03.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.12.08 / Ausgenommen wie eine Gans / Mutter klagt Zustände bei der Organtransplantation an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-08 vom 20. Dezember 2008

Ausgenommen wie eine Gans
Mutter klagt Zustände bei der Organtransplantation an

In einer der schrecklichsten Stunden ihres Lebens glaubt Renate Greinert im falschen Augenblick Ja gesagt zu haben. Dieses Ja zur Organentnahme bei ihrem bei einem Fahrradunfall tödlich verletzten, 15jährigen Sohn bereut sie bis heute. Ihr Schmerz über den Verlust ihres Kindes gibt der 1943 geborenen Mutter dreier Kinder die Kraft, bis heute von ihrem Schicksal zu sprechen und zu schreiben. In „Konfliktfall Organspende – Unversehrt sterben!“ hat die ehemalige Lehrerin ein Plädoyer gegen die Organspende verfaßt.

Detailliert berichtet die Autorin von diesem einen ihr Leben verändernden Tag im Jahr 1985. Damals, als ihre drei Kinder sie voll in Anspruch nahmen, sie ständig hinter ihnen herräumen mußte und ihr Ältester sie manches Mal ärgerte.

Als die Nachricht kommt, daß Christian nach einem Unfall ins Krankenhaus gebracht wurde, eilen die Autorin und ihr Mann sofort dorthin. Lange begreifen sie nicht, was vor sich geht, und noch bevor ihnen ein Arzt mitteilt, daß der Sohn für hirntot erklärt wurde, fragt man sie, ob ihr Kind als Organspender bereitstünde. Renate Greinert gibt ihre mündliche Zustimmung, ohne daß ihr jemand die Abläufe erklärt. Die unter Schock stehende Frau unterschreibt nichts, sie geht nur noch ein letztes Mal zu ihrem an Maschinen angeschlossenen Sohn, spürt die von ihm ausgehende Wärme und sieht, wie sich seine Brust beim Atmen hebt und senkt. Erst Tage später sieht sie die sterblichen Überreste ihres Sohnes wieder, da sie darauf drängt, den Sarg öffnen zu lassen. Was sie sieht, erinnert sie an eine ausgenommene Gans. „Man hat Christian Herz, Leber, Nieren, Augen entnommen, man hat ihm sogar die Beckenstammknochen aus dem Körper gesägt und an eine Knochenbank weitergegeben. Man hat sich nach Belieben bedient“, so die Autorin, doch von all dem erfährt sie erst später auf Anfrage.

Die Ignoranz, die unsensiblen Reaktionen und wirklichen Mißstände, von denen Renate Greinert schreibt, sind ohne Zweifel schockierend. Wenn ein Arzt das Ja der Mutter zur Organspende lobt, da sie ja damit den Organ-empfängern das Leben gerettet habe, er den Tod der „Tochter“ natürlich bedauere, zeigt das, daß der Mediziner sich nicht sonderlich in den Fall eingearbeitet hat. Auch ist es tragisch, wenn Angehörige sich nicht von ihrem sterbenden Verwandten verabschieden können, da er ja noch in beatmetem Zustand zur Organentnahme in den OP gerollt wird. Im Fall von Renate Greinert kommt hinzu, daß sie über diesen Umstand nicht informiert wurde. Erst später begreift sie, daß ihr Kind nicht tot, sondern „nur“ hirntot war. Doch was bedeutet „hirntot“ überhaupt, seit wann gibt es diese Art des Todes überhaupt? Ist er gar eine Erfindung der Transplantationsmediziner, um aufgrund sinkender Verkehrstotenzahlen bei sichereren Autos die Nachfrage nach Organen zu befriedigen, fragt die verzweifelte Hinterbliebene gar provozierend. Wieso denken alle immer nur an die kranken Empfänger der Organe, und warum hat keiner Mitleid mit den Sterbenden und deren Angehörigen? „Ich mußte unbedingt sehen, daß mein Sohn aufgehört hatte zu atmen. Es war für mich die einzige Möglichkeit zu begreifen, daß das wirklich das Ende war“, zitiert die Autorin eine andere Mutter. Genau diese Möglichkeit zum Begreifen wurde Renate Greinert genommen. Wohl um ihren Schmerz und ihre Schuldgefühle gegenüber ihrem Sohn zu betäuben, stürzte sie sich in den Kampf gegen die Organspende. Dank Menschen wie ihr wurde 1997 das Transplantationsgesetz in Deutschland verabschiedet, das die Zulässigkeit von Organspenden sowohl beim Lebenden als auch beim Verstorbenen regelt und den zu Zeiten von Christian Greinerts Tod noch relativ rechtsfreien Raum beseitigt hat.

Trotz aller guten Argumente und Erfahrungen von Renate Greinert sollte aber jeder, der sich nach der Lektüre für ein Nein zur Organspende entscheidet, auch an die Organempfänger denken, die in dem vorliegenden Buch nur am Rande erwähnt werden.             Bel

Renate Greinert: „Konfliktfall Organspende – Unversehrt sterben!“, Kösel, München 2008, broschiert, 217 Seiten, 17,95 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren