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14.03.09 / Auch Werte müssen wieder zählen / Charakterbildung ist ähnlich wichtig wie Wissen – Bernhard Bueb will die Rolle der Lehrer erweitern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-09 vom 14. März 2009

Auch Werte müssen wieder zählen
Charakterbildung ist ähnlich wichtig wie Wissen – Bernhard Bueb will die Rolle der Lehrer erweitern

Bereits vor vier Jahren sorgte Bernhard Bueb, der von 1974 bis 2005 Leiter des renommierten Internats Schule Schloß Salem am Bodensee war, mit seinem Buch „Lob der Disziplin – Eine Streitschrift“ für Aufsehen. Jetzt fordert er mehr Führung durch Schulleiter und Lehrer ein.

PAZ: Sehr geehrter Herr Bueb, in Ihrem neuen Buch „Von der Pflicht zu Führen“ schreiben Sie, daß Eltern, Lehrer und Vorgesetzte auch führen müssen. Ist das im Zeitalter der Team- und Gruppenarbeit nicht erschreckend altmodisch?

Bernhard Bueb: Wenn ein Lehrer Gruppenarbeit im Unterricht vorschlägt, dann verzichtet er nicht auf Führung. Führung sollte fünf Regeln folgen: Wer führt, sollte die ihm Anvertrauten in ihrem Selbstwertgefühl stärken wollen, mit ihnen Ziele vereinbaren, kontrollieren, ob sie diese Ziele erreichen, im positiven Fall loben und belohnen, im negativen Fall kritisieren und Hilfe biete. Außerdem soll er immer Verantwortung teilen, also delegieren. Dieser Auftrag bleibt immer bestehen, auch in demokratischen Formen des Lebens und Arbeitens.

PAZ: Sie differenzieren ganz klar zwischen Bildung und Ausbildung. Wo genau ist da der Unterschied?

Bueb: Ausbildung heißt, die technischen Fähigkeiten vermitteln, um eine künftige Arbeit erfolgreich erledigen zu können. Bildung heißt, jungen Menschen Werte zu vermitteln und sie zu befähigen, diese Werte in Tugenden umzusetzen, also zum Beispiel den Wert der Wahrheit in die Tugend der Ehrlichkeit oder den Wert der Gleichheit in die Tugend der Toleranz. Deswegen sollte Bildung immer zuerst Charakterbildung sein und die Richtung vorgeben, welches Wissen und Können einer sich zu welchem Zweck erwerben soll.

PAZ: In Ihrem Buch taucht der Begriff „Herzensbildung“ auf. Das romantisch anmutende Wort scheint einem Frauenroman aus dem 19. Jahrhunderts entnommen. Was verstehen Sie für die Gegenwart darunter?

Bueb: Herzensbildung steht sogar als Auftrag in der bayerischen Verfassung! Ich verstehe darunter die Erziehung zu den „sanften“ Tugenden: Empathie, Fürsorge, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme.

PAZ: Sie empfehlen, daß Lehrer nicht nur Respektsperson, sondern auch Vorbild sein müssen und ihre Emotionen und Meinungen auch mit in den Unterricht einbringen sollen. Was versprechen Sie sich davon?

Bueb: Lernen ist ein in hohem Maße emotionaler Vorgang und wird um so erfolgreicher gelingen, je mehr ein Lehrer das Gemüt anspricht, also begeistert, leidenschaftlich vorträgt, Schülern mit Empathie begegnet, ihnen zuhört, ihnen also als ein Vorbild an emotionaler Intelligenz dienen kann.

PAZ: Sie bezeichnen Schulleiter als Personen ohne Machtinstrumente. Sie können nicht Personal aussuchen oder entlassen, sie verfügen über kein Budget und können zwar rügen, ohne jedoch Konsequenzen durchzusetzen. All dies gehöre jedoch zum Führen. Was spricht denn dagegen, Schulleitern mehr Einfluß zu gewähren? Von welcher Seite kommt der Widerstand?

