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10.01.09 / Neuer Biedermeier

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-09 vom 10. Januar 2009

Neuer Biedermeier
von Konrad Badenheuer

Merkwürdig unterkühlt, ja schon fast unbeteiligt schauen die Deutschen zu, wie ihre Politiker über Milliardenprogramme verhandeln, die den absehbar schweren Abschwung, vor dem das Land steht, dämpfen sollen.

Diese fast unwirkliche Ruhe steht in scharfem Kontrast zur enormen Aufgeregtheit, mit der beispielsweise in den späten Schröder-Jahren um Details der „Agenda 2010“ gekämpft wurde. Auch der oft erbitterte Streit um kleine Teile früherer Gesundheitsreformen – Stichwort „Praxisgebühr“ – kontrastiert scharf mit der seit Monaten anhaltenden Ruhe in der Finanz- und Wirtschaftskrise, bei der es doch um ganz andere Beträge und Risiken geht.

Beispielsweise wissen alle, daß eine Handvoll Versager in den Landesbanken und ihren Aufsichtsgremien zweistellige Milliardenwerte vernichtet haben. Der Gegenwert von Millionen Arbeitsjahren wurde verspielt, aber die einzige Reaktion scheinen bissige Witze zu sein. Noch nicht einmal in den Wahlumfragen sind Reaktionen meßbar: Die Linkspartei, die am ehesten von der Krise profitieren könnte, reagiert in den Umfragen stärker auf Turbulenzen an der SPD-Spitze als auf Bankenkrisen jeglicher Dimension. Seit dem eigentlichen Krisenbeginn im September hat die Linke sogar an Zustimmung verloren. Und auch die Gruppierungen am anderen Ende des Spektrums, die sogenannten „Sonstigen“, sind bisher außerstande, aus der besorgniserregenden Lage politisch Nutzen zu ziehen.

Das ist doppelt überraschend, weil nach aller bisherigen Erfahrung eine Große Koalition selbst dann zur Stärkung der politischen Ränder führt, wenn gar keine Krise zu verzeichnen ist. So kam es Ende der sechziger Jahre bei boomender Konjunktur zur Entstehung einer außerparlamentarischen Protestbewegung von links, während gleichzeitig die NPD in etlichen Landtagen saß.

Doch heute ist alles anders. Den Deutschen scheint die Schwäche der parlamentarischen Opposition und das hohe Maß an Ruhe im politischen Diskurs geradezu zu behagen. Eine neue Art von Biedermeier scheint ausgebrochen zu sein, und von Radikalisierung ist – abgesehen von den Klimmzügen der seitens der SPD schon fast mutwillig begünstigen Linkspartei – weit und breit nichts zu sehen.

Das ist zunächst eine gute Nachricht, denn offenbar ist die Demokratie so stabil, daß selbst die schwerste Krise seit 1932 kein radikales Wahlverhalten mehr nach sich zieht. Doch niemand unterschätze die Risiken der jetzigen Lage. Der bislang noch ganz unpolitische Unmut über echte und empfundene Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Einkommen und Vermögen und über Manager, die kraß versagen und dennoch Millionen einstreichen, kann sich mit zunehmender Krise rasch wieder politisieren. Die geschwächten Volksparteien könnten dann bald um Antworten verlegen sein.

Foto: Flucht in die private Idylle: Während von 1815 (Wiener Kongreß) bis 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes und des Kaisertums Österreich politisch versucht wurde, die Schäden der napoleonischen Kriege zu beseitigen, sehnte sich der Normalbürger nach Ruhe. Politik war auch damals Sache einer engagierten Minderheit.


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