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28.02.09 / Die Wurzeln der Vergangenheit reichen tief / Im kollektiven Gedächtnis der Erlebnisgeneration liegt so manch erhaltenswerter Schatz begraben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-09 vom 28. Februar 2009

Die Wurzeln der Vergangenheit reichen tief
Im kollektiven Gedächtnis der Erlebnisgeneration liegt so manch erhaltenswerter Schatz begraben

Meine Mutter stammt aus Königsberg. Sie verließ die Stadt als Kind mit ihrer Mutter und Schwester am 29. Januar 1945 mit dem letzten Boot, einem beschädigten Minensuchboot, das nur etwa 30 Passagiere aufnehmen konnte. Am nächsten Tag fuhr die „Gustloff“ vorüber, um sie aufzunehmen. Glücklicherweise lehnten ihre Mutter und die ganze Besatzung dies ab, denn sonst wären auch sie bei dem größten Schiffsunglück der Welt umgekommen.

Seit meiner Geburt war ich durch meine Mutter und meine Familie sehr stark von Ostpreußen geprägt. Meine Familie ließ sich danach niemals wirklich nieder. Sie war immer sehr stolz auf ihre Herkunft. Ich besuchte, seit ich ein kleiner Junge war, jedes Jahr vier-fünfmal meine Großeltern in Deutschland, die mir viel von Ihrer geliebten Heimat Ostpreußen berichteten.  Meine Mutter, die jetzt in Amerika lebt, stellt sich bis heute immer als Preußin vor. Das prägte mich. Mir wurden immer wieder Anekdoten erzählt, bis ich die Namen von Orten, Läden und Konditoreien kannte und um die dort getragene Kleidung und das alltägliche Leben usw. Bescheid wußte. 

Als ich als Rechtsanwalt in Polen arbeitete, konnte ich die Heimat meiner Großmutter in Masuren besuchen. In dem Moment, als ich die Grenze überschritt, überkam mich irgendwie ein innerer Frieden. Dennoch konnte ich die Heimat der Vorfahren meiner Mutter in Königsberg, an die sie viele Erinnerungen besaß, noch nicht besuchen.

Erst im vergangenen Jahr wagte ich mich in den russischen Teil Ostpreußens, indem ich Christian v. der Leyen und seinen Hilfstransport von der Preußischen Genossenschaft des Johanniterordens dorthin begleitete und die Hilfe und Unterstützung insbesondere des Altenpflegeheims „Carl-Blum-Haus“ in Malenuppen erleben konnte. Gibt es eine bessere Gelegenheit, als 63 Jahre nach dem Krieg in die Heimat meiner Familie zurückzukehren, Königsberg zu erleben und gleichzeitig die Arbeit der Johanniter zu unterstützen, den Bedürftigen dort zu helfen? Diese Hilfe, auch zur Selbsthilfe, vermittelte mir eine intensivere Bindung und Verbindung zu Ostpreußen und seinen Einwohnern.

Das Gefühl, in meine Heimat zurückzukehren und Bedürftigen dort zu helfen, ist unbeschreiblich. Endlich die Orte zu sehen, über die meine Familie in all den Jahren gesprochen hat, war wirklich unglaublich. Ich konnte ihre Gegenwart spüren. Was für ein Gefühl, einen Ort zu sehen, an dem Menschen mit starken Werten (und einem zivilisierten Lebensstil) gewohnt und gelebt haben, insbesondere wenn es sich bei diesen Menschen um meine eigenen Eltern, Großeltern, Cousins handelt. Ich konnte sehen, daß Königsberg eine schöne Stadt war. Was für ein Gefühl, am Schloßteich entlang zu gehen und darüber nachzudenken, wer damals und heute an seinen Ufern entlang gegangen ist. Es war schön, zu sehen, wie die derzeitige Stadtverwaltung versucht, das Stadtzentrum mit Blumenbeeten und Kolonnaden zu verschönern. Ich besuchte sogar eine Ausstellung, in der gezeigt wurde, wie Königsberg früher aussah. Es wurden Repliken der Kronjuwelen (Königsberg war immerhin der Krönungsort der preußischen Könige), das Innere von Kirchen (Photos von den Orten, an denen meine Großeltern heirateten und wo ihre Kinder getauft wurden) sowie komplexe Repliken davon, wie die Stadt früher einmal aussah, gezeigt. Die Russen sind in Bezug auf diese Dinge jetzt sehr aufmerksam. Mir wurde sogar gesagt, daß die Stadt in etwa zehn Jahren ihren Namen zurückerhalten werde. Wir sollten uns bemühen, dies aufrechtzuerhalten. Die Russen erkennen die historische Bedeutung dieses Orts an. Man sieht die Statuen von Kant, Schiller, Herzog Albrecht. Sie anerkennen dies sogar auf einer mehr individuellen Basis. Die Russen waren so neugierig, zu erfahren, wer ich war, wer meine Familie war, wie sie lebte, welchem Zweck dieses Zimmer im Haus diente und so weiter.

