohten schließlich Ermahnungen von oben.

Merkel und Sarko hänseln sich mit Hingabe. Schuld haben de Gaulle und Adenauer; die hatten einander als Freunde ausgesucht. Gis­card und Schmidt, Mitterrand und Kohl mochten sich trotz der eurofamiliären Verpflichtung zum guten Auskommen auch persönlich so einigermaßen. Aber Sarkozy und Merkel? Die Armen sind von ihren politischen Ahnen einfach nur dazu verdonnert worden, einander als Erbfreunde liebzuhaben. Haben sie aber nicht.

Jeder piesackt den anderen auf seine Weise. Sarko versteht sich aufs Provozieren und stürmische Überrumpeln. Merkel liebt es, den Stürmer mit aufreizender Dickfelligkeit auf die Palme zu bringen oder mittels lehrerinnenhafter Zurechtweisungen auf den Topf zu setzen.

Als Reaktion auf den Londoner Dreiergipfel von Sarko, Brown und Barroso ließ sie sich demonstrativ in den Sessel fallen und schwadronierte so nichtssagend wie möglich über das Wohl der Welt. Nur wer näher ranging, konnte das giftige Zischen hören, das ihren diesmal besonders schmalen Lippen entwich. Was das Geräusch zu bedeuten hatte, übersetzten uns Merkels Palastschranzen: Die Kanzlerin ist alles andere als erfreut und läßt den drei Herren mitteilen, daß ohne oder gar gegen sie gar nichts geht, ihr Mauschelbrüder!

EU-Kommissar Barroso schien das wirklich zu beeindrucken. Er wirkte in seinem beflissenen Bemühen, die Kanzlerin zu besänftigen, wie der kleine Junge, der sich von zwei größeren zu einem Streich verleiten ließ und nun die Strafe von Oma Berlin fürchtet: Natürlich gehe nichts ohne Deutschland, beteuerte der Portugiese, neinnein, niemals, also wenn der Eindruck entstanden sein sollte, daß wir hier in London hinter dem Rücken der Kanzlerin, also das wäre ja ... er konnte einem leidtun, der Barroso. In seiner Panik verstieg er sich gar zu der Anmaßung, er habe als EU-Kommissionspräsident bei dem Gipfel ja auch die Interessen Deutschlands vertreten. In anderen Epochen wurde schon nach geringeren Frechheiten mobilgemacht.

Sarko blieb hingegen ganz der kühle Routinier, der die Zeit auf seiner Seite weiß, weil er nur warten muß, bis die Kanzlerin im Zweifrontenkrieg zerrieben wird. Sein Ziel: Deutschland soll zahlen, und er will bestimmen. Barrosos Kommission hat ihm einen glänzenden Finanzierungsvorschlag für ein EU-Konjunkturprogramm ausgeheckt: Die Staaten sollen soviel beitragen, wie es ihre derzeitige Haushaltslage hergibt. Da die Deutschen ihren Staatshaushalt in den vergangenen Jahren so wundervoll in Ordnung gebracht haben, gemessen an Frankreich jedenfalls, ist klar, wohin die dickste Rechnung gehen würde.

Sarkos zweite Front ist die zunehmende Zahl der Deutschen, denen selbst mulmig wird angesichts der Unberirrtheit ihrer Regierungschefin. Deren wachsende Unruhe gilt es, da waren sich die drei von London einig, nur weiter anzufachen. Dann wird das schon: Napoleon kam ja auch nur durch, weil die Deutschen sich die Haare gegenseitig ausrissen.

Dieses wunderbar perfide Duell zwischen Kanzleramt und Elysée hat einfach Klasse, das muß man zugeben, und dabei unweigerlich an den Alten Fritz und Maria Theresia denken. Die beiden versöhnten sich bekanntlich am Ende ihres langen Lebens miteinander. Wer weiß, vielleicht sitzen Merkel und Sarko ja auch eines fernen Tages beim Wein am Müggelsee und scherzen über die ausgefuchsten Gemeinheiten, mit denen sie in ihrer aktiven Zeit einander nachstellten. Schöne Vorstellung, aber doch sehr ungewiß.

Politiker hassen die Ungewißheit so wie wir. Deshalb sind sie bemüht, alles sattelfest zu machen und sämtliche Unwägbarkeiten aus dem Weg zu räumen. Einige übertreiben es allerdings ein bißchen damit. Die mutmaßliche Anordnung, daß die SPD-Abgeordneten im hessischen Landtag ihre „geheime“ Stimmabgabe für Andrea Ypsilanti per Mobiltelefon-Kamera knipsen sollten, blieb ärgerlicherweise nicht geheim. Die Hessen-SPD ist außer sich über die Meldung und sagt, sie sei „alarmiert“. Wobei zunächst offenblieb, worüber: Über die Behauptung dieser Wahlrechtskas­tration oder darüber, daß die Sache aufgeflogen ist?

So oder so fühlen wir uns ein wenig schlauer: Wir konnten uns damals gar nicht erklären, wie die Frau Ypsilanti angesichts der zerbrechlichen Mehrheitsverhältnisse nur so gelassen bleiben konnte. Von „Autismus“ war die Rede. Merkt die denn gar nichts? Das fragten wir uns in den langen, zähen Monaten bis zum großen Knall am Tag vor der entscheidenden Landtagsabstimmung.

Nun ahnen wir, aus welch trüber Quelle sie ihre Sicherheit womöglich schöpfte. Auch das Bild der drei Dissidenten, aus denen in letzter Sekunde das Gewissen hervorsprang, erscheint angesichts des fatalen Verdachts weniger heldenhaft. Sie hätten es ja heimlich machen können wie der nie entdeckte „Heidemörder“ in Kiel. Haben sie aber nicht, und dafür hatten sie unseren Respekt. Dieses Heroenbildnis schrumpft nun vor unseren Augen auf das Format eines verwackelten Handyfotos im Schimmerlicht einer muffigen Wahlkabine.


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