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07.02.09 / Ein Gedenktag für die Vertriebenen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 07. Februar 2009

Moment mal!
Ein Gedenktag für die Vertriebenen
von Klaus Rainer Röhl

Auch 64 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs betrauern wir fast jede Woche und besonders im Januar in allen Zeitungen, Rundfunkstationen und Fernsehsendern die Opfer des Hitler-Regimes. Sogar der Papst mußte diesmal herhalten. Das millionenfache Leid der unschuldigen Opfer der Hitlerdiktatur soll nicht vergessen werden. Das ist recht so.

Aber diese öffentliche Trauer ist eine geteilte Trauer. Denn auch mehrere Millionen unschuldige Deutsche wurden Opfer des Krieges gegen das totalitäre Regime Hitlers. Die meisten von ihnen wurden getötet durch ein nicht minder totalitäres Regime, das Stalins. Für sie muß, wie für die Opfer Hitlers, die Unschuldsvermutung gelten. Sie wurden vertrieben und ermordet aus dem einzigen Grund, weil sie Deutsche waren. Für diese Millionen von deutschen Opfern gibt es keinen nationalen Gedenktag, finden keine großen Feiern, Festakte und Gedenkstunden statt, weder im Januar noch an einem anderen Tag des Jahres. Das ist schlecht so.

Mein Großvater, ein 68jähriger Korbmachermeister aus Danzig, wurde im Mai 1945 in einem russischen Arbeitslager erschlagen. Wie er wurden Millionen Deutsche aus dem Osten umgebracht, erschlagen, erschossen, in ihren Häusern verbrannt und dem Hungertod in Todeslagern ausgeliefert. Ich finde, es ist an der Zeit, auch diesen deutschen Opfern einen eigenen Gedenktag zu widmen.

Als Termin würde sich der Jahrestag des Brümer Todesmarsches vom 31. Mai 1945 anbieten. Aus mehreren Gründen.

Am 30. Mai 1945 wurden dort 27000 Deutsche aus der Stadt Brünn zusammengetrieben und am nächsten Morgen auf einen 55 Kilometer langen Fußmarsch bis an die österreichische Grenze gejagt. Nach heutigen Kenntnisstand kamen etwa 5200 Menschen ums Leben. Der Brünner Todesmarsch war damit das schlimmste Verbrechen nach Kriegsende auf europäischen Boden, bis dieser traurige Rekord im Juli 1995 in Srebrenica übertroffen wurde. 1945 spielten sich unbeschreibliche und bisher nur von Augenzeugen in ihrer einfachen, oft unbeholfenen Sprache geschilderte Szenen ab, die von einer Roheit und einer Abartigkeit der Quälereien erzählen, die unsere Phantasie sich heute noch nachzuvollziehen weigert.

Ich zitiere aus dem Bericht von Marianne v. W. aus Brünn: „Ich erlebte den Todesmarsch von Brünn nach Pohrlitz am Fronleichnamstag in folgender Verfassung: Um 9 Uhr abends am 30. Mai 1945 wurden wir aus den Wohnungen gejagt. Die ganze Nacht über standen wir in Massen, Frauen, Männer und Kinder im Alt-Brünner Klostergarten. Beim Morgengrauen wurden wir aus dem Klostergarten herausgetrieben und am Klosterhof in drei Zügen aufgestellt. Nun kam ein Stabskapitän mit einer Gruppe von Partisanen und Gendarmen und schrie: ,Gold, Geld und Sparkassenbücher abgeben!‘ ... Stabskapitän Holatko führte den Befehl. Während dieser Szenen tagte der Nationalausschuß unter Vorsitz des Matula, Vorsitzender des Nationalausschusses in Brünn.

Da die Menschenmassen die ganze Nacht hindurch schon auf der Straße und in dem Klostergarten unter freiem Himmel stehen mußten, brachen viele von ihnen schon nach wenigen Kilometern zusammen. Der Weg führte nach Pohrlitz. Etwa 15 Kilometer weiter bei der Ortschaft Raigern wurden jene Müden und Erschöpften, die nicht mehr weiter konnten, in das Lager Raigern getrieben ... Zahllose wurden dort zu Tode geprügelt und nach den Aussagen vieler, die nach Pohrlitz gekommen sind, erschossen ... Ich hörte die ganze Nacht Hilferufe von Frauen, die vergewaltigt wurden, am frühen Morgen wurden die Marschfähigen mit Peitschenhieben und Mißhandlungen wieder auf die Straße getrieben ...