Während meiner Spaziergänge und Fahrten durch die Stadt sah ich bestimmte Gebäude und erkannte sie von den Bildern, die ich sah, als ich aufwuchs. Ich sagte zum Beispiel voller Aufregung: „Hier ist der Nordbahnhof! Meine Familie nahm den Zug nach Rauschen und Cranz von dort!” Ich war so aufgeregt, und vorübergehende Passanten dachten wahrscheinlich: „Warum ist dieser Mann so aufgeregt?“ Dadurch habe ich erkannt, daß es wichtig ist, den Augenblick zu schätzen.

Obwohl Königsberg zu 90 Prozent zerstört wurde, stehen das Geburtshaus meiner Mutter, das Wohnhaus und die Schule noch immer. Meine Mutter, die keine neueren Bilder von Königsberg gesehen hat, zeichnete Skizzen der verschiedenen Orte. Es war erstaunlich, zu sehen, wie genau ihre Zeichnungen mit der Realität übereinstimmten.

Es hört sich vielleicht komisch an, aber ich war genauso bewegt, alltägliche Dinge, wie Bierflaschen zu sehen, die in europäischen Buchstaben die Aufschrift Königsberg trugen und das königliche Schloß zeigten, oder Wodkaflaschen, die in Deutsch die Aufschrift „Ostpreußischer Wodka“ trugen und das Wappen von Königsberg zeigten. Es zeigt, daß die Russen nunmehr die frühere Geschichte dieses Ortes anerkennen. 

Ich betrachtete auch die alten Bäume und dachte, daß irgendwie eine Verbindung besteht. Die Landschaft war so schön. Auf der polnischen Seite konnte man immer noch die Dörfer, die alten Ordenskirchen und Allen sehen. Auf der russischen Seite war die Landschaft noch immer schön, mit dem weit offenen Horizont und den Bäumen und Seen und der eindrucksvollen Küstenlinie, doch ich war überrascht, wenige Überreste von Dörfern und alten Gebäuden auf dem Land zu sehen. Der größte Teil des Ackerlands lag brach. Trotzdem fühlte ich, nachdem ich es in der Realität gesehen habe, kein Mitleid oder Bedauern, sondern eine noch stärkere Verbindung zu Ostpreußen. Man sollte an einen Ort ohne Haß oder Reue zurückkehren und bereit sein, eine Beziehung zu den derzeitigen Einwohnern aufzubauen, um ein Erbe und Vermächtnis der Gerechtigkeit zu bewahren.

Es ist interessant, zu beobachten, wie eng die Ostpreußen mit ihrer Herkunft verbunden sind. Trotz der physischen Merkmale ist es ein Ort, der im Herzen beheimatet ist. Er besitzt auch legendäre Eigenschaften und ist somit fast zeitlos. Wenn die Generationen, die dort gelebt haben, nicht mehr da sind, bedeutet das nicht, daß es zu Ende ist. Man kann den Ort und das Erbe trotzdem so in Ehren halten, wie man es mit jedem historischen Ort tun würde. Die Nachkommen gehören verschiedenen historischen und/oder kulturellen Organisationen an, und es bestehen Verbände und Clubs, die weltweit sehr aktiv sind. Genauso wie der Bund Junges Ostpreußen bewahren sie das Vermächtnis und geben den zukünftigen Generationen ein Beispiel, indem sie den kulturellen Austausch und gute Beziehungen zu dem Land ihrer Vorfahren pflegen. Deshalb betrachte ich diese Reise nicht als eine Nostalgiereise, sondern als eine Reise in die Zukunft, bei der Mitgefühl gezeigt und Hilfe an einem Ort geleistet wird, von dem ich ein Teil bin. Dadurch empfangen wir als Nachkommen von Ostpreußen und der Ostpreußen eine noch größere Belohnung.

Ich war so von der Reise beeindruckt, daß ich plane, immer wieder zurückzukehren.

Karim Peter Guen

Foto: Für normale Touristen Königsbergs eines der vielen baulichen Wahrzeichen der Stadt – für die früheren Bewohner ein Beweis deutscher Vergangenheit: Das Königstor          


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