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14.02.09 / Keine Schule zu Hause / Oberverwaltungsgericht bekräftigt »Nein« zum Hausunterricht – Deutscher Sonderweg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-09 vom 14. Februar 2009

Keine Schule zu Hause
Oberverwaltungsgericht bekräftigt »Nein« zum Hausunterricht – Deutscher Sonderweg

Kinder müssen zur Schule gehen und dürfen nicht zu Hause unterrichtet werden. Diese rigide Linie hat in der letzten Woche das Bremer Oberverwaltungsgericht (OVG) in einem Urteil gegen Deutschlands bekannteste Hausunterrichts-Familie Neubronner erneut bekräftigt.

Damit scheiterte das Ehepaar Neubronner auch in zweiter Instanz mit ihrem Wunsch, ihre 1996 und 1999 geborenen Kinder Moritz und Thomas zu Hause unterrichten zu dürfen. Die Neubronners sprechen daher nicht mehr von einer Schulpflicht, sondern von „Schulzwang“, denn der Schulbesuch ihrer Kinder werde mit Zwangsgeldern, Polizeigewalt und schließlich dem drohenden Entzug des Sorgerechtes durchgesetzt.

Um Letzterem zu entgehen, hat sich Tilman Neubronner, von Beruf Sozialpädagoge, zusammen mit seinen beiden Söhnen zu Freunden nach Frankreich abgesetzt. Denn in fast allen Ländern Europas ist es erlaubt, die Kinder zu Hause lernen zu lassen. Dabei unterrichten durchaus nicht immer die Eltern. Vielmehr erteilen pädagogisch ausgebildete Kräfte, oft Akademiker, den Kindern in kleinen altersübergreifenden Gruppen von fünf bis zehn Schülern den Unterricht. Die Befürworter dieses Modells argumentieren, daß der Einzel- oder Kleingruppenunterricht doppelt bis dreifach so effektiv sei wie der Schulunterricht in Klassen von 25 bis 30 Schülern, wo Lärm und andere Störungen oft ein konzentriertes Arbeiten unmöglich machten.

Die Neubronners sind in vieler Hinsicht ein besondere Familie. Während andere „Homeschooling“-Familien meist aus religiösen Motiven einen Unterricht ihrer Kinder an staatlichen oder privaten Schulen ablehnen, kämpfen die Neubronners aus pädagogischen Motiven um den Hausunterricht. Obwohl sie ebenso wie andere betroffene Familien ihre Kinder ins Ausland gebracht haben, kämpfen sie auch nach den Konflikten mit den Behörden für ihr Anliegen vor Gericht und in den Medien.

Sie waren zu Gast in Talkshows von Günter Jauch und Reinhold Beckmann; sie veröffentlichten ein Buch über ihre Erfahrungen. Bisher hat der Gang in die Öffentlichkeit und vor Gericht ihnen allerdings wenig genützt. Das OVG lehnte die Klage in allen Punkten ab. Bisher ist fraglich, ob eine Klage vor dem Bundesverwaltungs- oder Bundesverfassungsgericht zugelassen wird, wie der Anwalt der Familie Matthias Westerholt betonte.

In der gut zweieinhalbstündigen Verhandlung vor dem Gericht ging es zunächst um die Frage, was der Paragraph 57 des Bremer Schulgesetzes unter dem „besonderen Ausnahmefall“ versteht, nach dem ein Kind auf Behördengeheiß von der Schulpflicht befreit werden darf. Ausnahmen werden in Bremen nur bei schwer kranken Kindern gemacht oder „wenn Kinder mit ihren Eltern auf Forschungsreise gehen müssen“, wie der Schuljustitiar Detlef von Lührte ausführte. Das kam hier nicht zum Tragen, klagte Dagmar Neubronner, eine studierte Biologin. Ihre Kinder würden so gesehen benachteiligt, weil sie nicht krank oder verhaltensauffällig seien. Verhaltensauffällige Kinder erhalten in der Regel eine Ausnahmegenehmigung und dürfen in der so genannten „Flex-Fernschule“ auch zu Hause lernen, bei einer sehr hohen Erfolgsquote

Schulpflicht oder Schulzwang – das ist hier die Frage. Warum stellen Politik und Gerichte in Deutschland sich in Sachen Heimunterricht stur? Liegen ideologische Gründe vor? Obwohl im umliegenden Europa und auch in den USA das Homeschooling ein seit Jahrzehnten erfolgreich erprobtes Modell ist, sieht Justitiar von Lührte die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht nur durch den Besuch einer öffentlichen Schule gewährleistet. Das sei „allgemeine Auffassung“.

Fragt sich nur, ob diese Auffassung auch zutrifft. Selbst in  Österreich, das nahezu identische staats- und bildungspolitische Ziele wie Deutschland verfolgt, ist der häusliche Unterricht seit 40 Jahren erlaubt und wird problemlos praktiziert. Dort gilt dieser Unterricht als gleichwertig, wenn am Ende eines Schuljahres die entsprechenden Prüfungen vor staatlichen Instanzen erfolgreich abgelegt werden. Auch die Vereinten Nationen kritisieren inzwischen den deutschen Sonderweg beim Hausunterricht. So besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß schließlich eine Richtlinie der Europäischen Union das Tor für dieses Schulmodell auch hierzulande öffnen wird.

Hinrich E. Bues

 

Zeitzeugen

Johann Wolfgang von Goethe – Der neben Friedrich Schiller berühmteste deutsche Dichter Goethe (1749–1832) erhielt lediglich Hausunterricht, wie auch der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) und der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906–1945, hingerichtet). Alle drei gehörten zur deutschen Kultur- und Bildungselite ihrer Epoche.

 

John Caldwell Holt – Der US-amerikanische Autor und Pädagoge (1923–1985) gilt als Theoretiker und Anführer der „Homeschooling“-Bewegung. Holt kam zu dem Schluß, daß das Lehrkonzept von Schulen generell unangemessen sei und die Institution Schule auch nicht reformiert werden könne. Daher müsse der Unterricht grundsätzlich zu Hause stattfinden.

 

Annette Schavan – Die 1955 geborene studierte Erziehungswissenschaftlerin ist seit 2005 Bundesbildungsministerin. Zuvor war die CDU-Politikerin zehn Jahre lang Kultusministerin von Baden-Württemberg. Schavan hat sich als klare Gegnerin des Hausunterrichts profiliert. Ihrer Meiung nach kann Unterricht zu Hause weder Chancengleichheit noch eine angemessene Ausbildung der Kinder garantieren.

 

Die zwölf Stämme – Die „Zwölf Stämme“ sind eine christlich-fundamentalistische Gruppe in Bayern. Ihre Mitglieder gingen für das Recht auf Hausunterricht sogar ins Gefängnis. Die Gruppierung hatte letztlich Erfolg: Im Jahre 2006 errang die Gemeinschaft eine Ausnahmeregelung, wonach sie ihre Kinder unter strengen Auflagen selbst unterrichten darf. Bayerische Bildungspoliker beobachten das Projekt allerdings argwöhnisch.

 

Tilman Neubronner – Tilman und Dagmar Neubronner sind am 3. Februar 2009 vor dem Bremer Oberverwaltungsgericht mit ihrer Klage gegen die allgemeine Schulpflicht gescheitert. Die Neubronners wollen ihre beiden Söhne nicht mehr auf eine Schule schicken, weil sie sich dort nicht wohlgefühlt hätten. Der Vater wohnt jetzt mit seinen Söhnen in Frankreich, wo die Kinder am Hausunterrichtsprojekt einer irischen Schule teilnehmen.


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