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04.04.09 / Krise erreicht die Provinz / Entlassungen und leere Kassen – Das Beispiel Tilsit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-09 vom 04. April 2009

Krise erreicht die Provinz
Entlassungen und leere Kassen – Das Beispiel Tilsit

Die weltweite Finanzkrise hat nun auch die Stadt am Memelstrom erreicht. Rubelabwertung und Betriebsschließungen sorgen für erhebliche Unruhe. Der Rubelkurs lag im vergangenen Jahr noch weitgehend stabil bei zirka 35 Rubel pro Euro, doch in den vergangenen Wochen mußte man für einen Euro schon 48 Rubel zahlen. Die litauischen Unternehmer, die in der Vergangenheit mit umfangreichen Kapitalbeteiligungen die Tilsiter Wirtschaft in Schwung gebracht hatten, scheinen nun aus Furcht vor einer neuen Rubelkrise ihr Kapital abzuziehen. Von staatlichen Rettungspaketen aus Moskau profitieren sie ohnehin nicht.

Zwei große litauisch-russische Unternehmen haben unlängst ihre Tore geschlossen. Die Firma „Stella Plus“ produzierte seit einigen Jahren hochwertige Fernsehgeräte, eine halbe Million Geräte jährlich. Erst kürzlich startete sie im Beisein von Gouverneur Georgij Boos die Fertigung eines neuen Typs mit integriertem DVD-Player. Doch der erwartete Erfolg stellte sich nicht ein. Die rückläufige Kaufkraft führte zu Absatzschwierigkeiten auf dem russischen Markt. Nun kam das Aus. 400 Beschäftigte verloren ihren Arbeitsplatz.

Auch die Pralinenwerke „Nowa Ruta“ mußten ihren Betrieb einstellen. Die alte Tilsiter Bonbonfabrik war mit litauischen Investitionen modernisiert und auf europäischen Standard gebracht worden. 15 bekannte Sorten Konfekt und Pralinen im Umfang von monatlich 150 Tonnen verließen das Werk und waren sehr begehrt. Mehrfach fanden die Erzeugnisse auf der Moskauer Messe Anerkennung und erhielten Goldmedaillen. Doch auch hier machte sich die sinkende Nachfrage bemerkbar. Die Menschen geben ihre paar Rubel für notwendigere Dinge aus. Diese Entwicklung führte in den Pralinenwerken zu rasch anwachsenden Lagerbeständen, deren Haltbarkeit in dieser Branche sehr begrenzt ist. Die Herstellung mußte zunächst zurückgefahren werden und kam im vorigen Monat vollständig zum Erliegen. Auch hier ging die Belegschaft in die Arbeitslosigkeit.

Nachdem schon im vergangenen Jahr durch einen Großbrand in den Zellstoffwerken ein großer Teil von Arbeitsplätzen verlorengegangen war, hat sich nun die Situation dramatisch verschärft. Die Zahl der Arbeitslosen ist um mehr als 2000 angestiegen. Die Betriebsschließungen machen sich natürlich auch im städtischen Haushalt durch rückläufige Gewerbesteuereinnahmen bemerkbar. Die Stadt mußte bereits alle für das erste Halbjahr geplanten Vorhaben zum Ausbau der Infrastruktur vorerst zurückzustellen. Der Abzug der letzten Militäreinrichtungen aus Tilsit und die geplante Verlegung von Dienststellen der Zollbehörde bringen weitere Nachteile für die Stadt und ihre mittelständische Wirtschaft.

Angesichts der sich verschlechternden Lage suchen die Tilsiter Gewerbetreibenden engeren Schulterschluß und haben einen „Industriellen- und Unternehmerverband“ gegründet. Er soll ihre Interessen gegenüber städtischen und staatlichen Ämtern durchsetzen helfen. Auf der Gründungsversammlung waren auch optimistische Töne zu hören. Die gegenwärtige Krise – so wurde betont – eröffne auch neue Chancen. Hans Dzieran


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