24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
14.02.09 / Musik in den Ohren des Kremls

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-09 vom 14. Februar 2009

Auf ein Wort
Musik in den Ohren des Kremls
von Wilfried Böhm

Angesichts der unübersehbaren Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA und ihrer möglichen weltweiten Folgen heften sich die Blicke auf den neuen Präsidenten Barack Obama. Seine die Welt beeindruckende Inthronisation beschwor die Vergangenheit ebenso wie die Hoffnung, Schlimmes in letzter Minute abzuwenden.

In Moskau hingegen kursieren Spekulationen über einen mög-lichen Zusammenbruch des kapi-talistischen Systems als Folge der großen Krise und seine Auswirkungen auf den Bestand der USA, zumindest aber auf ihre Stellung als Weltmacht. Die eigenen Erfahrungen mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion beflügeln derartige Phantasien und Prognosen. So verbreitet schon seit Jahren Professor Igor Panarin seine Theorien über den bevorstehenden Zerfall der Vereinigten Staaten und findet immer wieder Zuhörer – nicht nur in Rußland. Auch das „Wall Street Journal“ in New York berichtete Ende des vergangenen Jahres über Panarins Thesen, nach denen es in den USA nach 2010 als Folge eines wirtschaftlichen und moralischen Zusammenbruchs zu einem Bürgerkrieg komme und daß sie möglicherweise auseinanderfallen. Sein Artikel führte sogar schon zu einer Frage in einer Pressekonferenz des Weißen Hauses. Die Sprecherin Dana Perino lehnte allerdings „unter großer Heiterkeit“ jede Kommentierung ab.

Während die Politik sich noch weigert, die Niedergangsprophezeiungen des Politologen, Psychologen und Ökonomen Panarin ernstzunehmen, findet er in den Medien inzwischen auch außerhalb des eigenen Landes Aufmerksamkeit. Der Hauptgrund dafür ist gewiß, daß Panarin den Niedergang der USA nicht erst wie so viele andere seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007 prophezeit. Völlig gegen den Trend verkündete er bereits während der späten neunziger Jahre, als die USA boomten und Rußland dem wirtschaftlichen Ruin nahe schien, den möglichen Beginn des Untergangs der USA für das Jahr 2010. Er erwartete schon damals einen Bürgerkrieg, der nach mehreren Jahren zum kompletten Kollaps der Union der amerikanischen Staaten führen würde. Ausgehend von mehreren eigenständigen Konfliktherden, so Panarin, würden einerseits ethnische und rassische Spannungen, andererseits eine zugespitzte Umverteilungsproblematik zwischen reichen und ärmeren Bundesstaaten sowie konfessionelle Spannungen letztlich zum Zerfall der USA führen. Im Gegenzug erwartet er für Rußland eine neue Weltmachtrolle.

Daß solche Erwägungen in Rußland schon seit längerem Aufmerksamkeit finden, hängt auch mit dem Hintegrund Panarins zusammen. Der 50jährige Igor Panarin ist ein früherer KGB-Analytiker, der aus dem Komitee für Staatssicherheit kommt, dem sowjetischen Geheimdienst, aus dem auch Wladimir Putin hervorgegangen ist. Panarin ist keineswegs eine Randfigur. Er ist Dekan der Akademie des Russischen Außenministeriums für künftige Diplomaten. Er wird zu Kreml-Empfängen eingeladen, unterrichtet Studenten, veröffentlicht Bücher und erscheint in den Medien als Experte für russisch-amerikanische Beziehungen. Seine düsteren Voraussagen für die USA sind, wie das „Wall Street Journal“ unlängst schrieb, „Musik in den Ohren des Kremls“. Sein Horror-Szenarium über die Zukunft der USA fügt sich nahtlos in die Wunschvorstellung des Kremls, daß Rußland nach den Schwächen der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wieder auf den „ihm zukommenden“ Platz auf der Weltbühne zurückkehren kann.

