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14.02.09 / Eher Bürgerkrieg als Aufstand / Vor 75 Jahren lieferten sich in Österreich Sozialdemokraten und Bürgerliche erbitterte Kämpfe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-09 vom 14. Februar 2009

Eher Bürgerkrieg als Aufstand
Vor 75 Jahren lieferten sich in Österreich Sozialdemokraten und Bürgerliche erbitterte Kämpfe

Vom 12. bis 14. Februar 1934 fanden in der Alpenrepublik erbitterte Kämpfe statt. Sie kosteten bis zu 1000 Menschenleben und haben auch sonst fast allen Beteiligten geschadet.

Bereits im Jahre 1933 zeichnete sich am politischen Horizont eine dramatische innenpolitische Entwicklung in Österreich ab, die von mehreren Faktoren geprägt war: Die Spannungen zwischen den beiden großen politischen Parteien, der Christlichsozialen und der Sozialdemokratischen Partei, hatten seit der sogenannten „Selbstausschaltung“ des Parlaments am 3. März 1933 erheblich zugenommen. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß regierte seither ohne parlamentarische Kontrolle mittels Notverordnungen, die sich auf ein Gesetz aus dem Kriegsjahr 1917 stützten. Die von der Wiener Landesregierung deshalb beim Verfassungsgerichtshof eingereichte Klage blieb wirkungslos, da Dollfuß dieses Organ nach dem Rücktritt einiger Mitglieder für beschlußunfähig erklärte.

Der von Dollfuß verfochtene autoritäre Kurs entsprach den harten Forderungen Benito Mussolinis, der die Rolle eines sicherheitspolitischen „Schutzschildes“ gegenüber dem Deutschen Reich und anderen Staaten spielte; er verlangte von der österreichischen Regierung eine Straffung des inneren Gefüges nach dem Vorbild Italiens samt einer Verfassungsänderung.

Innere Machtfaktoren waren die sogenannten Selbstschutzverbände, nämlich der von der Sozialdemokratie aufgestellte „Republikanische Schutzbund“ und die dem Regierungslager nahestehenden „Heimwehren“, die von ehemaligen Offizieren der alten Armee geführt wurden. Um den Gegner zu schwächen, hatte Dollfuß schon im März 1933 den „Schutzbund“ für illegal erklärt, ein Schritt, der die Kluft zur Sozialdemokratischen Partei, die etwa die Hälfte der Wählerschaft vertrat, noch mehr vertiefte. Seit diesem Zeitpunkt bereiteten sich einige Führungskader des „Schutzbundes“, darunter dessen Stabschef Major a. D. Alexander Eifler, auf einen bewaffneten Aufstand vor, den aber die Parteileitung nur im äußersten Notfall, etwa bei Abschaffung des Wahlrechtes, auslösen wollte.

Auf der anderen Seite hatte Emil Fey, ehemaliger Major der k. u. k. Armee und antimarxistisch denkender Staatssekretär für die innere Sicherheit, ein aus Freiwilligen bestehendes „Schutzkorps“ geschaffen, in dem er die Kräfte der „Hilfspolizei“ und später auch der „Heimwehren“ vereinigte. Somit drohte ein zweiter bewaffneter Arm neben dem Bundesheer zu entstehen.

Schließlich hatte Dollfuß auch mit einer Konfrontation mit dem Deutschen Reich zu tun, nachdem er im Juni 1933 die Nationalsozialistische Partei, die vehement für den Anschluß Österreichs an das Reich kämpfte, verboten hatte. Viele Anhänger dieser Partei, die zahlreiche Bombenanschläge zu verantworten hatte, flohen nach Bayern, wo die SA eine „Österreichische Legion“ in der Stärke von knapp 10000 Mann bildete und als Druckmittel benutzte. Nicht zuletzt aus Angst vor sprunghaften Zugewinnen der Nationalsozialisten weigerte sich Dollfuß, Neuwahlen anzusetzen. Versuche, die Spaltung im Inneren zu überwinden, schlugen fehl. Ende September 1933 erging eine Verordnung zur Errichtung sogenannter Anhaltelager für politische Häftlinge.

All dies ereignete sich vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, die dazu führte, daß man in Österreich, das rund 6,5 Millionen Einwohner hatte, im März 1932 bereits 362000 Arbeitslose und 150000 „Ausgesteuerte“, die keine finanzielle Unterstützung erhielten, zählte. Aus diesem Reservoir der Deklassierten, die nichts mehr zu verlieren hatten, rekrutierte sich ein Großteil der Nationalsozialisten.

Zu Beginn des Jahres 1934 war die Spannung zwischen dem rechten und linken Lager derart angewachsen, daß ein Zusammenstoß in der Luft lag. Vergeblich hatte ein gemäßigter Politiker eine Entwaffnung der Parteiarmeen gefordert. Versuche, mit den Führern der Sozialistischen Partei, Otto Bauer, Julius Deutsch und Karl Renner, ins Gespräch zu kommen, scheiterten nicht zuletzt an aggressiven Äußerungen Feys, der 1933 zum Vizekanzler aufgestiegen war. Waffenfunde in einigen Arbeiterheimen dienten ihm als willkommener Anlaß. Der von Dollfuß ausgerufene „Ständestaat“ stand vor einer Zerreißprobe. Dollfuß wurde von Scharfmachern in den eigenen Reihen aufgefordert, reinen Tisch zu machen, die „demokratische Korruption“ hinwegzufegen. Im verbotenen Republikanischen Schutzbund war die Atmosphäre durch den Zwist zwischen den Befürwortern und Gegnern von Waffengewalt ebenfalls angeheizt worden.