Bueb: Nichts spricht dagegen, Schulleitern mehr Einfluß zu gewähren. Aber die Definition der Position eines Schulleiters als Führungsposition widerspricht dem Geist der verwalteten Schule. Mein beinahe utopisches Ideal hieße: Schulen werden privat geführt, aber staatlich finanziert, das holländische Modell.

PAZ: Vor allem in sozialen Brennpunkten wird derzeit die Linie gefahren, Leistungsdruck von den Schülern zu nehmen, damit sie nicht demotiviert werden. Sie fordern jedoch genau das Gegenteil. Nur indem man Schülern Leistung abverlange, sie an ihre Grenzen heranführe, würde man ihr Selbstvertrauen aufbauen. Gilt das ihrer Meinung nach auch für jene Extremsituationen, wie sie vor einigen Wochen in dem Brandbrief von 68 Hauptschuldirektoren in Berlin beschrieben wurden?

Bueb: Schüler leiden nicht darunter, daß sie etwas leisten sollen, sondern daß die Leistungsforderungen einseitig akademischer Natur sind. Ich fordere, daß das Spiel in seinen vielfältigen Formen wieder Einzug in die Schule halten muß: Theater, Sport, Musik, naturwissenschaftliches Experimentieren, Unternehmungen in der Natur. Auf diesen Gebieten sollen junge Menschen Herausforderungen und ihre Grenzen erfahren. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und versetzt sie eher in die Lage, auch erfolgreich dem Unterricht zu folgen.

PAZ: Auch den Lehrern verlangen Sie sehr viel ab. Sie sollen führen und Vorbild sein, Worten Taten folgen lassen und individuell auf die Bedürfnisse der einzelnen Schüler eingehen. So viel Perfektion für ein vergleichsweise geringes Lehrergehalt? Ihr Lehrerbild hat sehr viel mit Idealismus zu tun, halten Sie es aber auch für realistisch umsetzbar?

Bueb: In guten Schulen findet man viele solche Lehrer. Sie üben ihren Beruf mit Befriedigung aus, weil führungsstarke Schulleiter eine Atmosphäre der Zuversicht und Teamgeist schaffen und die Lehrer für ein gemeinsames Ziel begeistern. Idealismus zu erwarten ist realistisch, wenn Lehrer mit Anerkennung ihrer Arbeit, mit Fürsorge, mit Gerechtigkeit und Hilfe rechnen können und wenn Schulleiter entscheidungsfreudig die Schule voranbringen.

PAZ: Sie bezeichnen Lehrer als „individuelle Künstler“, beklagen, daß keine gemeinsamen Konzepte erarbeitet werden. Während Lehrer also seit Jahren in ihren Klassen Gruppenarbeit fördern, ist Teamarbeit unter den Kollegen verpönt? Wie kommt es zu diesem Widerspruch?

Bueb: Weil Lehrer ungern Einblick in ihren Unterricht gewähren. Lehrer sind autonom in der Gestaltung ihres Unterrichts. Das ist erfreulich, führt aber zur Vereinzelung und zu dem Selbstverständnis in diesem Beruf, man müsse alles selbst meistern.

Allerdings beginnen viele Schulen zu entdecken, daß Teams unter Lehrern segensreiche Folgen haben, zum Beispiel Jahrgangsteams, die über Jahre eine Zusammenarbeit beschließen, die Klassenzimmer gegenseitig öffnen, gemeinsam Unterricht und Klassenarbeiten vorbereiten, sich einander loben und kritisieren. Diese Lehrer leben glücklicher.

Das Gespräch führte Rebecca Bellano

Foto: Bernhard Bueb: Der 1938 in Tansania geborene Pädagoge sitzt im „Frankfurter Zukunftsrat“. In der Denkfabrik setzt er sich zusammen mit Wolfgang Clement, Friedrich Merz und Oswald Metzger dafür ein, daß im deutschen Bildungsbereich radikal umgedacht wird.


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