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07.02.09 / Bahnbrechend nicht nur für die Biologie / Darwins Evolutionstheorie hat viele Wissenschaftsdisziplinen geprägt und geradezu eine neue Weltsicht bewirkt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 07. Februar 2009

Bahnbrechend nicht nur für die Biologie
Darwins Evolutionstheorie hat viele Wissenschaftsdisziplinen geprägt und geradezu eine neue Weltsicht bewirkt

Vor 200 Jahren wurde Charles Darwin geboren. Mit seiner Evolutionstheorie über die Entstehung der Arten bewegt er noch heute die Gemüter.

Ob das Jahr 2009 tatsächlich, wie es die Fans von Charles Robert Darwin wünschen, zum Darwin-Jahr werden wird, ist fraglich. Unbestritten aber ist der überwiegende Einfluß seiner Theorien weit über die Biologie hinaus. 

Der bläßliche Junge, der im Schoße einer vermögenden Landarztfamilie vor nunmehr 200 Jahren, am 12. Februar 1809, im englischen Shrewsbury das Licht der Welt erblickte, war schon als Kind ein begeisterter Sammler und Naturbeobachter. Nach der Schule begann er auf Drängen seines Vaters ein Medizinstudium in Edinburgh, das er jedoch bald abbrach, weil ihn die Meerestiere am Nordseestrand weit mehr interessierten. Auch das daraufhin begonnene Theologiestudium in Cambridge brach er nach einer Zwischenprüfung ab, weil sich ihm eine einzigartige Chance bot: 1831 erhielt der 22jährige Darwin das Angebot, als zahlender Passagier auf dem britischen Vermessungsschiff „Beagle“ eine fünfjährige Weltreise zu unternehmen. Die Fahrt ging über den Atlantik, rund um Kap Horn zu den Galapogos-Inseln bis nach Neuseeland und auf gleicher Route wieder zurück nach England.

Auf der Beagle „kotzte er sich die Seele aus dem Leib“, wie es etwas drastisch über den jungen Naturforscher heißt. Auf der fünfjährigen Fahrt überwand er nie die Seekrankheit und war froh, wenn er endlich wieder an Land sein konnte. Während die Vermesser den südamerikanischen Kontinent kartierten, beobachtete Darwin die Tierwelt, suchte nach Fossilien und Mineralien. Seinen berühmten Notizbüchern vertraute er auf über 1000 Seiten seine Beobachtungen an. Bahnbrechend wurden seine Beobachtungen von den Galapagos-Inseln, rund 1000 Kilometer vor der Küste Chiles gelegen. In dem fünfwöchigen Aufenthalt auf diesen von jeglicher Zivilisation unberührten Eilanden ritt Darwin unbeschwert auf Riesenschildkröten umher und beobachtete Finken, deren Schnabelform von Insel zu Insel unterschiedlich war. Das brachte ihn viele Jahre später auch durch Anregungen anderer Naturforscher wie Thomas Robert Malthus auf eine eigene Theorie der Evolution. Denn auf den Galapagos-Inseln hatte sich offenkundig dieselbe Art von Tieren, die Finken, an eine bestimmte Umwelt in jeweils besonderer Weise angepaßt, was auch zu genetischen Veränderungen geführt haben mußte. Spezielle geographische und klimatische Bedingungen führten also, so schloß der Privat-Forscher, bei einer bestimmten Tierart zu einer „Vielfalt von Arten durch natürliche Zuchtauswahl“, so der Titel seines wichtigsten Werkes von 1859. Der zentrale Gedanke seiner Evolutionstheorie liegt daher in dem Prozeß der „natürlichen Selektion“. Daraus hat man geschlossen, daß nicht Gott wie ein begnadeter Ingenieur die biologische Fülle der Artenvielfalt geschaffen habe, sondern sie sich in langsamen Schritten gleichsam von selbst entwickelt hätte. Diese Anpassung an die jeweiligen Naturumstände setzte Mutationen voraus, also Veränderungen der Erbsubstanz, das zweite Hauptstichwort von Darwins Hypothese. Weil regelmäßig weit mehr Nachkommen gezeugt werden als überstehen können, wie jeder in der Natur leicht beobachten kann, kommt es zu dem, was Darwin „struggle for life“ nannte und was – etwas ungenau übersetzt – als „Kampf ums Dasein“ im deutschen Sprachraum Anlaß für zusätzliche Mißdeutungen gab. Hier haben dann diejenigen Spezies einer bestimmten Tierart die besseren Überlebenschancen, die besser an die Natur angepaßt sind, sei es durch Stärke, Farbe ihres Fells oder Form ihres Schnabels. So bringt die Natur, nach Darwins Beobachtungen, nicht nur neue Merkmale einzelner Tierarten hervor, sondern neue Arten und Gattungen.

