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07.03.09 / Datsche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-09 vom 07. März 2009

Russki-Deutsch (7):
Datsche
von Wolf Oschlies

Sie sehen ja aus wie einer von der Datschenverarbeitenden halbstaatlichen Industrie“ – solche Seitenhiebe garantierten in DDR-Kabaretts fröhliche Lacher. Denn die „Datsche“ war weit mehr als ein Häuschen im kleinen Gartengrundstück – sie war ein Lebensgefühl: Gejagt von staatlichen Produktionsplänen, eingesperrt in häßliche Plattenbauten, schlecht versorgt von Konsum und HO und fast aller Reisemöglichkeiten entblößt, war die Datsche des DDR-Bürgers Insel der Seligkeit. Hier konnte er ausspannen, Geselligkeit pflegen und den kargen Speisezettel mit Gemüse und Geflügel aus eigener Zucht aufbessern. Darum gehört, so die landläufige Meinung, die „Datsche“ (wie „Broiler“, „Kader“ und wenige Wörter mehr) zum ewigen Spracherbe der entschlafenen DDR. Falsch! Bereits um 1890 wurden in und um Berlin Wochenendhäuschen „Datsche“ genannt, wobei man sich ihrer Entlehnung bei Russen bewußt war. Der russische Ursprung ist wichtig, denn eine „datscha“, abgeleitet vom Verb „datj“ (geben), kennen auch Ukrainer, Slowenen und andere, die sie in der Bedeutung von „Gabe, Geschenk, Leichenschmaus“ etc. verwenden.

Nur bei Russen steht die „datscha“ seit Jahrhunderten für ein vom Herrscher übereignetes Stück Land. In der „Nomenklatura“, Stalins Rangliste der Funktionäre, hatte man ab einer höheren Dienststellung ein verbrieftes Anrecht auf eine „datscha“. Stalin selber besaß die größten, etwa die „Grüne Grotte“ in Sotschi auf der Krim (die Deutsche jetzt für die Olympischen Winterspiele 2014 zum Nobelhotel umbauen) oder die legendäre „Datscha“ in Kunzewo am westlichen Stadtrand Moskaus, in der er Anfang März 1953 nach langer Agonie verstarb. So wuchtig waren DDR-Datschen nie, zumal sie samt zugehörigem Gärtchen bis 1959 als „kleinbürgerliches Relikt“ galten.

Aber dann schossen sie buchstäblich ins Kraut, und bis in die 1980er Jahre bestanden in der DDR rund 3,5 Millionen Garten- und Datschengrundstücke. Sie waren das wirksamste Mittel gegen chronische Wohnungs- und Versorgungsnöte, gelten heute aber vielfach als illegaler Wohnraum oder als Hindernis für geplante Gewerbegebiete. Darum schwebt die Abrißbirne über ihnen, den einstigen „grünen Inseln der Freiheit“.


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