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07.02.09 / Die Weimarer Klassik stand Pate / Am 6. Februar 1919 trat im Nationaltheater zu Weimar die deutsche Nationalversammlung zusammen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 07. Februar 2009

Die Weimarer Klassik stand Pate
Am 6. Februar 1919 trat im Nationaltheater zu Weimar die deutsche Nationalversammlung zusammen

Die Wahl des Sitzungsortes hatte Symbolkraft. Nicht der angeblich in Berlin beheimatete Geist des preußisch-deutschen Militarismus sollte die Republik erfüllen, sondern der der deutschen Klassik. Deshalb berief die Reichsregierung die Verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung für den 6. Februar 1919 nicht in die Reichshauptstadt, sondern in die Goethe- und Schiller-Stadt Weimar ein, die der neuen deutschen Republik ihren Namen geben sollte.

Bereits im Zuge der Novemberrevolution 1918 hatten Reichskanzler Prinz Max von Baden, der zuvor eigenmächtig die Abdankung des Kaisers verkündet hatte, als auch führende Sozialdemokraten die Einrichtung einer Nationalversammlung gefordert, die über die zukünftige Staatsform und die Verfassung des Deutschen Reiches entscheiden sollte. Der Rat der Volksbeauftragten, der nach dem Zusammenbruch der Monarchie als provisorische Reichsregierung fungierte, schloß sich dieser Forderung am 30. November 1918 an und setzte für den 19. Januar 1919 eine Reichstagswahl an. Wahlberechtigt waren alle deutschen Männer und Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet hatten, womit erstmals auch Frauen ein reichsweites Wahlrecht hatten. Auch der Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte stimmte diesem Regierungsbeschluß mit deutlicher Mehrheit zu, wodurch der Weg zur Reichstagswahl geebnet und eine von vielen befürchtete Entwicklung hin zu einer Räterepublik endgültig gestoppt war.

Nach der Wahl vom 19. Januar, bei der die eine parlamentarisch-demokratische Republik anstrebenden Parteien SPD, DDP und Zentrum eine Dreiviertelmehrheit erreichten, trat die Verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung am 6. Februar 1919 im Weimarer Nationaltheater zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Sie war nicht nur mit der Ausarbeitung einer Verfassung beauftragt, sondern fungierte zugleich auch als Parlament und nahm dessen legislative Aufgaben wahr. Der Umzug in die thüringische Stadt bereitete verkehrstechnische Schwierigkeiten, so daß die Regierungsämter im von nachrevolutionären Wirren und Unruhen beherrschten Berlin verblieben. Um einen schnellen Nachrichtenaustausch zu gewährleisten, wurde eine Luftpostlinie eingerichtet. Zur Eröffnung der ersten Sitzung sandten die Abgeordneten der deutsch-österreichischen Nationalversammlung ein Grußtelegramm nach Weimar, in dem sie ihren Wunsch nach einer Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich ausdrückten, für den es auch eine Mehrheit in der deutschen Nationalversammlung gab. Doch die Entscheidung darüber sollten die alliierten Siegermächte auf ihrer Konferenz in Potsdam fällen.

Erster Parlamentspräsident wurde der SPD-Politiker Eduard David, der allerdings wenige Tage später als Minister in die Reichsregierung wechselte und von dem Zentrumspolitiker Konrad Fehrenbach abgelöst wurde. Am 11. Februar wählten die Abgeordneten mit über 70 Prozent der Stimmen den bisherigen Reichskanzler Friedrich Ebert zum vorläufigen Reichspräsidenten. Der Parlamentspräsident begrüßte ihn mit den Worten: „Verschwunden ist der Vormund aus ererbtem Recht, an seiner Stelle steht der selbstgewählte Führer.“ Ebert, zugleich SPD-Vorsitzender, antwortete, er wolle und werde als der Beauftragte des ganzen deutschen Volkes handeln und nicht als Vertreter einer einzigen Partei. Zugleich bekannte er sich zu seiner Herkunft aus dem Arbeiterstand.

Gemeinsam mit dem Zentrum und der DDP bildeten die Sozialdemokraten in der Weimarer Koalition eine regierungsfähige Mehrheit. Erster Ministerpräsident (Reichskanzler) der Weimarer Republik wurde der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann, Vizekanzler Eugen Schiffer von der DDP und Außenminister der parteilose Ulrich Graf von Brock-dorff-Ranzau. Während im Reich die Aufstände der Spartakisten, Kommunisten und Unabhängigen Sozialdemokraten tobten, gingen die Abgeordneten in Weimar daran, Deutschland eine demokratische Verfassung zu geben.

Die größte Herausforderung waren die Beratungen über den als Diktatfrieden empfundenen Vertrag von Versailles. Am 12. Mai 1919 tagte die Nationalversammlung erstmals in Berlin. Hier nahm sie eine Erklärung Scheidemanns über die Friedensbedingungen entgegen und debattierte darüber. Unter großem Beifall aller Parteien bezeichnete Scheidemann die Friedensbedingungen als „Gewaltfrieden“, der das deutsche Volk erdrosseln solle. Die Reichsregierung könne diesen Bedingungen nicht zustimmen und werde Gegenvorschläge machen, die auf Wilsons 14-Punkte-Programm beruhen. Dem schlossen sich die Redner aller Parteien an. Sie erklärten die Forderungen der Entente für unannehmbar und wandten sich vor allem gegen die ruinösen Reparationsforderungen und die Behauptung, Deutschland trage allein die Schuld am Ausbruch des Krieges. Nachdem Scheidemanns Kabinett aus Protest gegen die unnachgiebige Haltung der Siegermächte wenig später zurücktrat, warb sein Nachfolger, Gustav Bauer, der einer Regierung von SPD und Zentrum vorstand, für die Vertragsunterzeichnung, kritisierte aber weiter einzelne Bestimmungen und insbesondere den Passus zur Kriegsschuldfrage in Artikel 231 des Vertrages. Trotz der allgemeinen Entrüstung über den Vertragsentwurf stimmte die Nationalversammlung dem Antrag in namentlicher Abstimmung mit 237 zu 138 Stimmen schließlich zu, da die Alternative nur die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen sei, die weit schlimmere Folgen haben würden.

Die Weimarer Nationalversammlung war jedoch nicht nur mit den Verfassungsberatungen befaßt. So wurden beispielsweise die gesamte Neuregelung des Steuerwesens in Angriff genommen und mit der Verabschiedung des Reichssiedlungsgesetzes erste Schritte zu einer Bodenreform unternommen.

Am 30. September 1919 verlegte die Nationalversammlung ihren Sitz nach Berlin, bevor sie sich am 21. Mai 1920 auflöste. Nach der Reichstagswahl vom 6. Juni trat der erste Reichstag an ihre Stelle. Da war der Weg, der wegen des Deutschland erdrückenden Friedensvertrages und verschiedener Verfassungsmängel zu Diktatur, Krieg und Untergang führen sollte, bereits beschritten.       Jan Heitmann

Foto: Neuanfang: Erster Parlamentspräsident wurde der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert.      Bild: pa


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