Panarin verkauft seine Geschichten sehr geschickt, sagt er doch, man könne sich zwar über den Prozeß der Desintegration der USA freuen: aber eine solche Entwicklung wäre auch für Rußland nicht das beste Szenarium. Seine Krokodilstränen verbirgt er hinter der Feststellung, daß Rußland dadurch zwar „mächtiger auf der internationalen Bühne wäre“, aber seine Wirtschaft doch darunter leiden würde, denn seine Währung sei „stark vom Dollar und vom Handel mit den USA abhängig“.

Konkret erwartet Panarin, daß Masseneinwanderung, wirtschaftlicher Niedergang und moralischer Verfall in den USA einen Bürgerkrieg auslösen, die USA in sechs Teile auseinanderfallen. Alaska werde dann „unter russische Kontrolle zurückkehren“. In seinen Vorträgen hält er die Kopien der Karte bereit, auf denen die zerstückelten USA zu sehen sind. Demnach werden die Vereinigten Staaten entlang ethnischer Grenzen zersplittern und ausländische Mächte sich einmischen. So werde Kalifornien die sieben westlichen Bundesstaaten umfassen und „ein Teil Chinas werden oder unter chinesischen Einfluß geraten“. Die Republik Texas und die Südstaaten werden sich nach Mexiko orientieren und der Norden sich als „Zentrale Nordamerikanische Republik“ Kanada anschließen oder dahin orientieren. Der Osten schließlich werde als „Atlantisches Amerika“ seinen Blick auf die Europäische Union richten. Was mit Hawai geschehen werde, weiß der russische Professor ebenfalls: Es werde Protektorat von Japan oder China.

Auch im Ausland betreibt Panarin seine Vortragstätigkeit und freut sich „über das rege Interesse“ seiner Zuhörer, das er auch in der großen russischen Zeitung „Izwestia“ findet. Bereits 1998 sprach er in Linz, wo er seinerzeit zum erstenmal seine Theorie über den Zerfall der USA im Jahr 2010 präsentierte.

Das Fazit der unermüdlichen Tätigkeit Panarins lautet: China und Rußland werden in Zukunft die heutige Rolle Wa­shingtons als Regulatoren der Weltfinanzwirtschaft übernehmen. Er meint, daß Amerikas Hoffnung, Obama könne Wunder bewirken, trügerisch sei. Skeptikern gegenüber seinen Annahmen für die Zukunft begegnet er mit dem Hinweis auf den französischen Wissenschaftler Emmanuel Todd, der bekannt dafür sei, daß er den Zusammenbruch der Sowjetunion bereits im Jahr 1976 vorhergesagt habe und: „damals lachten alle über ihn“.

Doch findet Panarin Widerspruch auch in Rußland: Der prominente Fernsehjournalist Wladimir Pozner wirft ihm „Anti-Amerikanismus“ vor, der allerdings heute stärker sei als zu Zeiten der Sowjetunion. Sergej Rogow, Direktor des regierungsnahen „Instituts für US- und Kanada-Studien“ meint, daß „verrückte Ideen“ üblicherweise von seriösen Leuten nicht diskutiert werden, teilt also die Einschätzung der Pressesprecherin des Weißen Hauses. Panarins Theorien, meint Rogow, seien „substanzlos“. Panarin selbst ficht das nicht an: In seinem Büro im Zentrum Moskaus zeigt er Nationalstolz mit dem doppelköpfigen Adler, dem Symbol des zaristischen Rußlands. Die Wand schmückt auch das Emblem des FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB.

Tatsache ist, daß die Kampagne des Professors aus dem Hause KGB in jahrzehntelanger Kontinuität steht und jedenfalls eine Menge über Tendenzen in der Meinungsbildung im heutigen Rußland aussagt. In einem Land, in dem der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja im Jahr 2006 in schlimmer Erinnerung ist und unlängst neues Entsetzen in aller Welt über den Doppelmord auf offener Straße an dem bekannten Moskauer Menschenrechtsanwalt Stanislaw Karkelow und der Journalisten Anastasia Baburowa herrscht, gibt es vieles, das an die schlimme Vergangenheit erinnert und weltweit Zweifel an der Entwicklung zu demokratischer Zuverlässigkeit nährt. Wladimir Putin jedenfalls wird deshalb das Treiben seiner KGB-Kollegen von einst und deren Desinformationskampagnen gegen die USA vermutlich genußvoll betrachten.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren