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24.01.09 / Lettland im Ausnahmezustand / Premierminister Ivar Godmanis bietet seinen Rücktritt an, um die Ruhe wiederherzustellen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-09 vom 24. Januar 2009

Lettland im Ausnahmezustand
Premierminister Ivar Godmanis bietet seinen Rücktritt an, um die Ruhe wiederherzustellen

Zehntausende protestierten vergangene Woche vor dem Parlamentsgebäude am historischen Domplatz in Riga gegen ein schmerzhaftes Sparprogramm. Als die Demonstration in eine Massen-unruhe ausartete, griff die Polizei gewaltsam durch. Auch im litauischen Wilna ist es zu Unruhen gekommen.

Die Bilanz der Protestkundgebung gegen die lettische Regierung ist beachtlich: Zahlreiche Fensterscheiben gingen zu Bruch, ein Polizeifahrzeug brannte aus, drei Polizisten wurden schwer verletzt. Insgesamt mußten 40 Personen im Krankenhaus behandelt werden, über 126 Menschen wurden festgenommen. Eine Gruppe jugendlicher Demonstranten warf mit Steinen, Schneebällen und Flaschen und bewegte sich auf das Parlamentsgebäude zu, in der Absicht, es zu stürmen. Dies führte zum Zusammenstoß mit der Polizei.

Was sich in Riga während der Protestkundgebung gewaltsam entlud, ist der Frust über einen Stabilisierungsplan und eine Reihe von Maßnahmen, die die lettische Regierung getroffen hatte, um der Finanzkrise zu begegnen. In erster Linie richteten sich die Proteste gegen die vorgesehene Kürzung der Ausgaben in allen staatlichen Einrichtungen um 15 Prozent. Diese ist mit Gehaltskürzungen und gleichzeitigen Steuererhöhungen verbunden.

Zur Zeit steckt Lettland tief in der Rezession. Einst als „Musterschüler“ und „baltischer Tiger“ im postsowjetischen Raum gelobt, stürzte die Wirtschaftsentwick-lung nach einem Höhenflug von über zehn Prozent Bruttoinlandprodukt-Wachstum gleichsam aus großer Höhe ab. Nach einem Nullwachstum im vergangenen Jahr rechnen Experten für 2009 mit einem Rückgang von fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts. Pessimisten befürchten sogar zehn bis 15 Prozent Rückgang. Die Preise steigen ungebremst im zweistelligen Prozentbereich. Neben Frust über die wirtschaftliche Depression kommen in den Protesten aber auch Unzufriedenheit über die politische und gesellschaftliche Lage zum Ausdruck.

In Zeiten der Finanzkrise treten die Probleme der lettischen Wirtschaft deutlich zutage. Die bittere Wahrheit, daß der kometenhafte Aufstieg der baltischen Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunion nur durch den Zufluß ausländischen Kapitals möglich war, wird sichtbar. Das plötzliche Versiegen dieser Kapitalzuflüsse zwingt die Regierungen zu Notmaßnahmen. Die lettische Zentralbank hat ein Fünftel ihrer Devisenreserven verbraucht, um die nationale Währung, den Lat, zu stützen. Sie beantragte darüber hinaus Hilfen bei der EU und beim IWF und anderen Einrichtungen zur Stützung der Wirtschaft. Diese haben Lettland einen Stabilisierungskredit in Höhe von 7,5 Milliarden Euro zugesagt.

Trotz der Hilfe wird ein starkes Ansteigen der Staatsverschuldung auf bis zu 50 Prozent des Bruttoinlandprodukts in den nächsten drei Jahren erwartet. Bei einem gleichzeitigen Rückgang der Steuereinnahmen bliebe dann ein Defizit im Staatshaushalt unvermeidlich. Zu allem Übel wird ein drastischer Anstieg der Arbeitslosenquote erwartet. Experten halten einen Anstieg auf 20 Prozent für möglich.

Die zur Zeit regierende Mitte-Rechts-Koalition unter Premierminister Ivar Godmanis ist erst seit einem Jahr im Amt. Sie setzt sich aus sechs rechten, wirtschaftsfreundlichen, aber auch zum Teil extrem nationalen Parteien zusammen. Seit Beginn der Koalition reißen Meldungen über Korruption, Vetternwirtschaft und Skandale nicht ab. Nur noch zehn Prozent der Letten vertrauen ihrer Regierung.

Zu der Protestkundgebung hatten Oppositionsparteien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen aufgerufen, unter ihnen der ehemalige Außenminister Artis Pabriks sowie der ehemalige Wirtschaftsminister Ajgar Stockenberg. Gemeinsam mit den Demonstranten forderten sie die sofortige Auflösung des Parlaments. Beklagt wurde die Inkompetenz der Regierung, und daß die Lasten der Krise den schwächsten Schultern, denen der breiten Masse, aufgebürdet werden solle. Präsident Valdis Zatlers und Premier Ivar Godmanis halten die Unruhen für einen zielgerichteten, von langer Hand vorbereiteten Umsturzversuch der Oppositionspolitiker.

Premier Ivar Godmanis gab seinen freiwilligen Rücktritt bekannt, wenn damit der Frieden wiederhergestellt werden könne. Präsident Zatlers ordnete eine Regierungsumbildung bis zum 31. März an. Sollte diese erfolglos bleiben, wird das Parlament aufgelöst.

Unruhen in Athen, nun in Riga und Wilna (Vilnius): Einige Experten gehen davon aus, daß dies erst der Anfang ist, und Europa in Zukunft mit weiteren Unruhen in bislang ruhigen Regionen rechnen muß.         Manuela Rosenthal-Kappi

Foto: Eskalation der Gewalt in Riga: Die Polizei ging mit Tränengas und Schlagstöcken gegen Randalierer vor.


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