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24.01.09 / Das Spiel mit dem »Wenn« / Doris Lessing läßt ihre Eltern einer anderes Leben leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-09 vom 24. Januar 2009

Das Spiel mit dem »Wenn«
Doris Lessing läßt ihre Eltern einer anderes Leben leben

„Meine Mama ist ein Engel und mein Papa ist ein König der Südsee. Es gibt wahrhaftig nicht viele Kinder, die so feine Eltern haben! … Und wenn mein Papa sich nur ein Schiff bauen kann, dann kommt er und holt mich, und dann werde ich eine Prinzessin der Südsee. Hei hopp, was wird das für ein Leben!“ Ein so phantasievolles Bild ihrer Eltern malte sich Pippi Langstrumpf aus, deren Mutter kurz nach ihrer Geburt gestorben und deren Vater seit einem Schiffsunglück verschollen war. Rund 60 Jahre nach Erscheinen der berühmten Romane Astrid Lindgrens tut es ihr die britische Schriftstellerin Doris Lessing gleich – und ist dabei nicht weniger erfinderisch. Die Literatur-Nobelpreisträgerin von 2007 ist geprägt durch ihre unglückliche Kindheit: „Mein Vater kämpfte in den Schützengräben, und ich wuchs mit Geschichten über den Ersten Weltkrieg auf. Der Krieg hat so viel Einfluß auf mein Leben gehabt, daß kann man gar nicht übertreiben. Die Kriege, die wir alle zu bewältigen hatten, haben alles durcheinandergebracht.“ In „Alfred und Emily“ gönnt sie ihren Eltern im ersten Teil ein Leben, das nicht vom Ersten Weltkrieg überschattet wird.

Ihre „spekulative Geschichte“ – wie die Autorin selbst ihre Novelle nennt – führt von 1914 bis 1918 nur zum Zusammenbruch des Habsburger Reichs und einem militärischen Konflikt zwischen Türken und Serben. Die verheerenden Gefechte des Grande Guerre bleiben Europa jedoch erspart. Lessings Vater Alfred verliert sein Bein nicht durch eine Splittergranate und heiratet seine Bekannte Betsy, eine warmherzige mollige Blonde, mit der er vier Söhne bekommt. Statt des harten Farmerlebens in der britischen Kolonie Südrhodesien (heute Simbabwe) erfüllt er sich den Traum, ein Landgut in Südengland zu bewirtschaften. Alfred wird allerdings nie die faszinierenden Landschaften Afrikas und die beeindruckenden Felszeichnungen der Urvölker sehen, die ihn für viele Entbehrungen entschädigt haben.

Emily wird wie im echten Leben Krankenschwester. Sie heiratet ihre große Liebe, einen jungen Arzt, der nicht im Ärmelkanal ertrunken ist. Die Ehe bleibt dennoch unglücklich und kinderlos. Erst nach dem frühen Tod ihres Mannes findet Emily ihre Bestimmung. Als Stiftungsgründerin von Reformschulen wird sie zu einer Figur des öffentlichen Lebens und verwirklicht ihr Ideal einer freien, liebevollen und kreativen Erziehung. Die Lieblosigkeit in der Ehe und die gesellschaftliche Diskriminierung als Frau sind jedoch kaum positivere Erfahrungen als die Pflege kriegsversehrter Soldaten und das trostlose Siedlerdasein in Rhodesien.

Im zweiten Teil der Novelle platzt der Traum der alternativen Lebensgeschichten und Lessing erzählt, wie es wirklich war. Dabei beweist sie wie schon in den Autobiographien „Unter der Haut“ und „Schritte im Schatten“ ihren fesselnden und einfühlsamen Schreibstil. „Alfred und Emily“ ist voraussichtlich Lessings letztes Buch. Die mittlerweile 89-jährige gab in einem Interview bekannt: „Mir fehlt die Energie für mehr. Wenn man jung ist, glaubt man, das Leben münde in eine friedvolle Fahrt auf stillen Gewässern. Das ist zutiefst unwahr.“ Schade.    Sophia E. Gerber

Doris Lessing: „Alfred und Emily“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, geb., 304 Seiten, 19,95 Euro


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