Hat Darwin Recht behalten? Diese Frage wird immer wieder gestellt, weil sich viele auf ihn zu Recht und vielleicht noch mehr auf ihn zu Unrecht berufen. Einige sahen die Chance gekommen, nun zu begründen, warum man an Gottes Schöpfung nicht mehr glauben müsse oder gar könne. Die Welt und alle Lebewesen haben sich danach vermeintlich durch Zufall aus dem Urknall und einer biologischen Ursuppe entwickelt. Für eine solche Behauptung gibt es zwar keine wissenschaftlichen Beweise, aber Agnostiker und Atheisten aller Couleur meinen hier gute Argumente zu finden. Auf der anderen Seite führen sogenannte Kreationisten ins Feld, daß am Anfang der Bibel angeblich schon alles über die Entstehung der Lebewesen gesagt worden sei. Das ist natürlich genauso falsch wie die These der Atheisten. Denn die Bibel erhebt in den zwei unterschiedlichen Schöpfungsberichten in 1. Mose 1 und 2 nicht den Anspruch, die Entstehung der Welt wissenschaftlich zu erklären. Sie will nur die Frage beantworten, wer der Schöpfer allen Lebens ist, nicht wie einzelne Arten entstanden sind.

Bei der ersten öffentlichen Vorstellung seiner Theorie zitierte Darwin den Schweizer Botaniker de Candolle mit den Worten: „Alle Natur befindet sich im Krieg miteinander oder mit der äußeren Natur.“ Dieses kriegerische Modell in der Natur führte im „Sozial-Darwinismus“ zu erschreckenden Folgerungen. Wenn es nämlich wirklich so ist, wozu Darwins Theorien zumindest den Anstoß gaben, daß nur der Stärkste im „Kampf ums Dasein“ überleben kann, was ist dann mit den Schwächeren und Schwächsten? Ernst Haeckel (1834–1919), Sohn eines preußischen Oberregierungsrates, wandte die Evolutionstheorie Darwins auf die menschliche Gesellschaft an. Seine Überlegungen zu Eugenik und Rassenhygiene wurden nicht nur von den Nationalsozialisten begierig aufgenommen, führten dort aber in letzter Konsequenz zu Völkermorden und Euthanasie.

In der modernen Biologie sind die frühen Forschungsergebnisse Darwins über die Vielfalt der Arten weitgehend anerkannt. Kritik kommt allerdings ausgerechnet von denjenigen Wissenschaftlern, die Darwins Hypothesen eigentlich bestätigen wollten. Jürgen Neffe („Das Abenteuer des Lebens“) reiste auf den Spuren des großen Naturforschers und ist eigentlich Darwinist durch und durch. Dennoch liest sich sein Buch als eine grundlegende Kritik an der Sicht Darwins, denn er betont, daß etwas nicht stimmen kann mit der „erfolgreichsten Spezies“ Mensch, die vermeintlich nutzlose Pflanzen und Tiere einfach ausrottet. Die menschliche Zivilisation hat eben gerade nicht das Problem des Lebens gelöst. Wenn bestimmte Formen oder Pflanzen sich als zu schwach erweisen, müssen sie dennoch nicht ohne Nutzen sein. Genau dieser Gedankengang wäre dann auch für die menschliche Gemeinschaft zentral.

Wer die jüngst publizierten Briefe Darwins aus den Jahren 1822 bis 1859 liest, begreift schnell, daß der Forscher nicht der milde Philosoph ist, dessen Ideen nur von Kapitalisten oder Diktatoren mißbraucht wurden. Der allgegenwärtige Wettkampf, bei dem Gutes entsteht, weil der Schwächere nicht siegen kann, ist eine typische Haltung des 19. Jahrhunderts. Das Leben, betrachtet als eine Newtonsche Maschine, ein von den Gesetzen der Tauglichkeit gelenkter Kosmos, das schwebte Darwin vor. Seine anfängliche Begeisterung für eine „natürliche Theologie“, die in allen Werken der Natur Gottes Schöpfermacht erkennen will, schwand mehr und mehr.

Den stärksten Gegenwind erleben die Gedanken Darwins heute ausgerechnet aus den Genlaboren, von dort, wo sich der Naturforscher eine Bestätigung seiner Beobachtungen über die Mutationen erhofft hätte. Nicht die katholische Kirche, die heute keinen grundsätzlichen Gegensatz mehr zwischen christlichem Glauben und Evolutionsbiologie sieht, ist der Hauptgegner. Der „Abschied vom Darwinismus“ wird heute von den modernen Biowissenschaften ausgerufen. Auf der Spur der amerikanischen Nobelpreisträgerin Barbara McClintock weist Joachim Bauer nach, wie sehr Lebewesen nach den Grundprinzipien von „Kooperativität, Kommunikation, Kreativität“ getragen sind. Danach setzt sich nicht der starke Einzelkämpfer oder Einzelforscher durch, sondern derjenige, der im Team eine möglichst hohe Synergie erzeugen kann. Darwins Größe besteht bleibend darin, daß er den Wandel der Arten sah. Die Tragik seiner Anhänger und Fans liegt eher darin, daß sie sich immer noch im Fortschrittsdogma des 19. Jahrhunderts, der Auslese durch Konkurrenz, einsperren lassen. Hinrich E. Bues Foto: Grüne Patina: Ein Denkmal in Darwins Vaterstadt Shrewsbury.


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