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21.02.09 / Eine Art Super-Gesamtschule / Eltern-Kritik an Berliner Reformplänen: Gute Schüler für statistische Kosmetik mißbraucht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-09 vom 21. Februar 2009

Eine Art Super-Gesamtschule
Eltern-Kritik an Berliner Reformplänen: Gute Schüler für statistische Kosmetik mißbraucht

Sollen gute Schüler vom Gymnasium ferngehalten werden, damit sie in den neuen Gesamtschulen das niedrige Bildungsniveau schlechter Schüler statistisch aufbessern? Berlins rot-rote Schulreform trifft auf Widerstand.

Jürgen Zöllner (SPD) könnte eigentlich sehr zufrieden sein. Der Berliner Bildungssenator ist einer der größten Gewinner des Konjunkturpakts. Ein Großteil der 474 Millionen Euro, die Berlin aus dem Paket erhält, fließt in seinen Bereich, vor allem in Schulen und Universitäten. Trotzdem reißt die Kritik an dem in Mährisch-Neustadt geborenen Regierungsmitglied nicht ab.

Schuld ist die Schulreform, die Zöllner ohne Not im gleichen Moment vom Zaun gebrochen hat. Sie hat viele Eltern verärgert und die Opposition im Parlament gegen ihn aufgebracht. Zöllner muß jetzt zwei Baustellen gleichzeitig bearbeiten – und wirkt ziemlich überfordert dabei.

Warum überhaupt eine Schulreform? Niemand im Senat kann auf diese Frage eine überzeugende Antwort geben. Die üblichen Hinweise auf schlechte Pisa-Ergebnisse oder das miserable Bildungsniveau vieler Migranten etwa hängen kaum von der jeweiligen Schulform ab, sondern haben (was Migranten angeht) ganz andere, überwiegend kulturelle Gründe, wie die jüngste Studie des Berlin-Instituts zum Thema Integration belegt hat. Im Mittelpunkt der Reform steht die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems. Die Hauptschule soll verschwinden, so ist es vor allem von linken Bildungspolitikern immer wieder zu hören – spätestens, seitdem der Aufruhr an der Rütli-Schule enthüllte, was sich an manchen Berliner Hauptschulen für eine Bildungsunterschicht versammelt hat.

Die Politiker versprechen sich von einer Zusammenlegung von Gesamt-, Real- und Hauptschulen eine stärkere Vermischung der Schüler dieser Schulformen. In einem anderen Umfeld hätten die Hauptschüler bessere Bildungschancen, sagen sie. Auf der Hauptschule dagegen seien sie in der Sackgasse.

In Zukunft werden Schulkinder wie bisher sechs Jahre lang gemeinsam die Grundschule besuchen. (Einzige Ausnahme: Schüler, die bereits in der fünften auf eines der wenigen „grundständigen“ Gymnasien wechseln, also solchen, die immer noch ab der fünften statt erst ab der siebten Klasse laufen.)

Danach wechseln die Kinder entweder aufs Gymnasium oder an die „integrierte Sekundarschule“. Diese vereint Realschule, Gesamtschule und Hauptschule – ist also eine Art Super-Gesamtschule. Der schwarz-grüne Senat in Hamburg hat wenige Monate vor Berlin übrigens das Gleiche beschlossen, nur daß die „Grundschule“ dort „Primarschule“ heißt und die „integrierte Sekundarschule“ in Hamburg als „Stadtteilschule“ bezeichnet wird. Wirklich originell ist das Konzept also nicht. Der Widerstand, der auch in Hamburg groß ist, ließ nicht lange auf sich warten. Vor allem Eltern sind sauer. Der Zugang zum Gymnasium soll stärker nach Leistung gefiltert werden – also weniger nach dem Elternwillen. Eingangstests und Losverfahren könnten dann über den Bildungsweg entscheiden.

An anderer Stelle wird das neue Leistungsdenken wieder relativiert: Senator Zöllner möchte nämlich, daß es zukünftig kein Probehalbjahr, keinen Rauswurf wegen schlechter Leistungen und möglichst auch kein Sitzenbleiben mehr gibt. Eltern argwöhnen, daß möglichst viele potentielle Gymnasiasten vom Gymnasium ferngehalten werden sollen (hohe Hürden), um es sich dann auf einer Sekundarschule bequem machen zu können (niedrige Anforderungen), wo ihre Hauptaufgabe darin bestehe, das niedrige Bildungsniveau anderer Schüler statistisch aufzubessern. Eine andere Diskussion dreht sich um die Durchschnittsgröße der Klassen in der Sekundarschule. Der Schulsenator sprach von 29 Schülern pro Klasse, ein Papier seiner Behörde aber von 27. Hamburg möchte die Schülerzahl sogar auf 22 bis 25 senken. Angesichts der Erfahrungen mit solchen Ankündigungen in der Vergangenheit ist Skepsis angesagt. Meistens lösen sich solche Versprechen schnell in Wohlgefallen auf. Berlin bräuchte bei Klassen mit durchschnittlich 25 Schülern allein zwölf neue Schulgebäude. Damit ist aber kaum zu rechnen. Im Gegenteil: 40 Schulstandorte in Berlin sollen aufgegeben werden, berichtete gerade die „Berliner Zeitung“.

Die Umsetzung der Schulreform wird noch mindestens anderthalb Jahre beanspruchen: Erst in gut einem Jahr kann das Gesetz beschlossen werden. Und erst im dann folgenden Schuljahr (Herbst 2010) können die Änderungen umgesetzt werden. Bis dahin wird die Schulbehörde sowieso mit den großen Bauprojekten beschäftigt sein. 193 Millionen Euro fließen in die Schulsanierung. Bei den Bauvorhaben soll die Schulreform von den Bezirken bereits berücksichtigt werden. Da der rot-rote Senat auf Ganztagsschulen setzt, sollen also Arbeitsräume, Kantinen und Aufenthaltsräume errichtet werden, wo noch keine sind. „Eigentlich hätte man erst die Schulreform diskutieren, dann das Schulgesetz ändern und erst danach die Schulen umbauen sollen“, klagt der Bildungsstadtrat von Marzahn-Hellersdorf, Stefan Komoß, darüber – übrigens ein Parteifreund von Zöllner. Markus Schleusener

Foto: Schüler und Lehrer müssen sich mit unausgegorenen Schulreformen herumschlagen: Unterricht in einer Berliner Klasse Bild: laif


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