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31.01.09 / Schulwesen in Auflösung / Berliner Senat will mit Dialog statt Konsequenz Ausländerkinder unterrichten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 31. Januar 2009

Schulwesen in Auflösung
Berliner Senat will mit Dialog statt Konsequenz Ausländerkinder unterrichten

„Mit Einstimmigkeit wurde festgestellt, daß der Bezirk Mitte vor seinem bildungspolitischen Aus steht.“ Diese Warnung stammt aus dem Brandbrief von 68 Berliner Schulleitern. Ein hoher Migrantenanteil, wenig Geld, falsche oder veraltete Konzepte, zu wenig Lehrer und ein schleichender Abschied vom Leistungsgedanken – das ist heute der Stand an vielen Berliner Bildungseinrichtungen.

„Eine kleine, überschaubare Gesamtschule in Berlin-Mitte mit dem Schwerpunkt Englisch“, so wirbt die Willy-Brandt-Oberschule für sich. Überschaubar ist dort vor allem das Ende des geregelten Unterrichts. An der Willy-Brandt-Oberschule – 93 Prozent der Schüler dort haben einen Migrationshintergrund – gelten jetzt neue Lernkonzepte. Die Schule des 20. Jahrhunderts funktioniere nicht mehr, so der Direktor. In „Lernbüros“ eignen sich die Schüler ihr Wissen mit Karteikarten weitestgehend ohne Lehrer an. Noten und Leistungsdruck gibt es dabei nicht.

Berlins Schulen kommen seit dem geschlossenen Hilferuf der Lehrer der Rütli-Hauptschule im Stadtteil Neukölln vor drei Jahren kaum mehr zur Ruhe. Unterrichtsausfälle und fehlende Unterstützung seitens der Politik zeichnen das Bild eines Schulwesens in Auflösung, das viele Schüler nicht mehr erreicht. Schulschwänzen wird zum Massenphänomen.

Aufgrund zahlreicher Probleme hielt die Leiterin der Rütli-Schule 2006 Unterricht für nicht mehr durchführbar. Sie konnte nicht mehr. Versetzungsanträge vieler Kollegen lagen der Schulbehörde vor, doch Ersatz war nicht zu organisieren. Damals waren es vor allem arabische Migranten, die jeden Respekt vor der Schule vermissen ließen. Kollegen weiterer Berliner Schulen – damals überwiegend Hauptschulen – bestätigten das Bild. Ihr Hilfeschrei in Briefform erschreckte die Öffentlichkeit.

Was einst als Auflösungserscheinung der Hauptschule galt, weitet sich über Problemkieze aus, ergreift das ganze Berliner Schulsystem. Und das in einer Zeit, in der ein selbstverordneter Denkprozeß der Berliner Regierungskoalition zu „Rütli“ zu keinerlei Lösung gereift ist. Sprich: Eine Reform der Hauptschule oder ihre Auflösung bleiben aus. Zwar gibt es ab diesem Jahr die zentrale Berliner Schülerdatei mit Daten zum individuellen Förderbedarf jedes Schülers wie auch zu auffälligem Verhalten. Doch selbst als Intensivtäter bekannte Schüler haben bisher kaum mehr als die Versetzung an eine andere Schule zu befürchten.

Bildungssenator Zöllner will abwarten, bis Empfehlungen fürs Berliner Abgeordnetenhaus ausgearbeitet sind. Rütli hingegen wurde damals schnell und teuer äußerlich saniert, Deeskalation und Dialog als innere Richtlinien aus der Krise gefeiert. Anderswo im Berliner Raum hat sich deswegen kaum etwas verändert. Konsequenz gegenüber lernunwilligen Intensivtätern paßt kaum ins Konzept – damals wie heute. Abkassieren statt reformieren scheint das Berliner Modell: Eltern von Schulschwänzern droht nach dem Willen des Senats bald ein erhöhtes Bußgeld von bis zu 5000 Euro.

Richter und Polizisten  können bezeugen, wie wenig im politischen Berlin der Abstieg der Schule ernstgenommen wird. Wer die Mängel aus unmittelbarer Anschauung benennt, wird zum Freiwild vermeintlich progressiver Politik. So die Jugendrichterin Kirsten Heisig aus Neukölln. Schulschwänzer wie Intensivtäter müßten schneller und konsequenter bestraft werden, so Heisig. „Das sind plumpe Forderungen aus der einseitigen Wahrnehmung ihrer Tätigkeit“, erwidert der SPD-Integrationsexperte Raed Saleh. „Man darf es sich nicht zu einfach machen und die Ursachen in einem ethnischen, religiösen oder kulturellen Hintergrund suchen.“ Was aber, wenn genau da einige Ursachen liegen?

„Wer meint, es reiche aus, jungen Migranten einen deutschen Personalausweis zu schenken, ist schiefgewickelt“, sagt der Berliner Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Bodo Pfalzgraf. „Unsere Erfahrungen zeigen, daß gerade dieser Personenkreis das deutsche Wertesystem verachtet.“ – „Pauschale Verurteilungen“, heißt es dazu aus der SPD.            S. Gutschmidt

Foto: Schulklasse in Berlin-Moabit: Fast alle Schüler haben einen Migrationshintergrund.

 

Zeitzeugen

Maria Böhmer – Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration  reagierte schnell auf den Brief der Schulleiter und berief ein Treffen mit einigen von ihnen ein. „Wir kämpfen heute mit den Versäumnissen der Vergangenheit“, die nicht in drei bis vier Jahren zu beheben seien, beschönigt die 58jährige CDU-Politikern nichts.

 

Hartmut Blees – „Jede Hilfe ist uns recht – auch die von einer Integrationsbeauftragten“, so der Schulleiter der Moses-Mendelssohn-Gesamtschule in Berlin-Mitte. „An meiner Schule kommen 65 Prozent der Kinder aus sozial schwachen Familien, 80 Prozent haben einen Migrationshintergrund“, so der Mit-Unterzeichner des Brandbriefes. Eine derartige Mischung erfordere eine spezielle pädagogische Aufmerksamkeit.

 

Günter Piening – Berlins Beauftragter für Integration und Migration verweigerte sich dem Treffen von Maria Böhmer. In der jetzigen Situation sei der Eindruck entstanden, daß die Probleme an den Schulen mit dem hohen Ausländeranteil zu tun hätten. Da er diesen in seinen Augen falschen Eindruck nicht unterstützen wolle, sei er dem Treffen ferngeblieben, erklärte der 52jährige Soziologe, der den Grünen nahesteht.

 

Safter Cinar – Der 1946 in Brüssel geborene Sohn türkischer Einwanderer unterstützt das Verhalten von Günter Piening. Der Sprecher des Türkischen Bunds in Berlin-Brandenburg (TBB) mißbilligt die Linie, nach der „die Menschen mit Migrationshintergrund als Verursacher von Problemen“ dargestellt werden. Der Migrationsbeauftragter des Deutschen Gewerkschaftsbundes kam im Rahmen seines BWL-Studiums 1967 nach Berlin.

 

Jürgen Zöllner – Berlins Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung läßt sich nicht von den aufgebrachten Schulleitern unter Druck setzen. Zwar kündigte er im Rahmen des vom Bund beschlossenen Konjunkturprogrammes Geld für die Sanierung der baufälligen Schulgebäude an, doch Geld für zusätzliche Lehrer könne er jetzt nicht zusagen. Der 1945 geborene SPD-Politiker betonte, daß ihm die genannten Probleme keineswegs neu seien.


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