Man wird den nun folgenden Ereignissen nicht völlig gerecht, wenn man von einem „Aufstand“ spricht, da die Bezeichnung „Bürgerkrieg“ angemessener erscheint. Als am Morgen des 12. Februar 1934 die Polizei das Linzer Arbeiterheim nach Waffen durchsucht, leisten die Männer des örtlichen Schutzbundführers Richard Bernaschek Widerstand, und es fallen die ersten Schüsse. Die überraschte Parteileitung, die sich vor vollendete Tatsachen gestellt sieht, beschließt zu kämpfen. Die Auseinandersetzung greift auf Steyr, St. Pölten, Bruck an der Mur, Kapfenberg, Eggenberg bei Graz, Weiz, Wörgl und Wien über. Überall dort, wo die Arbeiterschaft gut organisiert ist, greift sie zu den Waffen. Die heftigsten Kämpfe finden in den überwiegend von Arbeitern bewohnten Außenbezirken der Hauptstadt statt.

Die Regierung verhängt das Standrecht über die vom Kampf betroffenen Bundesländer, worauf die Gegenseite den Generalstreik ausruft, der aber zum Großteil wirkungslos bleibt. Die Regierung setzt die „Heimwehren“ und das Bundesheer zur Assistenzleistung ein, um den Kampf möglichst rasch zu beenden und einer Erörterung seitens der Großmächte über eine Aufteilung Österreichs zuvorzukommen.

Das aus Berufssoldaten bestehende Heer, dessen Einsatz für den Fall von Unruhen im Inneren verfassungsmäßig vorgesehen ist, versucht, den Schaden zu begrenzen. In der haßerfüllten Atmosphäre kommt es jedoch zu erbitterten Gefechten, auch unter Einsatz von Artillerie, und zu grausamen Übergriffen, die in den Folgejahren das politische Klima zwischen den Lagern schwer belasten sollten. Die Gefechte konzentrieren sich im wesentlichen auf die von den Einheiten des „Schutzbundes“ vorbereiteten Stellungen. Nach viertägigen Kämpfen bricht der Widerstand gegenüber dem Bundesheer, den „Heimwehren“ und der Polizei trotz heftiger Gegenwehr zusammen.

Das Ergebnis der Kämpfe war vielschichtig, aber für fast alle Beteiligten von Nachteil. Offiziell wurden mindestens 317 Tote gezählt, wogegen die Zahl von bis zu 1000 Toten wahrscheinlicher ist, wozu noch 800 Verwundete kamen. Neun Anführer der Sozialdemokratie wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Otto Bauer und Julius Deutsch gelang zwar die Flucht in die Tschechoslowakei, politischen Einfluß erlangten sie jedoch nicht mehr. Tausende von Sozialdemokraten wurden inhaftiert, andere wieder flüchteten in die Sowjetunion, wo man ihnen zwar Asyl gewährte, sie aber unter Überwachung stellte. Prominente Anführer des „Schutzbundes“, wie etwa Richard Bernaschek, konnten fliehen, viele liefen ins Lager der Nationalsozialisten über, einige traten der „Österreichischen Legion“ bei, und auch Mengen illegaler Waffen fanden den Weg dorthin.

Vizekanzler Fey ließ sich als Sieger feiern, obwohl der militärische Erfolg in erster Linie dem Bundesheer zuzuschreiben war. Eine Aussöhnung mit dem politischen Gegner, die bis dahin nicht unerreichbar erschien, war endgültig gescheitert; die Regierung verbot die Sozialdemokratische Partei, die in den Untergrund ging, sie annullierte deren Mandate und zog das Parteivermögen ein. Die Führer der Nationalsozialisten zogen aus den Februarkämpfen die Lehre, daß man die Entscheidung durch einen Schlag gegen das Machtzentrum in Wien herbeiführen müsse, eine Überlegung, die während des Juli-Putsches 1934 in die Tat umgesetzt wurde.

Aus dem Blickwinkel des Auslandes hatte die Position Österreichs schwer gelitten. In Paris und London, aber auch in Rom wurde befürchtet, daß das nationalsozialistische Deutschland die Schwäche der österreichischen Regierung zum Anlaß für ein Eingreifen benutzen könnte. Einige Beobachter erwarteten den Zerfall Österreichs in absehbarer Zeit. Jedenfalls betonten Großbritannien, Frankreich und Italien am 17. Februar 1934 die Notwendigkeit, die Integrität Österreichs zu erhalten. Im Endeffekt wurde Dollfuß völlig in die Arme Mussolinis getrieben und verlor noch mehr Handlungsspielraum. Trotz verschiedener Maßnahmen, darunter der Entmachtung Feys, konnte sich die Regierung nur mehr auf eine schmale Machtbasis stützen, die nur geringe Chancen für die Bewahrung der Unabhängigkeit bot.       

Heinz Magenheimer

Foto: Während der Februarkämpfe in Wien: Bewaffnete Zivilisten patroullieren durch Österreichs Hauptstadt.


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