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24.01.09 / Durch Fremde bestimmt / Uwe Tellkamps »Der Turm«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-09 vom 24. Januar 2009

Durch Fremde bestimmt
Uwe Tellkamps »Der Turm«

Dresden, noch heute gefeiert als Stadt Augusts des Starken, Glanzpunkt des Barock, Zentrum der Romantik, zur Unkenntlichkeit verbrannt elf Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Anblick seiner rauchenden Trümmer von Gerhart Hauptmann beweint, als er am Hang über der Elbe auf einer Bank saß, unterhalb des Stadtteils „Weißer Hirsch“, eines im 20. Jahrhundert als vornehm geltenden Villenviertels mit international gerühmtem Sanatorium. Ausgerechnet auf dieses Viertel fällt in unseren Tagen neuer literarischer Ruhm, denn der aus Dresden stammende junge Arzt und  Schriftsteller Uwe Tellkamp hat die Handlung seines preisgekrönten Romans „Der Turm“ hierher verlegt.

Uwe Tellkamp hält in seinem neuesten Roman die letzten sieben Jahre der DDR im Leben einer Bürgerfamilie fest. Ihre Freuden, ihre Leiden, ihre Schwierigkeiten im Kampf ums schlichte Dasein, umgeben von Staats-Spitzeln. Familien mit Ärzten, Musikern und Literaturliebhabern leben in bescheidenem Wohlstand. Sie wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem anerkannten, im Sozialismus zu strahlendem Reichtum gekommenen Physiker. Dresdenkenner vermuteten, in ihm Manfred von Ardenne wiederzuerkennen, da fast alles in diesem Buch einen realen Bezug hat, auch wenn Personen- und Straßennamen verändert wurden. Die Dargestellten treten dem Leser gegenüber, als könne er ihnen unmittelbar in die Augen sehen. Die vermittelte Atmosphäre läßt das beklemmende Eingesperrtsein der DDR-Bevölkerung nachempfinden und erinnert sogar an Zeiten, in denen anstelle der russischen Stiefel die braunen in den Straßen den Ton angaben.

Diese Realitätsnähe hat nicht selten dazu geführt, daß Tellkamps Roman mit Thomas Manns „Buddenbrooks“ verglichen wurden. Auch Fontane wird bemüht. Tatsächlich allerdings sind die Sätze des „Turm“-Schriftstellers, deren Poesie häufig überhaupt beispiellos klingt und eine ganz neue Form literarischer Satzkompositionen zu eröffnen scheint, durchaus oft weniger direkt als die jener ihm Zugeordneten.

Tellkamp selbst gibt Marcel Proust oder erstaunlicherweise auch Heimito von Doderer als Vorbilder an. Beides keine Deutschen. Übrigens betont er auch, daß er seine literarischen Arbeiten stets zuerst von Hand aufschreibt. Genauso wie das auch Siegfried Lenz macht.

Der Handlung gelingt es, daß dem Leser der Atem schwer wird, wenn er sich vergegenwärtigt, daß nicht nur einzelne, sondern Millionen Menschen länger als vier Jahrzehnte derart fremdbestimmt gelebt haben.

Keine politisch noch so laute Deklamation hat diese Zwangslage so klar werden lassen wie Uwe Tellkamps leiser, langer Roman. Ein Kulturdokument, das, verlegt bei Suhrkamp, zum Bestseller geworden ist.   Rosemarie Fiedler-Winter

Uwe Tellkamp: „Der Turm“, Suhrkamp, Frankfurt Main 2008, geb., 972 Seiten, 24,80 Euro


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