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07.02.09 / Heilloses Chaos in den vier Wänden / Das Vermüllungssyndrom ist eine bisher weitgehend unerforschte Krankheit – »Messies« suchen Sicherheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 07. Februar 2009

Heilloses Chaos in den vier Wänden
Das Vermüllungssyndrom ist eine bisher weitgehend unerforschte Krankheit – »Messies« suchen Sicherheit

In Deutschland leben etwa 1,8 Millionen Menschen mit Messie-Syndrom. Es fällt ihnen schwer, ihre Wohnung in Ordnung zu halten und Alltagsaufgaben zu organisieren. In schweren Fällen ist eine Vermüllung ihres Heims die Folge.

Eine Meldung aus London las sich wie eine gut erfundene Geschichte, wirft aber ein grelles Licht auf die Situation der Messies. Auf Bitten der Nachbarn war die Polizei mit einem Spezialteam in Schutzkleidung angerückt, um die Wohnung des 74jährigen Gordon Stewart aufzubrechen. Unerträglicher Gestank und die Tatsache, daß der Mieter mehrere Tage nicht gesehen wurde, machten diese Maßnahme notwendig. Die Männer mußten sich schließlich durch Berge von Müll durcharbeiten, um zu Stewart zu gelangen. Doch jede Hilfe kam zu spät. Der Mann war in seinem Labyrinth aus Müllsäcken, alten Möbeln, Einkaufstüten und Abfällen vermutlich verdurstet, weil er nicht mehr herausfand.

Ein spektakulärer Fall, der nur die Spitze des Eisbergs ist. Denn unter uns leben Menschen mit dem Vermüllungssyndrom, ohne daß ihre Umgebung etwas mitbekommt. Sie brauchen Hilfe und keine Abneigung. Schließlich kann man durchaus nachvollziehen, was in den Kranken vor sich geht. Wer kennt es nicht? Man hat sich schon seit langem vorgenommen, den Keller und (oder) den Dachboden endlich einmal aufzuräumen. Dinge wegzuwerfen, die man schon ewig nicht mehr benutzt hat, zum Sperrmüll oder zur Altklei-dersammlung zu geben.

Doch stets findet sich eine Ausrede – keine Zeit, das kann man später einmal machen, viele Sachen sind doch viel zu schade zum Wegwerfen, das kann man noch reparieren …

Messies sind aber keine gewöhnlichen Sammler. – Übrigens, welch nettes Wort für eine erschreckende Krankheit. Es stammt von der selbst betroffenen US-amerikanischen Sonderschulpädagogin Sandra Felton und basiert auf dem englischen Begriff „mess“ = Unordnung. Felton gründete in den 1980er Jahren die Selbsthilfegruppe Messies Anonymous.

Messies bewahren alles auf, unkontrolliert, Sinnvolles und Unsinniges. Von Möbeln, Gebrauchsartikeln und Zeitungen bis hin zu total unbrauchbaren Gegenständen. Man sollte meinen, daß sie sich zumindest davon trennen können. Doch reflexartig verteidigen sie sich und meinen, es irgendwann reparieren zu wollen.

Sie merken schon, daß irgendetwas nicht stimmt, daß sie die Wohnung einmal aufräumen müßten, doch dazu fehlt ihnen die Kraft. Eine Messie kaufte immer wieder Putzmittel, um das Chaos zu beseitigen, das sich in ihrer Wohnung breit gemacht hatte. Doch es blieb bei dem guten Willen. „Ich habe es einfach nicht geschafft.“

Die Krankheit ist bisher weitgehend unerforscht. „Es gibt noch keine klinische Diagnose“, so Gisela Stein, Psychologin an der Universität Bielefeld. Fest steht jedoch: Das Messie-Syndrom überschneidet sich häufig mit Depressionen oder Angstzuständen. Auslöser sind oft kritische Lebensereignisse, etwa der Verlust des Lebenspartners aber auch des Arbeitsplatzes. „Viele haben die notwendigen Strukturen einfach nicht gelernt“, hat Werner Gross vom Psychologischen Forum Offenbach festgestellt. Das Festhalten an Gegenständen schafft diesen Menschen vermeintliche Sicherheit. Jeder noch so kleine Papierschnipsel mit Beschriebenem werde aufgehoben und gehortet, beschreibt eine ehemalige Betroffene ihre verzweifelte Suche nach Halt.

Die Kranken vereinsamen, weil sie versuchen, ihre Krankheit geheim zu halten. Niemand darf mehr in die Wohnung. Sie haben Angst, entlarvt zu werden, sie schämen sich, das heillose Chaos preisgeben zu müssen.

Die Autorin Herrad Schenk beschreibt in ihrem neuen Buch „Das Leben einsammeln. Olga A. – Die Geschichte einer Messie“ (Beltz Verlag, Weinheim 2009, 176 Seiten, gebunden, 17, 95 Euro) die letzten Wochen einer Frau, die ihr Leben nicht mehr in den Griff bekommt und geradezu in einen Sog gerissen wird, aus dem sie nicht mehr herauskommt, und nur noch einen Ausweg sieht.

Olga, geschieden, zwei Kinder, fast 50 Jahre alt, lebt allein mit ihren zwei Katzen. Nachdem sie ihre Mutter gepflegt hat, findet sie keine vernünftige Arbeit mehr und lebt von Hartz IV. Sohn und Tochter wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben, Freunde hat sie nicht. Als sich eines Tages der Klempner anmeldet, gerät Olga in Panik. Sie muß ihre Wohnung aufräumen und das in zwei Tagen. Mit Müh und Not schafft sie Ordnung, wenn auch oberflächlich. Die prall gefüllten Müllsäcke werden im Schrank, in der Speisekammer und selbst auf dem Balkon verstaut. Hinter und unter ihrem Bett türmen sich die Säcke. Nur das Bett selbst bleibt frei, dort findet Olga Zuflucht. Dort denkt sie auch über ihre Vergangenheit nach, eine Vergangenheit, die geprägt ist von herben Verlusten. Der Vater, der Bruder – sie starben, der Mann verließ sie, die Tochter sagte sich von ihr los. Olga ist erschöpft, nicht mehr in der Lage, dem Leben die Stirn zu bieten. Sie resigniert. Ein wunderbares Buch, einfühlsam geschrieben ohne voyeuristischen Blick, ein Buch, das für ein heikles Thema sensibel macht.   S. Osman

Die Anonymen Messies Deutschland sind in der Gutenbergstraße 1, 47443 Moers, Telefon/Fax (0551) 3769 85, zu erreichen.

Foto: Verzweiflung: Nicht selten endet Sammelleidenschaft im Chaos.


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