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14.02.09 / Angst vor Gefühlen / Irene Disches neuer Roman

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-09 vom 14. Februar 2009

Angst vor Gefühlen
Irene Disches neuer Roman

Man nennt ihn auch den Deutschen, den Walzer von Diabelli, über den Beethoven die berühmten 33 Variationen komponiert hat. Angeregt durch die Interpretation dieses Werks durch Anatol Ugorski hat die amerikanisch-deutsche Autorin Irene Dische einen Roman mit dem Titel „Veränderungen über einen Deutschen oder Ein fremdes Gefühl“ geschrieben. Es heißt, es handle sich um eine Neufassung ihres bereits 1993 veröffentlichten Romans „Ein fremdes Gefühl“. In Anlehnung an die 33 Variationen Beethovens, von denen die erste und die letzte die Überschriften „Walzer“ und „Menuett“ tragen, hat Dische sich bemüht, den dramatischen Bogen an die musikalische Vorlage anzuknüpfen. Die Kapitel tragen Überschriften wie „Schleppend: Einige Veränderungen in Benedikts Leben sind unausweichlich, andere vorhersehbar“: Der Bedeutung dieser Überschriften nachzuspüren, ist eine Aufgabe für sich.

Die Handlung fällt in das Jahr 1990, das Jahr der deutschen Wiedervereinigung. Der Physiker Dr. Benedikt Waller ist ein erfolgreicher Naturwissenschaftler und gleichzeitig ein einsamer Sonderling, der an seiner Umwelt kaum Anteil nimmt. Offenbar aufgrund seiner familiären Situation – warum genau, bleibt unklar – hatte sich bei ihm in der Kindheit eine autistische Persönlichkeitsstörung entwickelt. Nach dem frühen Unfalltod seiner Eltern, die einer begüterten Adelsfamilie entstammten, war er mit seiner Schwester  bei der Großmutter auf dem Land aufgewachsen. Die Geschwister litten unter dem Verhalten der alten Dame, die ihren Verwandten nur Schlechtes nachredete. Wir begegnen Waller als einem Mann mittleren Alters wieder, nachdem seine Kindheit und Jugend im Schnelldurchlauf abgehandelt worden sind. Er ist in einem Institut für angewandte Mathematik beschäftigt. Als bei ihm eine unheilbare Krankheit festgestellt wird, nimmt er die Diagnose gleichgültig hin; er hängt nicht am Leben. Plötzlich aber verspürt er den Wunsch, ein eigenes Kind aufzuziehen. Über eine Anzeige in der Tageszeitung sucht er, unter Preisgabe seiner Personalien, ein Kleinkind „zwecks Adoption“. Es meldet sich die Russin Marja Golubka mit ihrem Kind Valerij. Marja lebt in einem Quartier für Asylsuchende und ist verheiratet, allerdings ist ihr Mann in die ehemalige Sowjetunion zurückgekehrt. Waller empfindet zwar eine starke Abneigung gegen Marja, doch um des Kindes willen reist er mit Mutter und Kind von Berlin nach Süddeutschland zum Schloß seiner Familie. Dort haust noch völlig zurückgezogen, versorgt von wenigen Bediensteten, die uralte Großmutter. Überraschend entwickelt sich zwischen ihr und den beiden Gästen ihres Enkels eine enge Beziehung, und zudem stellt sich heraus, daß die Russin eine ausgezeichnete Pianistin ist. Wird auch Benedikt Waller, der um des Kindes willen mit ihr eine Ehe eingeht (und offenbar dazu die für Marja notwendigen Papiere beschaffen konnte), schließlich aus dem Zustand der Teilnahmslosigkeit erwachen und Liebe empfinden?  

Die Handlung dieses Entwick-lungsromans ist tragfähig, doch mit den auftretenden Personen wird man nicht vertraut, auch die Schauplätze wirken fremd und fern – und vielleicht ist dies von der Erzählerin sogar beabsichtigt. Irene Dische hat sich auf das stilistische Mittel verlegt, die (in der Überzahl befindlichen) mehr oder weniger unangenehmen Protagonisten durch scharfsinnige und spitzzüngige Kommentare bloßzustellen, sofern diese sich nicht selbst durch ihre eigene Bosheit diffamieren. Bei den wenigen Ausnahmen – nämlich immer dann, wenn Dische sich zurückhält und es einigen Akteuren überläßt, über ihre Mitmenschen herzuziehen – ist dem Leser klar: Diese werden verkannt, es sind zweifelsfrei die Guten. Die einzelnen Szenen des Handlungsablaufs erinnern an vereinzelte Glieder einer Kette – oder an einzelne Musikstücke mit einem losen inneren Zusammenhang.         Dagmar Jestrzemski

Irene Dische: „Veränderungen über einen Deutschen oder Ein fremdes Gefühl“, Hoffmann und Campe 2008, gebunden, 438 Seiten, 23 Euro


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