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10.01.09 / Vergeltung der Vergeltung / Der israelische Angriff auf Gaza hat eine lange Vorgeschichte – Unrecht als Grundlage des Extremismus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-09 vom 10. Januar 2009

Vergeltung der Vergeltung
Der israelische Angriff auf Gaza hat eine lange Vorgeschichte – Unrecht als Grundlage des Extremismus

Der israelische Großangriff auf den Gaza-Streifen ist nicht nur für die unmittelbar Betroffenen eine Katastrophe: Er wird radikalen Kräften mächtigen Auftrieb verleihen, pro-westliche Regierungen destabilisieren, Christen im Orient noch häufiger zu Ersatzobjekten für Racheakte machen und Terroristen zu neuen Anschlägen in Europa inspirieren.

Was sich in diesen Tagen im eingekesselten Gaza-Streifen abspielt, ist erst bruchstückhaft bekannt, denn die israelische Militärzensur ist rigoros, und ausländischen Journalisten oder Beobachtern wird die Einreise verwehrt. Der Fernsehsender Al-Dschasira ist das einzige Medium, das noch direkt aus Gaza-Stadt berichtet – noch, denn Al-Dschasira-Leute sind schon mehr als einmal durch Granaten ausgeschaltet worden.

Fest steht bisher, daß die Zahl der Getöteten bei weit über 500 liegt und laufend steigt. Auch von den tausenden Verwundeten werden viele mangels medizinischer Versorgung nicht überleben. Die mit internationaler, vorwiegend europäischer Hilfe aufgebaute Infrastruktur einschließlich der Strom- und Wasserversorgung sowie sämtlicher Verwaltungseinrichtungen ist gründlichst zerstört.

In ihrer Dimension war die Offensive überraschend, im Zeitpunkt nicht: Denn erstens hatten politische Beobachter immer schon mit Kriegshandlungen im Zeitfenster zwischen den US-Präsidentenwahlen und dem Amtsantritt des neuen Präsidenten gerechnet. Allerdings gegen den Iran - und auch die Spekulation, die den Ölpreis in schwindelnde Höhen getrieben hatte, war ja von einer Kriegserwartung am Golf ausgegangen. Zweitens machte die Hamas ihre Drohung wahr, die auf sechs Monate befristete Waffenruhe nicht zu verlängern, und nahm den Beschuß von Zielen in Israel wieder auf.

Die Hamas begründete ihren selbstmörderischen Entschluß damit, daß die Blockade des Gaza-Streifens nicht gelockert wurde. Die unter Mitwirkung Ägyptens ausgehandelte Waffenruhe war aber ohnehin nie wirklich eingehalten worden – wobei Schuldzuweisungen immer davon abhängen, wo man die Kausalkette beginnen läßt, denn in diesem Konflikt ist jede „Vergeltung“ die Vergeltung einer Vergeltung.

Verteidigungsminister Ehud Barak, der nach den Wahlen am 10. Februar Ministerpräsident zu werden hofft, betonte andererseits, daß die „Operation gegossenes Blei“ bestens vorbereitet war. Und wer am Sonntag Al-Dschasira verfolgte, konnte miterleben, wie sich ein Knesset-Sprecher im Interview verplapperte: Dabei kam heraus, daß die Vorbereitungen seit neun Monaten liefen, also parallel zur Waffenruhe und bereits davor.

Wenn westliche Politiker der Hamas alle Schuld geben, ist das zwar grotesk, doch immerhin konsequent: Sie, die stets die „Demokratie“ im Mund führen, haben ja schon den klaren Wahlsieg der Hamas Anfang 2006 nie akzeptiert und die Arbeit der legitimen Regierung systematisch torpediert. Umgekehrt sind sie recht tolerant, wenn Verbündete Wahlbetrug begehen. Und Israel ist für sie „die einzige Demokratie im Nahen Osten“, obwohl die israelischen Araber faktisch Staatsbürger zweiter Klasse sind.

Daß die Hamas Terror-Methoden anwendet, ist unbestritten. Auch Yassir Arafat und seine Kumpane waren Terroristen – ehe man sie als Verhandlungspartner akzeptierte. Und viele andere, die später als Staatsmänner und sogar Nobelpreisträger endeten, waren ebenfalls Terroristen. Die Hamas begann als religiöse Wohltätigkeits-Organisation, was ihr bis zuletzt großen Zulauf brachte. Sie wurde anfänglich sogar von Israel unterstützt, um Arafat zu schwächen. Daß sie zu einer Terrororganisation mutierte, ist nicht zuletzt die Folge davon, daß trotz aller Versprechungen der diversen „Friedensprozesse“ die Lebensbedingungen in den von Israel besetzten Gebieten immer hoffnungsloser wurden. Und der Hamas-Wahlerfolg war eine Reaktion auf den Korruptions-Sumpf um Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Für die Weltöffentlichkeit gilt natürlich das israelische Recht auf Selbstverteidigung. Die Palästinenser sehen dieses Recht ein wenig anders, nämlich als den Anspruch Israels, ungestört behalten zu dürfen, was man ihnen entschädigungslos geraubt hat und durch Siedlungspolitik weiter raubt. Die Anerkennung Israels fällt wohl jedem Araber schwer. Aber die meisten haben sich längst damit abgefunden und nahezu alle würden sich mit den Grenzen vor 1967 abfinden, wenn es wirklich um die in den Uno-Resolutionen definierten Grenzen ginge und es faire Entschädigungen für die Vertriebenen gäbe. Man sollte nie vergessen: Extreme Ideologien gedeihen nur dort, wo extremes Unrecht den Boden dafür bereitet hat.

In Gaza entscheidet sich jedenfalls, wer in Israel Ministerpräsident wird – Ehud Barak von der Arbeitspartei, Tzipi Livni von Kadima oder – wenn zuviele eigene Soldaten sterben – Benjamin Netanjahu von der Likud-Opposition. Ein teurer Wahlkampf.

R. G. Kerschhofer

Foto: Die Zivilbevölkerung leidet: Dieser Junge wurde am ersten Tag der Bodenoffensive verwundet.


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