Ich war in der Baracke IV als Krankenschwester beauftragt, obgleich ich allen diesen erschöpften Menschen kaum helfen konnte. Durch diese Einteilung aber hatte ich einigermaßen Bewegungsfreiheit und konnte die unglaublichsten Grausamkeiten mit ansehen, die sich in diesen Silos zugetragen hatten. Als erster Todesfall ist mir folgender in Erinnerung: Ein Soldat verfolgte eine Frau, die vor ihm flüchtete. Er übersprang die liegenden, erschöpften Frauen und dabei sprang er einem achtjährigen Mädchen mit beiden Füßen auf den Kopf, welches dadurch getötet wurde. Die zweite Tote, die mir in Erinnerung ist, war eine etwa 30jährige Frau, die mit zwei Kindern, einem etwa dreijährigen Mädchen und einem einige Wochen alten Säugling am Beton lagerte. Beim Morgengrauen hörten wir das dreijährige Kind wimmern und nach der Mutter rufen und mußten feststellen, daß diese Frau durch Gift Selbstmord begangen hat. Ihr Gesicht war blau geworden. Aber auch der Säugling war von der toten Frau so fest an die Brust gedrückt, daß das Kind auch tot war.

Ein vorübergehender tschechischer Gendarm begann entsetzlich zu fluchen. Er nannte die Tote eine Nazihure ... und gab mir den Befehl: ,Werfen Sie die Dreck-sau samt dem Bankert in die Latrine!‘

Auf meine Einwendung hin, daß ich Rot-Kreuz-Schwester bin, unter Eid stehe und eine solche Tat nicht ausführen kann und auch nicht will, auch wenn er mich selbst erschießen würde, beschimpfte er mich mit ,deutsches Schwein und deutsche Hure‘, rief aber dann drei andere Frauen, die er eher gefügig machen konnte … Diese Frauen mußten die tote Mutter mit dem toten Säugling in die offene Latrine werfen. Partisanen zwangen dann die Insassen des Lagers, diese Latrine zu benützen, damit, wie sie riefen, ,die Drecksau mit dem Bankert so schnell wie möglich unsichtbar wird‘. Und das vollzog sich auch. Nach Tagen, ja noch Wochen später konnte man noch immer das Köpfchen des Kindes aus dem Unrat herausragen sehen.“

Die Massenmorde von Brünn fanden nach Ende des Krieges, während der sogenannten „Wilden Vertreibungen“ statt. Nicht nur die Größe und Grausamkeit des Ereignisses prädestiniert den 31. Mai zum Gedenktag für die Opfer der Vertreibung. Hinzu kommt, daß kaum eines der Opfer des Todesmarsches ein Nationalsozialist war: Die prominenten Nazis waren rechtzeitig vor dem Einmarsch der Russen geflohen, die „kleinen Rädchen“ des Regimes waren schon zuvor aufgespürt und verhaftet worden. Auch der Organisator des Massenmords von Brünn ist namentlich bekannt. Er hieß Bed-rich Pokorny. Er exekutierte nur einen kleinen Teil des großen Verbrechens, das bis heute ungesühnt blieb. Übrigens wurde Pokorny später ins Prager Innenministerium versetzt, wo er mit dem Massaker von Aussig ein weiteres großes Vertreibungsverbrechen organisierte.

Der Todesmarsch von Brünn ist nur eine winzige Strecke des unendlich langen Leidenswegs von 15 Millionen Deutschen bei ihrer Vertreibung aus Ostpreußen, Danzig, Pommern, Schlesien, dem Sudetenland, aus Ungarn und den Bal-kanländern. Von ihnen kamen, nach Schätzungen der Vertriebenen-Organisationen und Wissenschaftler, die sich mit der Vertreibung beschäftigt haben, etwa 2,2 Millionen ums Leben.

Solange in unserem Land Trauer und Mitgefühl schon fast strafrechtlich bewehrt und das Leugnen geschichtlich gesicherter Tatsachen mit Gefängnis bestraft wird, möge nicht nur das „Holocaust-Leugnen“, sondern auch das Leugnen der Morde während der Vertreibung der Deutschen aus den Ostprovinzen, der Todesmärsche und in den Vernichtungslagern ein Straftatbestand werden. Dafür gibt es ein bemerkenswertes Vorbild: In der Schweiz ist nicht nur das Leugnen des Holocaust strafbar, sondern das Leugnen jeglicher Völkermorde – wer immer Opfer und Täter waren. Wir Deutsche sollten uns davon eine Scheibe abschneiden. Auch „Katyn-Leugnen“, „Nemmersdorf-Leugnen“, „Dresden-Leugnen“ und das Leugnen des Brünner Todesmarschs sollte strafbar werden.


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