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10.01.09 / Feiern auf großem Fuße / Viele Königsberger wollen die Krise noch nicht wahrhaben – erste Auswirkungen spürbar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-09 vom 10. Januar 2009

Feiern auf großem Fuße
Viele Königsberger wollen die Krise noch nicht wahrhaben – erste Auswirkungen spürbar

Die globale Wirtschaftskrise tritt auch im Königsberger Gebiet zutage. Unternehmen verordnen Kurzarbeit, senken die Löhne und entlassen Mitarbeiter, um der Krise zu begegnen. Die Lebensmittel- und Energiepreise stiegen deutlich, doch die Menschen wollten sich ihre Feiertage davon nicht verderben lassen.

In diesem Jahr war der Jahreswechsel von der Krise überschattet. Auf den ersten Blick schien es, als hätte sich nichts verändert. Wie in den Vorjahren gab es zur Vorweihnachtszeit Staus, Menschenmengen auf den Straßen, die eilten, ihre Neujahrsgeschenke zu kaufen.

Schon Mitte Dezember wurde auf dem Hansaplatz – genau wie immer – eine große Tanne aufgestellt. In einem Tag stellten Arbeiter der Firma „Baucenter“ – das Unternehmen von Bürgermeister Alexander Jaroschuk – das Gestell der Tanne auf. Der künstliche Baum war eine Maßanfertigung aus Polen, bestehend aus einem besonderen Gerüst, an dem 26 Flügel mit über 1500 Ästen aus unbrennbarem Material angebracht waren. Die Tanne wog vier Tonnen. Anschließend wurde sie mit etwa 30 Girlanden und 300 Schleifen und Kugeln geschmückt. Zwei echte Tannen wurden ebenfalls mit Girlanden verziert, die eine am Denkmal „Mutter Rußland“ und die andere am Schillerdenkmal.

Beim Haus der Räte und in der Nähe des zerstörten Königsberger Schlosses gab es wieder einen Weihnachtsmarkt, auf dem Händler Christbaumschmuck, Souvenirs, Karnevalskostüme, Geschenke, Lebensmittel für die Festtage und vieles mehr zum Kauf anboten. Ab Mitte Dezember begann zudem der Christbaumverkauf, der dieses Jahr an 22 Stellen stattfand.

Darüber hinaus gab es ein Novum in Königsberg: Zum ersten Mal waren die Hauptstraßen feierlich beleuchtet. Vor dem Jahreswechsel brannten über 10000 Lämpchen. Diese Beleuchtung kostete die Stadt 15 Millionen Rubel (rund 375000 Euro) für Strom, Trafos und für die Verlegung neuer Leitungen. Zum nächsten Weihnachtsfest soll Königsberg, wenn es nach dem Willen der Stadtregierung geht, noch schöner erstrahlen.

Anders sieht es in den Privathaushalten aus. Die gestiegenen Strompreise zwingen Otto-Normal-Verbraucher zum Sparen, auch bei der Weihnachtsbeleuchtung. Vor der Krise hatten Regierung und Energieversorger Einheimischen niedrigere Tarife zugebilligt, die sie mit höheren Tarifen für Verbraucher im Westen kompensierten. Das soll nun anders werden: Für den Export von Wärme und Strom nach Europa sind Ausgaben für Investitionen notwendig, und auf lange Sicht werden Russen die gleichen Preise zahlen müssen wie alle anderen.

Zum Jahreswechsel stiegen aber nicht nur die Wohnnebenkosten, es gab auch keine Preisnachlässe und Rabatte, wie sie sonst vor Weihnachten üblich waren. Im Gegenteil: Die Preise für Kleidung, Unterhaltungselektronik, Computer und andere langlebige Gegenstände stiegen moderat, die für Lebensmittel deutlich. In einigen Wirtschaftsbereichen übersteigt das Angebot schon die Nachfrage, doch dies zeigt bislang noch keine Auswirkung auf die Preise.

