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28.03.09 / »Nie hatte ich früher ähnliches gelesen« / Die PAZ sprach mit Volodymyr Vasylyuk über seine Übersetzung von Theodor Fittkaus »Mein 33. Jahr« ins Ukrainische

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-09 vom 28. März 2009

»Nie hatte ich früher ähnliches gelesen«
Die PAZ sprach mit Volodymyr Vasylyuk über seine Übersetzung von Theodor Fittkaus »Mein 33. Jahr« ins Ukrainische

Im vergangenen Jahr erhielt der Ukrainer Volodymyr Vasylyuk für die Übersetzung des Buches „Mein 33. Jahr“ den Übersetzerpreis der IV. Internationalen Kiewer Buchmesse. Das 1961 geschriebene Buch des 1912 im ostpreußischen Tollnigk geborenen Theologen Gerhard Fittkau schildert auf erschütternde Weise, wie er als junger Geistlicher in seiner ostpreußischen Pfarrei den Einmarsch der russischen Truppen und seine Verschleppung in den Archipel Gulag im arktischen Komi-Gebiet der Sowjetunion erlebte. Vasylyuk erklärt im Gespräch mit PAZ-Redakteurin Rebecca Bellano, wieso er gerade Fittkaus Werk übersetzen wollte.

PAZ: Wie wurden Sie auf das Buch aufmerksam?

Volodymyr Vasylyuk: Das Buch „Mein 33. Jahr“ von Gerhard Fittkau machte auf mich einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck. Und das Übersetzen dieses Werkes war für mich eine Sache der Ehre.

Im Jahr 1993 bekam ich von einem Verleger einen Vorschlag, dieses Buch ins Russische zu übersetzen. Ich war erstaunt und fragte: Warum wird es in der Ukraine zuerst im Russischen herausgegeben? Die Antwort lautete: So war der Wille des Autors.

Im Laufe von drei Monaten wurde die Übersetzung angefertigt. Anfangs 1994 erschien die russische Ausgabe. Kurz danach sprach die russische Deutsche Welle über die Neuausgabe und nannte dabei den Namen des Übersetzers. Ich war glücklich. Später erhielt ich einen Brief vom Prof. Dr. Gerhard Fittkau aus Essen. Er schrieb: „Leider muß ich Sie enttäuschen: Meine russischen Sprachkenntnisse sind minimal. Der Märtyrerbischof Theodor Romzha von Ushorod, mein lieber Studienfreund in Rom, hat mir lediglich das russische Alphabet beizubringen versucht. Das kam mir zwar im Gulag noch zugute, aber sonst haben wir in unserem verhältnismäßig kleinen Lager, das hauptsächlich von wolgadeutschen ,Verschleppten‘ bewacht wurde, keine Gelegenheit gehabt, Russisch zu lernen. Im Gegenteil, wenn man sich darum bemühte, wurde man als Spion verdächtigt.“

Schließlich machte ich die ukrainische Fassung, worüber ich dem Autor mit Freude berichtete. Aber dann ging meine Übersetzung beim Konkurs des Verlegers verloren.

Ich fertigte eine zweite ukrainische Fassung und begann mit der Suche nach einem neuen Verleger. Im Jahre 1996 lernte ich im Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen, wo ich als Stipendiat war, den Autor des Buches persönlich kennen und versprach ihm, mein Bestes zu tun, um die ukrainische Übersetzung zu verlegen.

Aber mein Versprechen ging erst im Jahr 2008 in Erfüllung. Leider war Fittkau bereits am 6. März 2004 verstorben.

Aber viele Deutsche, die einen entscheidenden Beitrag zu ihrem Erscheinen geleistet haben, konnten sich über die Ausgabe freuen. Das war eine gute ermländisch-ukrainische Zusammenarbeit, bei der Johannes Poschmann aus Kevelaer eine besondere Hilfe war, indem er Buchrechte besorgte und die Finanzierung in Form einer Buchpatenschaft sicherte. Als besonderer Dank des Verlegers wurde auf der ersten Seite der ukrainischen Ausgabe eine Widmung auf Deutsch und Ukrainisch gedruckt: „Die Herausgabe des Buches wurde von Süßenbergern, Ermländern und Menschen, die sich Prof. Dr. Gerhard Fittkau und seinen Wirken besonders verbunden fühlen, gefördert.“ Um es kürzer zu sagen: Es lebt die ukrainisch-ermländisch-deutsche Zusammenarbeit!

