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07.02.09 / Eine verpaßte Gelegenheit? / Nutze den Tag – Eine schlichte, doch wahre Lebensweisheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 07. Februar 2009

Eine verpaßte Gelegenheit?
Nutze den Tag – Eine schlichte, doch wahre Lebensweisheit

Ich war den schmalen Weg am See entlang geschlendert und setzte mich nun auf eine Bank ans Wasser. Vor mir die sonnengesprenkelte Fläche, und auf der gegenüberliegenden Seite die Wälder mit ihren dunkelgrünen Tannen, durchsetzt von hellgrünen Laubbäumen, und noch weiter dann die schneebedeckten Gipfel der Alpen.

An dieser Stelle war der See sehr flach. Mir schien es, als trüge jede Welle einen breiten silberglänzenden Reifen, der beim Anrollen an den steinigen Strand in Tausende von flüssigen Diamanten zerplatzte. Die Sonne verzauberte den See – und mich. Deshalb bemerkte ich erst später eine weitere Bank, die, geschützt durch einen Strauch, neben meiner am Wasser stand. Darauf lag eine stille Gestalt, der Länge nach ausgestreckt, reglos.

Ich besah sie mir. Ein Landstreicher. Seine Hose hatte schon bessere Tage gesehen. Auf der Erde lag eine leere Flasche. Ein altes Fahrrad lehnte an einem Baum. Der Mann schien fest zu schlafen.

Da – er bewegte sich, reckte die Arme, setzte sich auf, sah mich und grinste mir zu. Seinen Hund hatte ich übersehen. Er kam gerade unter der Bank hervor. „Geh dich waschen, Fluppi, Dreckspatz!“ Gebieterisch zeigte der Mann auf den See. Der kleine strubbelige Mopp mit Schwanz zockelte, den Kopf dicht am Boden, unlustig zum Wasser. Dort sah er hoffnungsvoll zu seinem Herrchen hin. Vielleicht guckte der ja gerade nicht zu? Aber die Hand zeigte noch immer auf den See.

Ein ganz kleines Stück wagte sich das Tier nun hinein, tauchte dann plötzlich unter und kam wie ein Gejagter zurückgesaust. Kurz vor uns angekommen, schüttelte er sich, daß die Tropfen nur so flogen. Auch ich bekam etwas von dem nassen Segen ab. „Das macht er immer“, der Alte grinste, „aus gemeiner Rachsucht!“

„Recht hat er“, sagte ich, „das Wasser ist eiskalt. Eigentlich müßten Sie nun auch hinein. Das wäre nur gerecht.“ „Aber ich habe Rheuma, der Hund nicht. Fluppi ist  noch jung, ich bin über 200.“

Gerade wollte ich ihm sagen, wie feige ich ihn fände, da ließ der Alte seine speckigen Hosen fallen. Hemd und Socken flogen auf die Bank. Wie ein 20jähriger lief er, nur mit der Unterhose bekleidet, zum Wasser. Seine Gestalt war erschreckend dürr, schlaffe braune Haut faltete sich um dünne Knochen. „Ich habe doch bloß Spaß gemacht“, schrie ich ihm nach, „kommen Sie zurück!“

„Gerechtigkeit“, brüllte er, die letzten Silben in die Länge ziehend, stakste dann storchengleich barfuß über die scharfen Kiesel, machte einen Satz und war schnell in den elend kalten See eingetaucht. Erschüttert blickte ich ihm nach. Wenn ihm etwas zustieß, war ich Schuld!

Mit beiden Händen winkte er mir zu, und da war mir klar: Ich brauchte mir keine Sorgen zu machen, das Spielchen vor meinen Augen war eine jahrzehntelange Gewohnheit.

Grinsend kam er heraus, schüttelte sich wie sein Hund. „Jetzt mach’ ich mich stadtfein, Frollein!“ Er kramte in seinem Rucksack und verschwand hinter dem Busch. Wieder sein belustigtes Grinsen, als er auftauchte.

In den neuen Sachen wirkte er jünger. Er war sogar gekämmt. Sein weißes spärliches Haar ließ die rosa Kopfhaut durchscheinen. Fluppi schnupperte mißtrauisch an den neuen glänzenden Schuhen seines Herrchens und wedelte dann zufrieden. Ich schämte mich ein bißchen. Hatte ich bisher nicht angenommen, ich sei meinen Mitmenschen gegen­über ohne jedes Vorurteil?

„Sehen Sie die Schirme da hinten über den Tischen, Frollein?“ Der Alte sah mich bittend an. „Ich will – äh – ich würde Sie gern zu einem Eis einladen. Fluppi liebt das kalte Zeugs genau wie ich. Wie ist es – kommen Sie mit?“

Ich sah ihm nach, wie er davon ging, ohne sich umzudrehen.

Selbst heute, nach so vielen Jahrzehnten, bedauere ich es, daß ich in meiner jugendlichen Unreife die Einladung des alten Mannes ablehnte. Wenn ich an ihn denke, manchmal, tut mir das Herz noch immer ein bißchen weh, weil ich jetzt erst weiß: Ich habe damals etwas durchaus ganz Wesentliches verpaßt.     

Gabriele Lins

Foto: Hamburg – Der Bund der Vertriebenen (BdV) lud zum Neujahrsempfang Ende Januar ins Haus der Heimat, Teilfeld 1, Hamburg-Neustadt, ein. Unter den Gästen befanden sich auch die Zweite Bürgermeisterin und Schulsenatorin Hamburgs (rechts im Bild), Christa Goetsch (GAL), sowie der polnische Vizekonsul Dr. Jerczy Kaczmarek (links im Bild). Christa Goetsch wies in ihrem Grußwort unter anderem darauf hin, durch ihren Schwiegervater aus Pommern familiär „vorbelastet“ sei. Für den Vizekonsul war dieser Empfang geleichzeitig auch ein Abschied. Er wird zukünftig in Warschau im Außenministerium tätig sein. Er betone, daß die Hamburger ihm, während seines langjährigen Dienstes im Generalkonsulat, ans Herz gewachsen seien.


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