Umfragen zufolge ist bereits ein Drittel der Menschen von Einkommensrückgängen betroffen. Das Vertrauen in die Stabilität ihrer finanziellen Lage hat sich bei vielen Königsbergern ernsthaft verschlechtert. Ende November war die Hälfte der Befragten mit ihrer finanziellen Lage noch zufrieden. Die wirtschaftliche Lage im Land wird nicht einstimmig als Krise wahrgenommen. Laut Umfrage hat sich die Kaufbereitschaft kaum verschlechtert. Ende November glaubten 40 Prozent der Befragten, – genau so viele wie im Sommer –, daß die nächste Zeit günstig für Einkäufe sei. Viele Königsberger machen es wie früher, sie warten zunächst ab, was kommt, und feiern derweil, um sich von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken.

Die Stimmung beginnt erst jetzt zu sinken, obwohl die Medien schon seit drei bis vier Monaten über die Krise in Europa und den USA berichten. Noch vor wenigen Monaten brüstete sich die Gebietsregierung, daß sie nicht wisse, wie sie ihre Rücklagen verwenden solle, rief ein Projekt nach dem anderen ins Leben. Das hat sich geändert. Das Gebietsbudget für 2009 wurde um fast ein Viertel gekürzt, Mittel für kulturelle Zwecke sogar um 40 Prozent. Dagegen stellte die Regierung Steuererhöhungen für Kleinunternehmen in Aussicht, obwohl diese seit einiger Zeit ohnehin kaum überleben können.

Gouverneur Georgij Boos sagte den seit zehn Jahren üblichen jährlichen Gouverneursball ab. Viele glauben immer noch, daß die Krise nur in den Köpfen der Menschen existiere, und die Presse nur Panik mache. Die Russen können bis jetzt nicht glauben, daß der unaufhaltsame wirtschaftliche Aufstieg, der schnelle Reichtum, der ständige Anstieg der Einkommen, derer sie sich seit 1998 erfreuen konnten, zu Ende sein soll.

Wirtschaftsexperten sorgen sich, daß viele so gut wie gar nichts für „den schwarzen Tag“ zurückgelegt haben, der laut ihren Prognosen viele schon im Frühjahr treffen wird. Eine Reihe großer Firmen im Königsberger Gebiet hat schon erste Krisenmaßnahmen ergriffen. Es handelt sich um die für das Gebiet wichtigen Unternehmen „Wester“, „Baucenter“, „Telebalt“, „Avtotor“ und „Viktoria“. Nicht nur die Unternehmen selbst, sondern auch die Lieferanten haben Probleme, wenn die großen Handelsketten unter Druck geraten. Maßnahmen gegen die Krise sind Kurzarbeit, die Kürzung von Prämien und Lohn oder Entlassungen. Doch gibt es auch viele Firmen, beispielsweise in der Baubranche, die bereits ihr gesamtes Personal entlassen mußten, weil sie kurz vor dem Bankrott stehen. Investoren ziehen nun zugesagte Finanzierungen zurück oder kürzen Überweisungen. Bereits fertiggestellte Häuser bleiben leer, weil die potentiellen Käufer sich das Hypothekendarlehen nicht mehr leisten können. Auf den Baustellen bewegt sich nichts mehr, jede Woche kehren durchschnittlich 500 Gastarbeiter nach Hause zurück.

In den größten Unternehmen des Gebiets steht die Produktion praktisch still. Das schnelle Wirtschaftswachstum, das man noch im Sommer 2008 beobachten konnte, endete im Oktober/No­vember abrupt.

Doch die meisten Königsberger wollten den Kopf nicht hängen lassen und begingen die fast zwei Wochen langen Feiertage auf großem Fuß.             Jurij Tschernyschew

Foto: An der Beleuchtung wurde nicht gespart: Vorweihnachtliches Treiben im Einkaufszentrum Europa


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