PAZ: Worum geht es in dem Buch?

Vasylyuk: Es ist nicht einfach, den Inhalt dieses Erlebnisberichts zu erzählen. Man muß es lesen, um das Leid ungezählter Menschen mitzuempfinden. Man muß es lesen, um sich über alle diese Grausamkeiten, Ermordungen, Vergewaltigungen empören zu können. Die meisten Leser nehmen sich all das Geschehene sehr zu Herzen.

PAZ: Was hat Sie an dem Thema gereizt?

Vasylyuk: Die Neuheit des Themas hat mich gereizt. Nie hatte ich früher über das Geschehen nach dem Einmarsch der Roten Armee in fremde Länder ähnliches gelesen. Eben das sagen viele Leser. Und die Tatsache, daß der Verfasser des Buches kein Schriftsteller, sondern ein Pfarrer ist, macht den Text sehr vertraut. Die schlichte, haßfreie Schilderung lockt viele, das Buch zu lesen.

PAZ: Vor welchen Problemen standen Sie bei der Übersetzung?

Vasylyuk: Dreimal habe ich das Buch übersetzt: zuerst ins Russische und dann zweimal ins Ukrainische. Es war natürlich eine anstrengende Arbeit. Beim Übersetzen wie beim Schreiben muß man alles selbst miterleben.

Manche Deutschen fragen, wenn sie auf die geringere Seitenzahl der ukrainischen Ausgabe achten, ob der Übersetzer nichts ausgelassen hat. Die Seitenzahl hängt hauptsächlich von dem Format und der Größe der Schrift ab. Aber ein wesentlicher Faktor ist auch die Sprache. Wegen anderer Ausdrucksmöglichkeiten der ukrainischen Sprache wird die Übersetzung immer etwas kürzer als ein deutsches Original.

PAZ: Haben Sie geahnt, daß das Thema in Kiew auf Resonanz trifft, oder waren Sie überrascht?

Vasylyuk: Ich war sicher, daß „Mein 33. Jahr“ ein lebhaftes Echo bei uns findet. Das Werk von Gerhard Fittkau gehört zu der Literatur, die früher bei uns verboten war. Und solche Literatur wird heute mit besonderem Interesse gelesen.

Das Buch wurde auf der IV. Internationalen Kiewer Buchmesse 2008 mit einem Preis ausgezeichnet.

PAZ: Welche Leserreaktionen haben Sie erhalten?

Vasylyuk: Es fanden zwei Buchvorstellungen statt: in Lutsk, der Hauptstadt meiner Heimat Wolhynien und in der Lesja Ukrainka Kiewer Kinder-und Jugendbibliothek. Radio Kiew hat im Programm „Kultura“ vor kurzem ein halbstündiges Gespräch mit dem Verleger des Buches, Dmytro Holovenko, und mir gebracht.

Die erste Reaktion der meisten lautete so: Das ist über die große Hungersnot in der Ukraine. Die Zahl „33“ brachte sie auf diesen Gedanken. Viele meiner Freunde und Bekannten, die das Buch gelesen haben, schätzen es sehr. Ein sehr nützliches Buch, sagen sie. „Es gibt keine ,schönen‘ und ,unschönen‘ Kriege“, sagte einer. „Ich weiß jetzt, was es bedeutet, wenn man sagt: er ist ein echter Christ“, sagte der andere. Und ich kann hinzufügen: Jeder ukrainische Leser, der „Mein 33. Jahr“ liest, wird von dem Christen Gerhard Fittkau begeistert sein. Seine Erlebnisse in seinem schwersten 33. Lebensjahr werden nie verschwinden.

 

Volodymyr Vasylyuk lebt in Kiew und ist literarischer Übersetzer. Er hat Werke folgender Autoren übersetzt: Wolfgang Borchert, Anna Seghers. Gottfried Keller, Siegfried Lenz, Otfried Preußler, Christine Nöstlinger, Michael Ende.


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